6.3.2005 - BR, Katholische Welt,
Null Bock auf Reformen? Zehn Jahre Kirchenvolksbegehren
Sprecher: Es ist der 29. Mai 2003. Ökumenischer Kirchentag in Berlin. Die katholische Kirchenvolksbewegung "Wir sind Kirche" und die ökumenische "Initiative Kirche von unten" sorgen für helle Aufregung. Denn sie haben zu einem katholischen Gottesdienst in die evangelische Gethsemane-Kirche eingeladen: mit offener Einladung zum Abendmahl. Die deutschen katholischen Bischöfe sind empört.
Gotthold Hasenhüttl: Auch ich möchte Sie ganz herzlich zum ökumenischen Gottesdienst mit Eucharistiefeier nach katholischem Ritus und offener Kommunion begrüßen. Alle sind eingeladen zum Empfang des Abendmahls als Zeichen der Gemeinschaft untereinander in Jesus Christus, in den Symbolen von Brot und Wein.
Sprecher: Mit diesen Worten begrüßt der katholische Theologieprofessor Gotthold Hasenhüttl aus Saarbrücken die Besucher des Gottesdienstes. Die Veranstalter hatten bereits zwei Jahre zuvor auf dem Katholikentag in Hamburg ebenfalls einen Gottesdienst mit gemeinsamem Abendmahl gefeiert, sogar als ökumenische Liturgie. Die Folge: Der beteiligte katholische Priester Hermann Münzel wird vorübergehend von seinem Amt suspendiert. Die katholischen Reformgruppen aber fordern beharrlich von ihrer Kirche, evangelische Christen zur katholischen Eucharistiefeier zuzulassen und auch Katholiken die Teilnahme am evangelischen Abendmahl zu erlauben. Sie wollen dieser Forderung auch mit Gehorsamsverweigerungen Nachdruck verleihen. Das offizielle Verbot der gegenseitigen eucharistischen Gastfreundschaft sei theologisch nicht mehr nachzuvollziehen, heißt es zur Begründung.
Take 2: Kann Jesus Christus denn nicht auf verschiedene Weise für Menschen mit unterschiedlichem Verständnis gegenwärtig sein? Auf evangelische Weise, auf katholische Weise, auf jede christliche Weise?
Sprecher: Annegret Laakmann, hauptamtliche Referentin der Kirchenvolksbewegung, früher als Unternehmerin tätig, fasst den Standpunkt ihrer Mitstreiterinnen und Mitstreiter so zusammen:
Annegret Laakmann: Es ist verboten, dass evangelische Christinnen und Christen an der Eucharistie teilnehmen und umgekehrt. Es passiert aber. Es gibt viele Gemeinden, wo die gegenseitige Gastfreundschaft selbstverständlich ist und das lassen sich Menschen auch nicht mehr verbieten.
Sprecher: Doch in Rom sieht man das ganz anders. Die Folge: Gotthold Hasenhüttl wurde Ende letzten Jahres von seinem Priesteramt suspendiert. Begründung: Er habe sich nach dem Kirchenrecht eine Straftat zu Schulden kommen lassen.
Musik Ich träume eine Kirche .....
Sprecher: Katholische Christen, die sich in der Kirchenvolksbewegung "Wir sind Kirche" engagieren, träumen von einer anderen Kirche. Fünf Forderungen hat man sich aufs Panier geschrieben:
Zitator: Erstens: Die Überwindung der Kluft zwischen Klerus und Laien, Aufbau einer geschwisterlichen Kirche also.
Zweitens: Die volle Gleichberechtigung der Frauen, also auch den Zugang zum Priesteramt.
Drittens: Freie Wahl zwischen Ehe und Ehelosigkeit für die Priester.
Viertens: Eine positive Bewertung der Sexualität und eine Anerkennung der persönlichen Gewissensfreiheit der Gläubigen.
Fünftens: Mehr Ermutigung und Verständnis für die Menschen, Abkehr also von unbarmherziger Härte und einengenden Normen.
