September 2010 - Kirche In (Kolumne „Unzensiert“)
Das goldene Kalb der Rückwärtsgewandtheit
Indem sie sich in die betroffenen Personen hineinversetzten, nahmen sie wahr, dass das Volk, das Mose aus Ägypten gefolgt war, mit seinem Alleinvertretungsanspruch nicht mehr einverstanden war. Das Verschwinden auf dem Berg und seine Unnahbarkeit wurden zum Ärgernis. Da hatten es dann diejenigen leicht, die schon immer den Fleischtöpfen Ägyptens nachtrauerten und in den religiösen Vorbildern der Vergangenheit Trost suchten. Ein Gott, den man sehen und anfassen kann, einer mit dem man Staat machen kann, wurde ihnen zur Alternative zum Nomadenleben mit Brot vom Himmel und Wasser aus dem Felsen. Ihnen blieb die Zeichenhaftigkeit der Gottesgegenwart in den Lebens-Mitteln, trotz Zelt, Lade und Altar, verborgen.
Bei diesem Prozess der Auseinandersetzung, bei dem ich dabei sein durfte, wurden mir die Parallelen zu unserer Kirchensituation immer deutlicher. Eine in sich selbst verschlossene Kirchenleitung, die dem Kirchenvolk nach dem Aufbruch des II.Vaticanums eigentlich glaubwürdig voranziehen sollte, stattdessen menschliches Versagen mit der Heiligkeit der Institution erklärt, hat keine positive Signalwirkung. Ein wanderndes Volk Gottes, bunt gemischt: die, die mit Euphorie losgezogen sind und den Weg ihren Idealen treu weiter gehen wollen, die Mitläufer, denen jetzt alles suspekt ist und am liebsten das Weite suchen oder sich von denen, die den Aufbruch nie wirklich geschafft haben in die Vergangenheit zurückholen lassen.
Als Mose wieder vom Berg kam, wachte er aus seiner gotterfüllten, menschenfernen Lethargie auf und zerschlug das Goldene Kalb, das Symbol der Rückwärtsgewandtheit. „Und so führte Gott sie in das gelobte Land und sie hatten immer was zu essen", schloss das „Spiel von Moses und seinem Volk". Das wünsche ich uns und unserer Kirche auch.
Sigrid Grabmeier
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Zuletzt geändert am 07.11.2010