26. Mai 2006 - Die Welt
Zehntausende beim Katholikentag in Saarbrücken
von Daniel Friedrich Sturm
Saarbrücken - Kanzlerin Merkel will sich für einen Gottesbezug in der geplanten europäischen Verfassung einsetzen. "Wir leben in einer Welt, in der wir uns mit anderen Religionen und Kulturen verstehen und verständigen wollen". Dazu gehöre auch, daß man sich zur eigenen Herkunft und Religion bekennen könne, sagte Merkel auf dem Katholikentag in Saarbrücken. Europa vergebe sich etwas, wenn es die historischen Bezüge ein Stück weit zurückdränge, sagte die Kanzlerin weiter. In dem Verfassungsentwurf gibt es keinen ausdrücklichen Gottesbezug. Statt dessen wird in der Präambel auf das kulturelle, religiöse und humanistische Erbe Europas verwiesen.
Der 96. Deutsche Katholikentag war am Mittwochabend eröffnet worden. Mehrere tausend Menschen nahmen an der Eröffnungsfeier teil, der sich ein "Abend der Begegnung" im Zentrum der saarländischen Hauptstadt anschloß. Das katholische Laientreffen steht unter dem Motto "Gerechtigkeit vor Gottes Angesicht". Bis Sonntag wird mit 40 000 Besuchern gerechnet, darunter 26 000 Dauergästen.
In Saarbrücken ist allerdings von der Euphorie des Weltjugendtages vom vorigen Jahr in Köln wenig zu spüren. Damals lag das Sterben von Papst Johannes Paul II. erst wenige Wochen zurück, Benedikt XVI. war neu im Amt und wurde in Deutschland pompös empfangen. Der neue Papst befuhr den Rhein, auf dem Marienfeld fand eine Messe statt, die weltweit verfolgt wurde.
Während sich die Laien im katholischsten aller deutschen Bundesländer treffen (65 Prozent der Saarländer sind Katholiken), wird der Papst im katholischsten Land Europas, in Polen, empfangen. Dem Katholikentag, dem Josef Ratzinger stets kritisch gegenüberstand, ließ er ein Grußwort verlesen, nicht etwa eine Videobotschaft. Der Apostolische Nuntius verlas die Worte Benedikts während der Eröffnungsfeier auf dem Saarbrücker Schloßplatz. Ein neues Interesse am christlichen Glauben stelle er fest, übermittelte Erzbischof Erwin Josef Ender als Botschaft aus dem Vatikan. Mit den Paulus-Worten an die Korinther appellierte der Papst: "Seid alle einmütig und duldet keine Spaltungen unter euch; seid ganz eines Sinnes und einer Meinung."
Dieser Anspruch dürfte für den Katholikentag kaum einzulösen sein, zumal er ihn gar nicht anstrebt. Zwar ist, anders als beim ökumenischen Kirchentag vor drei Jahren, kein Eklat zu erwarten. Der aus Saarbrücken stammende Theologe Gotthold Hasenhüttl ist längst vom Priesteramt suspendiert worden; er hatte 2003 evangelische Mitchristen zur Kommunion eingeladen.
Wider streitende Meinungen aber machen den Katholikentag aus. So wirbt die "Aktion Leben" für "Wahrheit" und "objektive Informationen", indem sie gegen jede Art der Verhütung wettert. Die Vereinigung von Priestern und ihren Ehefrauen ist mit einem Stand ebenso präsent wie die Arbeitsgemeinschaft Homosexuelle und Kirche. "Ganz einer Meinung" dürften deren Vertreter ebenso wenig sein, wie wenn FDP-Generalsekretär Dirk Niebel und SPD-Generalsekretär Hubertus Heil heute in Saarbrücken über "Zukunftsperspektiven des Sozialstaates" debattieren.
So politisch wie einst geht es jedoch längst nicht mehr zu. Grüne Schlüsselanhänger haben lila Halstücher ersetzt, die Parole "Frieden schaffen ohne Waffen" ist nirgends zu vernehmen. Habituell haben die Katholikentagsbesucher längst "abgerüstet". Bärtige Buttonträger mit Birkenstocksandalen, die im Bus zur Gitarre greifen und die Einheimischen verschrecken, sind längst passé. Andere, durchaus sympathische Phänomene, erweisen sich jedoch als konstant: Kaum kommt ein Katholikentag zusammen, wird in Bussen und Bahnen weniger gedrängelt, in der Fußgängerzone weniger gespuckt und geflucht. Und wenn geflucht wird, dann allenfalls über einen verregneten Himmelfahrtstag - also völlig berechtigt.
Zuletzt geändert am 25.05.2006