Sprecher: Damals, im Jahre 1995, sammelte man in Österreich 500 000 und in Deutschland rund 1,8 Millionen Unterschriften unter diese Forderungen. Inzwischen gibt es in fast allen deutschen Bistümern Gruppen der Bewegung. Man ist im Internet präsent, meldet sich mit Stellungnahmen zu aktuellen und strittigen kirchlichen Themen in der Öffentlichkeit zu Wort, demonstriert vor Kirchen für die Priesterweihe von Frauen, gegen den Zölibat und gegen Willkürmaßnahmen einzelner Bischöfe. Auf den Katholiken- und Kirchentagen organisiert die Kirchenvolksbewegung eigene Veranstaltungen, auf denen dann Theologen wie Hans Küng und Eugen Drewermann auftreten oder der amtsenthobene französische Bischof Jacques Gaillot. Auch international hat man sich mit ähnlichen Gruppierungen in anderen Ländern vernetzt. Die Reformbewegung „Wir sind Kirche“ weiß sich dabei in ihren inhaltlichen Positionen von vielen Katholiken unterstützt. Das belegen neuere Umfragen. Doch das ist nur die eine Seite. Denn gleichzeitig ist in den letzten Jahren in der Bevölkerung das Interesse an der Kirche deutlich gesunken. Eine große Repräsentativumfrage aus dem Jahre 2003, durchgeführt von der Unternehmensberatung McKinsey, der Illustrierten "Stern", t-online und dem ZDF, ergab:
Zitator: Nur vier Prozent der Bevölkerung sehen in innerkirchlichen Reformen ein vordringliches gesellschaftliches Thema. Und nur etwa 30 Prozent der Katholiken bezeichnen Reformen in der Kirche als relativ dringend.
Sprecher: Die Katholische Nachrichtenagentur kommentierte seinerzeit kurz und knapp:
Zitator: Den Leuten wird zusehends egal, ob sich die Kirchen noch ändern.
Sprecher: Und selbst Bemühungen um eine ökumenische Annäherung der Kirchen finden nicht den großen Zuspruch, den sich kirchliche Reformer wünschen. So hat eine Emnid-Untersuchung ergeben:
Zitator: Immerhin rund ein Fünftel der Christen in Deutschland plädiert dafür, dass die Kirchen getrennt bleiben sollen. Unter den 14 - bis 29jährigen sind es sogar 39 Prozent, die finden, dass alles so bleiben sollte wie es ist, weil das doch ein schönes Zeichen der Glaubensvielfalt sei.
Sprecher: Ulrich Ruh, Chefredakteur der katholischen Monatszeitschrift „Herder-Korrespondenz“ in Freiburg, ist daher skeptisch, was die Reformbegeisterung der Kirchenvolksbewegung angeht:
Ulrich Ruh: Die Leute sind nicht bereit, sich dafür in der Kirche einzusetzen, weil sie entweder zur Kirche nur den Kontakt haben, den sie sich gerne wünschen und den sie für sich als angemessen halten und mit dem ganzen Kirchenapparat nichts zu tun haben oder … der Meinung sind, es ändert sich ja doch nichts, auch wenn wir das bei Meinungsumfragen zu Protokoll geben. Es ist ja ein großer Unterschied, ob ich – wenn ich danach gefragt werde bei einer Umfrage – sage: Ja, ich hätte nichts dagegen oder mich sozusagen dafür aktiv einzusetzen. Das ist ein großer Unterschied. Und die Gruppe, die sich dafür aktiv einsetzt, die wird …kleiner und älter.
Sprecher: Ulrich Ruh hält die Kirchenvolksbewegung im Grunde für überflüssig. Sie vertrete Anliegen einer kleinen Gruppe, die in der katholischen Kirche zum Teil nicht konsensfähig seien:
Ulrich Ruh: Der breite Strom, der in der Kirche ist, hat sich ja mit der kirchlichen Institution längst arrangiert. Der weiß ja, dass ihm niemand mehr was vorschreibt im Ernst, was er zu glauben hat – die Pfarrer tun’s nicht, die Religionslehrer tun’s nicht, die Laienmitarbeiter im pastoralen Dienst tun’s nicht. Also er kann leben und glauben als Kirchenmitglied, wie er es für richtig hält...
