Februar 2010 - Kirche In (Kolumne „Unzensiert“)
Balkenblindheit
Dass die jüdisch-christliche Botschaft von Gerechtigkeit ein Einmischen in die „weltlichen Dinge“ rechtfertigt, ja sogar erfordert, ist unbestritten. Und in der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise reicht ein bisschen Mahnen hier, ein bisschen Solidarität da, bei weitem nicht aus. Was wird der Münchner Erzbischof Marx – sehr mediengerecht – auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos proklamieren? Wird er einen grundlegenden Systemwechsel der weltweiten Finanzwirtschaft fordern? „Wer aber sich in äußerster Notlage befindet, hat das Recht, vom Reichtum anderer das Benötigte an sich zu bringen“, heißt es in Gaudium et Spes, 68 über „Die Widmung der irdischen Güter an alle Menschen“. Auch das erste gemeinsame „Sozialwort“ der deutschen Kirchen 1997 war noch sehr viel deutlicher als so manche aktuelle Stellungnahme einer „Soziallehre light“.
Warum wird nicht Bischof Jacques Gaillot zum Ökumenischen Kirchentag nach München eingeladen? Er wäre der „etwas andere Sozialbischof“, der nicht durch große Proklamationen und Forderungen an andere, sondern durch konkrete Solidarität in Erscheinung tritt und den sogenannten „Armen“ ihre Würde gibt. Das ist ein zukunftsweisendes christliches Zeichen. Und Bischof Dom Helder Camara sagte schon kurz nach dem Konzil: „Wenn die Kirche nicht den Mut hat, ihre eigenen Strukturen zu reformieren, wird sie niemals die moralische Kraft haben, die Strukturen der Gesellschaft zu kritisieren.“
Christian Weisner
Wir sind Kirche Deutschland
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Zuletzt geändert am 16.02.2010