20.11.2008 - www.hwelt.de
Drama um Wachkomapatientin bewegt Italien
Der jüngste Entscheid betraf eigentlich nur juristische Zuständigkeiten: Der Kassationshof in Rom wies den Einspruch der Mailänder Staatsanwaltschaft zurück, die ein früheres Berufungsurteil aushebeln wollte. Dieses hatte im Juli einen Ernährungsabbruch für rechtmäßig erklärt. Den Widerstand dagegen bewerteten die jetzigen Richter als formal unzulässig, zur Sache selbst äußerten sie sich nicht.
Im Volk fand die Nachricht positive Resonanz. Einzelne Politiker sprachen von einem Sieg der Selbstbestimmung des Patienten und einer humanen Entscheidung. Einem «Akt des Rechts und Respekts» erkennen die Föderation Evangelischer Kirchen und die katholische Kirchenvolksbewegung (NOI SIAMO CHIESA in Italien). Bei näherem Hinsehen überwogen jedoch besorgte bis alarmierte Stimmen. Quer durch die Parteien, allen voran Justizminister Angelino Alfano, wird eine verlässliche Regelung zu Sterbehilfe und Patientenverfügungen gefordert. Andere erklärten bestürzt, eine Bürgerin werde per Gerichtsurteil in den Tod geschickt. Die Union katholischer Juristen verwies auf die Waghalsigkeit der Argumentation mit einem «angenommenen Willen» der Bewusstlosen. Patienten- und Lebensschutzverbände appellierten an den Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg.
Schnell und klar positionierte sich der Vatikan. Erzbischof Rino Fisichella, Präsident der Päpstlichen Akademie für das Leben und einer der profiliertesten intellektuellen Kirchenmänner Italiens, sprach von «Euthanasie». Englaro sei von keinen lebenserhaltenden Apparaten abhängig; ihr Nahrung und Wasser zu verweigern bedeute, sie qualvoll sterben zu lassen. Kurienkardinal Javier Lozano Barragan erinnerte an ein Dokument der Glaubenskongregation aus dem Jahr 2007: Das Papier, eine Reaktion auf den ähnlich gelagerten Fall der 2005 verdursteten US-Amerikanerin Terri Schiavo, bezeichnet die Ernährung von Wachkoma-Patienten als ethisch verpflichtend, da es sich nicht um lebensverlängernde Maßnahmen handle. So hatte sich Fisichella im Oktober, als Englaro schwere innere Blutungen erlitt, auch gegen eine Therapie um jeden Preis ausgesprochen und ihre Ärzte aufgefordert, das «Recht auf ein Leben und Sterben in Würde» zu respektieren. - Diese Differenzierung gerät in der Öffentlichkeit bisweilen durcheinander. Die Kritik der Kirche am aktuellen Urteil wird auch mit ihrer Haltung im Fall Piergiorgio Welby auf eine Stufe gestellt. Der muskelkranke, von einem Beatmungsgerät abhängige Mann hatte 2006 das Recht gefordert, seinem Leben ein Ende zu setzen. Das wiesen damals Kirchenvertreter unter Hinweis auf die Unverfügbarkeit des Lebens zurück.
Die Regionen Lombardei und Friaul weigern sich jetzt, Englaro in einer staatlichen Klinik sterben zu lassen. Damit ist auch noch ein Streit darüber entstanden, ob der Richterentscheid einen Durchsetzungsanspruch begründet. Der Vater will jedenfalls nicht dem Vorschlag einer Abgeordneten folgen und seine Tochter zum Sterben nach Hause holen.
KNA
Zuletzt geändert am 20.11.2008