Sprecher: Viele Aktive in den katholischen Verbänden, viele Theologen und selbst einige Bischöfe stellten die Verpflichtung der Priester zur Ehelosigkeit ebenfalls in Frage, argumentiert der Theologe und Journalist. Viele Katholiken könnten sich auch eine stärkere Beteiligung der Gläubigen an der Wahl eines Bischofs vorstellen. Einige der Forderungen der Kirchenvolksbewegung würden also durchaus von vielen Katholiken geteilt. Die eher allgemein gehaltene Forderung nach einer positiven Einstellung der Kirche zur Sexualmoral aber hält Ulrich Ruh für überflüssig, weil längst überholt:
Ulrich Ruh: Die regen niemanden mehr auf, weil sich ja nach allem, was man weiß, auch die praktizierenden Katholiken an die kirchlichen Regeln nicht mehr halten und damit längst ihren Frieden gemacht haben. Ich bin … noch aus der Zeit …, da haben sich viele Leute noch aufgeregt, die sozusagen auf neue Freiheiten gesetzt hatten. Aber inzwischen haben sich die Leute diese Freiheiten längst genommen, empfinden sie nicht mehr als Freiheiten, die man sich genommen hat, sondern als Freiheiten, die selbstverständlich sind. Und damit fällt das Movens für den Protest weg.
Sprecher: Als Indiz dafür, dass die Kirchenvolksbewegung insgesamt an Zugkraft eingebüßt hat, kann die Tatsache gesehen werden, dass die Mitstreiter in den eigenen Reihen inzwischen überwiegend älter als 45 Jahre sind. Jüngere finden kaum noch den Weg in die einzelnen Bistumsgruppen. Es droht die Vergreisung der Bewegung. Der Freiburger Religionssoziologe Michael Ebertz wundert sich über diese Entwicklung nicht. Er sieht in der Kirchenvolksbewegung ein Generationenprojekt, dem er keine große Zukunft mehr bescheinigt. Die Generation der Reformer habe noch den innerkirchlichen Aufschwung durch das Zweite Vatikanische Konzil in den 1960er Jahren und durch die Würzburger Synode aller deutschen Bistümer in den 1970er Jahren miterlebt. Das gelte naturgemäß für die jungen Leute nicht mehr:
Michael Ebertz: Das Konzil ist jetzt über vierzig Jahre her .... und für viele ist das ein Datum, das weit vor ihrer Geburt liegt und nichts mit ihrer Biographie zu tun hat. Das heißt: Diese Aufbruchstimmung, die haben die historisch nicht erlebt die heutigen jungen Leute. Und man kann nicht diese Geschichte, die diese Reformgeneration erlebt hat, die kann man nicht nachholen, die muss man eben erlebt haben, muss an ihr teilgenommen haben. Man kann nicht quer einsteigen und das gewissermaßen kognitiv nachfühlen und nachholen.
Sprecher: Doch Michael Ebertz sieht noch einen weiteren, gewichtigeren Grund, warum die Reformgruppen bei jüngeren Menschen an Bedeutung verloren haben:
Michael Ebertz: ....weil sie in der Tat keinen Erfolg haben. Die gesetzten Ziele werden durch die Bank nicht erreicht, und zwar nicht ein Jahr lang, zwei Jahre lang, drei Jahre lang, sondern jetzt schon jahre- und jahrzehntelang ist erkennbar der Misserfolg dieser Bewegungen.
Sprecher: Das habe einen ganz einfachen Grund, sagt Michael Ebertz, und der liege in der Verfassung der römisch-katholischen Kirche.
Michael Ebertz: Diese kirchliche Institution ist gewissermaßen ultrastabil. Sie hat ein Kirchenrecht, in dem sind ganz bestimmte Strukturen (sind) festgelegt bis in alle Ewigkeit... Und das ist die Hierarchie, das ist die Unterscheidung von Klerus und Laien, das ist die Nichtzulassung der Frau zum Priesteramt. ... Diese Institution ist auch ein global player, der Krisen hier durch Erfolge woanders wettmachen kann. Dieser global player ist nicht gezwungen, sich wirklich in den entscheidenden institutionellen Momenten zu verändern.
