| |
Veröffentlicht am 10­.02.2010

Februar 2010 - Kirche In (Kolumne „Unzensiert“)

Balkenblindheit

Wenn jetzt Bischöfe „das verantwortungslose Handeln“ beklagen und die Gläubigen dazu aufrufen, trotz der weltweiten Krisen nicht aufzugeben und in Hoffnungslosigkeit zu versinken, dann sind nicht etwa der immer dramatischer werdende Priestermangel oder der viel zu laxe Umgang mit sexueller Gewalt innerhalb unserer Kirche gemeint. Nein, es ist die Finanz- und Wirtschaftskrise, gegen die mit mahnend erhobenem Zeigefinger gepredigt wird. Aber schon bei Matthäus heißt es: „Euer Urteil wird auf euch zurückfallen, und ihr werdet mit demselben Maß gemessen werden, das ihr bei anderen anlegt.“ Die Bischöfe sollten also nicht den Balken im eigenen Auge übersehen, die innerkirchlichen Krisen müssen genauso klar benannt und angegangen werden.

Dass die jüdisch-christliche Botschaft von Gerechtigkeit ein Einmischen in die „weltlichen Dinge“ rechtfertigt, ja sogar erfordert, ist unbestritten. Und in der aktuellen Finanz- und Wirtschaftskrise reicht ein bisschen Mahnen hier, ein bisschen Solidarität da, bei weitem nicht aus. Was wird der Münchner Erzbischof Marx – sehr mediengerecht – auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos proklamieren? Wird er einen grundlegenden Systemwechsel der weltweiten Finanzwirtschaft fordern? „Wer aber sich in äußerster Notlage befindet, hat das Recht, vom Reichtum anderer das Benötigte an sich zu bringen“, heißt es in Gaudium et Spes, 68 über „Die Widmung der irdischen Güter an alle Menschen“. Auch das erste gemeinsame „Sozialwort“ der deutschen Kirchen 1997 war noch sehr viel deutlicher als so manche aktuelle Stellungnahme einer „Soziallehre light“.

Warum wird nicht Bischof Jacques Gaillot zum Ökumenischen Kirchentag nach München eingeladen? Er wäre der „etwas andere Sozialbischof“, der nicht durch große Proklamationen und Forderungen an andere, sondern durch konkrete Solidarität in Erscheinung tritt und den sogenannten „Armen“ ihre Würde gibt. Das ist ein zukunftsweisendes christliches Zeichen. Und Bischof Dom Helder Camara sagte schon kurz nach dem Konzil: „Wenn die Kirche nicht den Mut hat, ihre eigenen Strukturen zu reformieren, wird sie niemals die moralische Kraft haben, die Strukturen der Gesellschaft zu kritisieren.“

Christian Weisner
Wir sind Kirche Deutschland
www.wir-sind-kirche.de

Zuletzt geändert am 16­.02.2010