16.7.2010 - dpa
Kirche droht ihre Glaubwürdigkeit zu verlieren
Käßmann, Mixa, Jepsen - der Kirche geht im Eiltempo das Spitzenpersonal verloren. Persönliche Verfehlungen der evangelischen und katholischen Bischöfe sorgen seit Monaten für Negativschlagzeilen. Das kratzt an der Glaubwürdigkeit.
Hamburg (dpa) - Die Kirche hat an ihrem Spitzenpersonal im Moment schwer zu tragen: Eine evangelische Bischöfin fährt betrunken Auto, ein katholischer Kollege soll Kinder geprügelt haben. Und nun tritt die Hamburger Bischöfin Maria Jepsen zurück, weil Vorwürfe laut wurden, sie habe einen pädophilen Pfarrer gedeckt. Jepsen ist nach Margot Käßmann und Walter Mixa innerhalb von knapp fünf Monaten schon die dritte kirchliche Führungspersönlichkeit, die das Bischofsamt niederlegt. Die evangelische und die katholische Kirche schlittern immer tiefer in eine Glaubwürdigkeitskrise.
«Die Kirche stellt besondere moralische Ansprüche da muss man auch erwarten, dass das Spitzenpersonal dem gerecht wird», sagte der Sprecher der katholischen Reformbewegung «Wir sind Kirche», Christian Weisner. «Wer in der Kirche Verantwortung trägt, von dem wird eben auch eine gewisse Demut erwartet.»
Bemerkenswert ist allerdings die Entschlossenheit, mit der die beiden evangelischen Bischöfinnen Käßmann und Jepsen die Konsequenzen aus Vorwürfen und Fehltritten zogen. Käßmanns schneller Rücktritt nach einer Trunkenheitsfahrt imponierte vielen Menschen - auch solchen, die der Kirche sonst eher distanziert gegenüberstehen. Mit ihrem Schritt erwarb sich Käßmann, bis dahin Ratsvorsitzende der evangelischen Kirche und Bischöfin von Hannover, bundesweit Respekt. Auf dem Ökumenischen Kirchentag in München wurde sie gefeiert, ihre Autobiografie steht seit Wochen ganz vorne in allen Bestseller- Listen. Auch Maria Jepsen zögerte nicht, ihr Amt niederzulegen.
Dagegen hielt der katholische Augsburger Bischof Walter Mixa lange an seinem Amt fest und musste zum Rücktritt gedrängt werden. Prügel für Heimkinder und Veruntreuung von Stiftungsgeldern - diese Verfehlungen wurden Mixa zum Verhängnis. Doch noch einige Wochen nach seinem Rückzug forderte Mixa sein Amt zurück und zog sogar wieder in seine Wohnung im Augsburger Bischofspalais, so als wäre nichts geschehen. Die Gläubigen in der Diözese waren entsetzt.
Jepsen hat nun ihr Amt niederlegt, noch bevor es für sie richtig eng hätte werden können. Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, sagte am Freitag, er könne verstehen, dass manche Menschen irritiert seien, weil erneut eine führende Person in der Kirche ihr Amt aufgebe. Er betonte aber auch: «Es zeigt sich, dass evangelischerseits die Bereitschaft sehr ausgeprägt ist, Verantwortung zu übernehmen und Konsequenzen zu ziehen - und die eigene Person dabei nicht zu schonen.»
Auch «Wir sind Kirche»-Sprecher Weisner zollte Jepsen Respekt: «Das zeigt, dass mit dem Bischofsamt nach evangelischem Verständnis sehr viel mehr persönliche Verantwortung einhergeht. Das würden wir uns auch wünschen, dass das katholische Bischofsamt nicht nur von Gottes Gnaden, sondern auch aus Verantwortung gegenüber den Menschen verstanden wird.»
Trotzdem sind die evangelische und die katholische Kirche in einer schwierigen Situation. «Kirche ist ja eigentlich die letzte Institution, an die die Menschen dann noch glauben, wenn alles schiefgeht», sagte die frühere schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD). Nun drohe die Institution Kirche genauso geschädigt zu werden wie die Banken und Politik.
Zuletzt geändert am 16.07.2010