Sprecher: Viele Katholiken hätten daher längst die Illusion aufgegeben, dass sich die Institution katholische Kirche im Sinne der Kirchenvolksbewegung verändern ließe, die Jüngeren schon gar. Bei ihnen macht der Freiburger Religionssoziologe eine veränderte Mentalität aus. Die jungen Menschen wollten sich nicht mehr langfristig an eine Aufgabe binden, sondern nur von Fall zu Fall bei einem Projekt mitmachen, wenn es ihnen selbst denn auch etwas bringt. Auch stünden sie allen Institutionen in der Gesellschaft skeptisch gegenüber, nicht nur der Kirche, beobachtet der Soziologe. Ihr Interesse richte sich vor allem darauf, das eigene Leben hinreichend gut zu bewältigen - und das möglichst mit Spaß und Erfolg:
Michael Ebertz: Diese fünf Forderungen - mein Gott, nun ja, wenn sie halt nicht erfüllt werden in dieser Kirche, dann lebt man sie woanders. Das schert diese jungen Leute nicht mehr, die klinken sich ja auch dann zunehmend aus der Kirche aus. Warum soll man denn in dieser Kirche noch bleiben?... (166) Man könnte ja sagen: Es sind vielleicht weniger die Jugendlichen, die da anzusprechen wären, sondern eher diese jungen Erwachsenen, diese 20- bis 30jährigen. Aber die haben mittlerweile auch andere Sorgen. Die sind sehr stark studiumsorientiert, leistungsorientiert, partnerschaftsorientiert, das Thema Freundschaft, Sexualität, Familie, Kinderkriegen, das steht wieder ganz oben an. Und das ist ja auch komplexer geworden ... das ist ja alles nicht mehr so selbstverständlich. Da muss man ja arbeiten an sich selbst, am eigenen Körper, an der eigenen Beziehung. Warum noch arbeiten für eine Institution, für eine Bewegung, die sich nicht bewegt, für eine Institution, die sich nicht bewegt? ... Man sollte sich da auch keiner Illusion hingeben meines Erachtens, dass da ein Neuaufbruch in diesen Aufbruchsbewegungen erwartbar ist.
Musik (Ich träume eine Kirche,)
Sprecher: In der Reformbewegung "Wir sind Kirche" sieht man diese veränderten Rahmenbedingungen, wie sie der Soziologe beschreibt, überraschend nüchtern, ja fast schon abgeklärt - jedenfalls in der Leitungsebene der Bewegung. Dass man überhaupt nichts erreicht habe, wie Michael Ebertz urteilt, sei so nicht richtig, sagt Annegret Laakmann, die so etwas wie die Geschäftsführerin der Bewegung ist; zumindest sei es nicht ganz richtig:
Annegret Laakmann: Na ja, wir haben zumindest erreicht, dass die Gemeinden doch wach geworden sind oder wacher sind und wacher reagieren. Und wir haben erreicht, dass Rom reagiert durch Verbote. Wenn es nicht unruhig wäre im Kirchenvolk, würde, müsste Rom nicht mit Verboten reagieren.
Sprecher: Konkreter wird Christian Weisner. Der 53jährige Städteplaner aus Hannover war es, der damals - vor zehn Jahren - die Idee hatte, das österreichische Kirchenvolksbegehren auch in Deutschland durchzuführen. Seitdem wird der Mann nicht müde, in vielen Diskussionsveranstaltungen und Interviews für Reformen in seiner Kirche zu werben. Der Kritik, wie sie Michael Ebertz und Ulrich Ruh äußern, widerspricht er sehr entschieden. Sein Rückblick auf die letzten zehn Jahre fällt positiv aus:
Christian Weisner: In der Frage der Mitbestimmung fordern jetzt auch Verbände, dass Bischöfe mit gewählt werden müssen vom Volk… In der Frage der Frauenordination ist es ein Erfolg, dass sich die Menschen das jetzt vorstellen können, dass auch Bischöfe sagen: Ja, ich habe früher nie drüber nachgedacht, aber ich kann mir’s vorstellen, dass auch Frauen geweiht werden können. In der Frage des Zölibats sehen wir im Augenblick die Notwendigkeit: Wir kommen mit den Priestern, die wir haben, überhaupt nicht mehr über die Runden … Und in der Frage der Sexualität: Wir haben mit dafür gesorgt, dass die deutschen Bischöfe sehr schnell Regelungen, die noch nicht perfekt sind, aber Regelungen gegen die sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen getroffen haben. Wir haben mit angeschoben, dass die Laien die Schwangerschaftskonfliktberatung übernommen haben, das Zentralkomitee, aber jetzt auch die Kirchenvolksbewegung „Wir sind Kirche“ mit ihren fünf Beratungsstellen. Das heißt: …Wir leisten sehr konkrete Arbeit. Und das hat sich auf jeden Fall gelohnt.
Sprecher: „Wir sind Kirche“ versteht sich als eine Art pressure group in der katholischen Kirche, als eine Art Reformmotor.
Christian Weisner: Der Kirchenvolksbewegung ist es ein Anliegen, innerhalb der römisch-katholischen Kirche etwas zu bewegen. Und das heißt natürlich, das erfordert auch, dass man sich dafür einsetzt; das heißt, dass man sich für eine Pfarrgemeinderatswahl aufstellen lässt, dass man immer wieder diese Forderungen vorbringt. Es ist ja einfach so, dass … die Kirchenleitungen, die Bischöfe, letztlich ja nur darauf warten, dass die Leute, die noch den Mund aufmachen, die Kirche verlassen. Und diesen Gefallen tun wir ihnen nicht.
Sprecher: Man will sich nicht aus der Kirche hinausdrängen lassen und widerspricht energisch, wenn einzelne Bischöfe – wie etwa der Regensburger Gerhard Müller – die Kirchenvolksbewegung für nicht mehr katholisch hält. Christian Weisner hält dem entgegen:
Christian Weisner: Jede große Organisation braucht eine loyale Opposition. Und wenn sie die nicht mehr hat, dann hat sie auch nicht mehr die Fähigkeit, … die Zeichen der Zeit zu erkennen. Dann hat sie das verloren. Dann ist sie eine Sekte. Also insofern ist es essenziell für so eine Kirche notwendig: Sie braucht Reformbewegungen.
Sprecher: Dass sich die jungen Leute heute zunehmend von der Kirche abwenden und auch für Reforminitiativen kein sonderliches Interesse zeigen, hat man auch in der Kirchenvolksbewegung registriert. Geschäftsführerin Annegret Laakmann erklärt sich diesen Trend so:
Annegret Laakmann: Das ist ein Phänomen der Gesellschaft, das ist kein Phänomen der Kirche. Ich komme ja eigentlich aus der Frauenbewegung. Und da empfinden wir das besonders stark. Dass im Grunde genommen das alles, was wir erreicht haben, heute auch als selbstverständlich angesehen wird und die jungen Frauen heute nicht mehr darauf achten, ob auch umgesetzt wird, was es inzwischen an Gesetzen gibt.
Sprecher: Annegret Laakmann und Christian Weisner stehen für eine Generation, die überzeugt davon ist, dass nur der etwas ändert in der Kirche, der in ihr bleibt und in ihr kämpft. Den katholischen Reformern liegt noch etwas an ihrer Kirche. Sie arbeiten sich ganz selbstverständlich an ihr ab. Sie rennen voller Elan gegen die Wände der Institution. Es ist so etwas wie ihre Lebensaufgabe geworden, ja ein Engagement aus dem Glauben heraus, den sie sich auch nicht von konservativen Kritikern absprechen oder miesmachen lassen wollen.
Annegret Laakmann: Es ist vielfach so, dass Frauen mir dann auch schreiben: Also, ich möchte eigentlich nicht mehr in eurer Bewegung sein, ich sehe das inzwischen anders, ich bin aus der Kirche ausgetreten, ich brauche das nicht mehr. Das wird aber daran nichts ändern, dass der Glaube von Frauen nicht in der amtlichen Verkündigung ist, das wird nichts daran ändern, dass in der Kirche Entscheidungen getroffen werden, an denen Frauen keinen Anteil haben... Wenn es für sie eine Lösung ist, wenn sie sagt, ich bin krank daran geworden und jetzt geht es mir wieder besser, dann ist das für mich okay. Dann ist das eine krank machende Kirche, die muss man dann verlassen.
Sprecher: Annegret Laakmann und Christian Weisner wollen ihre Kirche nicht verlassen. Sie wollen für ihre Vorstellungen und Anliegen streiten. Damit sitzen die katholischen Reformerinnen und Reformer zwischen allen Stühlen: Von der offiziellen Kirche werden sie zum Teil angegriffen und diffamiert oder totgeschwiegen; so wollte sich weder der Rottenburger Bischof Gebhard Fürst noch sein Trierer Kollege Reinhard Marx in dieser Sendung zur Kirchenvolksbewegung äußern. Von vielen Katholiken wird die innerkirchliche Opposition einfach nur ignoriert. Andere halten die Reformforderungen zwar für richtig, wollen aber nicht selbst mittun in der Bewegung. In der christlichen Zeitschrift Publik-Forum, die der Kirchenvolksbewegung mit großer Sympathie gegenüber steht, analysierte Redakteur Peter Rosien:
Zitator: Was könnten die Gründe sein, dass vor allem "Wir sind Kirche" kaum etwas bewirkt hat? Drei Vermutungen: Man hat den Gegner unterschätzt. Man hat stets nur systemimmanent agiert. Und man hat den theologischen Kampf um die befreiende Frohbotschaft gar nicht erst aufgenommen. Da ist kein Funke übergesprungen, das schrumpfende Kirchenvolk blieb nach dem inspirierenden Anfang von 1995 mäßig interessiert. Viele haben resigniert.
Sprecher: Die Kirchenvolksbewegung dürfe nicht allein auf den Dialog mit den Bischöfen setzen, den diese ja stets verweigerten. Sie müsse vielmehr durch gezielte Regelverletzungen auf sich aufmerksam machen, fordert der Journalist Peter Rosien. Doch die Reformer sind gebrannte Kinder. Auf dem Ulmer Katholikentag hat es keine gemeinsame Abendmahlsfeier gegeben. Man wollte nicht wieder die Suspendierung eines katholischen Geistlichen provozieren. Die Reformer setzen darauf, die Menschen in den Kirchengemeinden mit eigenen Aktionen zu erreichen und anzusprechen. Zum Beispiel mit ihrer Aufforderung an die Pfarrer, entgegen dem römischen Verbot Laien zur Predigt zuzulassen. Oder mit ihrer Aufforderung, entgegen dem römischen Verbot Experimente im Gottesdienst zu wagen, wenn diese zu mehr Lebendigkeit und Glaubensfreude beitragen. So lautet denn die Botschaft der Kirchenvolksbewegung an die Kirchengemeinden: Feiert einfach weiter eure Gottesdienste so, wie ihr es für richtig haltet! Annegret Laakmann:
Annegret Laakmann: Wir können im Grunde genommen die Menschen, die dann gerade in dieser Gemeinschaft sind - eben vielleicht durch die Kinder bedingt oder durch andere Interessen bedingt - die können wir ansprechen… mit unserer Aktion "Wir feiern Hoffnung". Das kann man aber immer auch nur punktuell machen, wenn die Menschen selber in dem Moment betroffen sind. Wenn sie in einem Gottesdienstvorbereitungskreis sind und dann auf einmal merken: Eigentlich ist das nicht erwünscht, was ich hier mache. Dann können sie aufstehen und wenn wir Glück haben, bleiben sie dabei. Und wenn nicht, ja gut, dann muss die neue Generation eben ihre eigenen Bewegungen machen, wenn sie sich in irgendeiner Form eingeengt fühlt.
Sprecher: Genau das aber ist das Problem: Die jungen Leute bleiben erst gar nicht in einer Institution, in der sie sich eingeengt fühlen. Sie verabschieden sich von ihr. So wie sie sich von den Parteien verabschieden oder von den Gewerkschaften. Zumal sich viele junge Leute allein schon vom gutbürgerlichen, eher harmoniebetonten kirchlichen Milieu abgeschreckt fühlen. Sie pflegen einen anderen ästhetischen Lebensstil, sagt der Religionssoziologe Ebertz. Dass die Kirche bei den jungen Leuten an Interesse verloren habe, liege auch an dieser Milieuverengung in den Gemeinden, wie Ebertz es formuliert. Die Kirchengemeinden seien nicht wirklich offen für plurale Lebensstile und auch nicht für die modernen Kommunikationsmittel, die ganz selbstverständlich zum Leben der jungen Leute heute gehörten. Michael Ebertz vermutet, dass dies auch ein Problem der Kirchenvolksbewegung sei. Annegret Laakmann sieht es so:
Annegret Laakmann: Wir können uns nur so darstellen, wie wir gelernt haben, uns darzustellen. Die Jugendlichen werfen uns das natürlich vor, wir haben ja ein paar Jugendliche in der Kirchenvolksbewegung. Aber sie bringen im Grunde genommen für mich nichts, was vergleichbar ist. ... Sie haben viel mehr Möglichkeiten, andere Menschen anzusprechen, über Internet, über e-mail oder was weiß ich. Aber ihnen fehlt natürlich auch, denke ich mir, Zeit und es fehlt ihnen da auch ein bisschen Durchstehvermögen.
Musik (Ich träume.....)
Sprecher: Noch vor zehn, fünfzehn Jahren waren sich katholische Reforminitiativen und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken spinnefeind. Das Zentralkomitee als Vertretungsorgan des organisierten Laienkatholizismus galt als linientreu und Hort der konservativen Reformverweigerer. Deshalb rief die „Initiative Kirche von unten“ – ein Zusammenschluss von derzeit 37 unterschiedlichen christlichen Gruppen und Initiativen - 1980 den „Katholikentag von unten“ ins Leben: als provozierende inhaltliche Alternative zum offiziellen Katholikentag. Inzwischen hat sich die Lage entspannt. Auch das Zentralkomitee der deutschen Katholiken fordert heute mehrheitlich Reformen in der Kirche. Deshalb gebe es von Seiten des Zentralkomitees auch keine Berührungsängste mehr zur Wir-sind-Kirche-Bewegung, sagt Heinz-Wilhelm Brockmann, einer der Vizepräsidenten dieses Gremiums:
Heinz-Wilhelm Brockmann: Ich habe auch überhaupt keine Probleme einzuräumen, dass etwa die Bewegung „Kirchenvolksbegehren“ ein gutes Thema richtig aufgegriffen und eine Bewegung erzeugt hat – hätte eigentlich das Zdk machen müssen. Ich habe auch keine Probleme einzuräumen, dass das ZdK eben nicht kampagnefähig genug ist, das habe ich schon früher mal öffentlich gesagt … Nein, also es gibt sicherlich eine große Bereitschaft jetzt zu sagen von beiden Seiten: Wir müssen Dinge zusammen tun.
Sprecher: Und so finden eine Reihe von inhaltlichen Anliegen der Kirchenvolksbewegung inzwischen auch auf dem offiziellen Katholikentag Platz. Unterschiedliche Auffassungen gibt es allerdings darüber, wie man Reformen am besten erreichen kann und wo die Grenzen sind. So lehnte das Zentralkomitee zum Beispiel die Berliner katholische Eucharistiefeier mit offener Einladung zum Abendmahl als kontraproduktiv ab. Auch sieht das Zentralkomitee seine Aufgabe in erster Linie darin, in die Gesellschaft hinein zu wirken. Heinz-Wilhem Brockmann:
Heinz-Wilhem Brockmann: Ich will überhaupt nicht bestreiten, dass etwa die Diskussion um die Rolle der Frau in der Kirche oder die Diskussion um die Frage der Sexualmoral oder die Diskussion um die Zukunft des Priesteramtes oder die Rolle der Laien in der Kirche, dass das für die innerkirchliche Diskussion wichtige Punkte sind. Ich bin auch der Überzeugung, dass sie gelöst werden müssen. Aber ich habe den Eindruck, dass wir uns nicht an diesen Punkten festbeißen sollten. Damit möchte ich nicht etwa Bischöfen oder Prälaten zustimmen, die von dieser Diskussion ablenken wollen, damit alles beim Alten bleibt.
Sprecher: Denn, da ist sich der CDU-Politiker aus dem niedersächsischen Kultusministerium mit der innerkatholischen Opposition einig:
Heinz-Wilhem Brockmann: Im Augenblick definiert die katholische Kirche in Deutschland und in der Welt den Wirkungsbereich ihrer Pastoral nach der Zahl der noch halbwegs physisch und psychisch präsenten Priester. Das ist natürlich ein wirkliches Versagen an der Pastoral und durch nichts zu rechtfertigen. Dass man Gemeinden verwaisen lässt, sterben lässt, nur deswegen, weil ein alt gewordener Priester jetzt nicht einmal mehr gehen kann. Ich karikiere. Das muss man natürlich diskutieren und darüber muss man natürlich streiten. Aber ich möchte doch gerne dafür werben, dass wir unseren Blick wirklich ein bisschen weiter ... richten.
Sprecher: Die Annäherung zwischen Zentralkomitee und Kirchenvolksbewegung bestätigt auch Christian Weisner. Er markiert aber zugleich die bleibenden Differenzen:
Christian Weisner: Da sehe ich überhaupt keinen Unterschied in der Zielrichtung, genau wie Herr Brockmann… Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken hat ja selber schon vor dem Kirchenvolksbegehren, 1991, in einer langwierig erarbeiteten Schrift „Dialog statt Dialogverweigerung“ den Dialog der Bischöfe angemahnt. Und ist natürlich sehr, sehr traurig, dass dann da mit dem Kirchenvolksbegehren auf einmal so ein Schub kam, also wirklich viel viel mehr Menschen über die Frage der Kirche geredet haben, als das so ein Papier des Zentralkomitees erreichen kann. Aber wir haben seitdem bei allen Katholikentagen sehr konstruktiv mitgearbeitet… Aber wir haben uns vor allen Dingen eingesetzt und ein Zeichen gesetzt mit den Gottesdiensten in der Berliner Gethsemane-Kirche, wo wir die wechselseitige eucharistische Gastfreundschaft praktiziert haben. Und das ist eben natürlich der Vorteil so einer Bewegung, die weder personell noch finanziell von den Bischöfen abhängig ist. Da können wir einen Schritt weiter gehen, da können wir das tun, was das Zentralkomitee selber auch tun möchte, aber in seiner Abhängigkeit nicht tun kann.
Sprecher: Heinz-Wilhelm Brockmann vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken sorgt sich um den Einfluss der Christen in der Gesellschaft. Er will nicht, dass sich die Kirche ins geschützte Getto zurückzieht, auch nicht ins Reformer-Getto. Die katholischen Christen müssten gerade heute politisch Flagge zeigen: in der Bildungspolitik, in der Sozialpolitik, in den heiß umstrittenen ethischen Fragen, wie etwa der Bioethik oder der Sterbehilfe. Deshalb sein Appell:
Heinz-Wilhelm Brockmann: Liebe Reformbewegungen überall: ....Helft dieser Kirche, dass sie endlich in einer qualifizierten Weise etwa in der Sozialpolitik mitredet. Das, glaube ich, kann man nicht sagen, dass sie das in den letzten Jahren getan hat.
Sprecher: Mit diesem Appell trifft Brockmann bei den Aktivisten der „Initiative Kirche von unten“ auf offene Ohren. Denn deren Mitgliedsgruppen wollen nicht nur Reformen in den Kirchen, sondern vor allem und in erster Linie Reformen in der Gesellschaft. Zum Kirchenvolksbegehren hatte die „Initiative Kirche von unten“ 1995 in einer Stellungnahme erklärt:
Zitator: Wir sehen im Kirchenvolksbegehren zwei Gefahren: Die Fixierung der Reformdebatte auf rein innerkatholische Themen einerseits und die trügerische Hoffnung andererseits, ein Erfolg des Kirchenvolksbegehrens könne rasch tiefgreifende Änderungen im System der katholischen Kirche nach sich ziehen.
Sprecher: Tim Schmidt, Öffentlichkeitsreferent der „Initiative Kirche von unten“, sagt dazu heute:
Tim Schmidt: Es gibt verschiedene Aufgaben, die verschiedene Gruppen wahrnehmen. Und "Wir sind Kirche" gehört eben zu denjenigen, die sich sagen: Okay, wir setzen uns eben für ... eine katholische Kirchenreform ein. Initiative Kirche von unten sagt: Wir versuchen auf einer theologischen Basis eine gesamtgesellschaftliche Reform auch zu unterstützen, was Sozialfragen angeht, die ja nun gerade wieder brennend aktuell sind, was Gerechtigkeitsfragen angeht, was Friedensfragen angeht.
Sprecher: Die Kirchenvolksbewegung wird – so wie es aussieht – als organisierte Bewegung zahlenmäßig abbröckeln, zumindest hier in Deutschland. Die Katholiken werden angesichts sinkender Mitgliederzahlen und leerer werdender Kirchenkassen enger zusammenrücken. Die Folge: Überlebensfragen werden wichtiger als Fragen der Kirchenreform - obwohl beide Aspekte, die Reform der Kirche, ihre Glaubwürdigkeit und ihr Überleben durchaus zusammenhängen. Auch hat die weit verbreitete Suche nach einer neuen religiösen Innerlichkeit und nach spiritueller Lebenshilfe den Wunsch nach einer Reform kirchlicher Strukturen, ja selbst kirchlicher Glaubenslehren längst verdrängt.
Zuletzt geändert am 04.07.2009