5.12.2010 - dpa
Katholische Laien: Missbrauchsbericht kann nur Anfang sein
Lob für den Missbrauchsbericht der katholischen Kirche in München: Bayerns Justizministerin Merk würdigt die Aufklärung als einen eindeutigen Schnitt. Der Reformbewegung «Wir sind Kirche» ist das nicht genug.
München (dpa/lby) - Der Missbrauchsbericht für das Erzbistum München und Freising darf nach Ansicht der Reformbewegung «Wir sind Kirche» für die katholische Kirche kein Schlusspunkt sein. Die aufgedeckten Vertuschungsmechanismen müssten auch bundesweit aufgearbeitet werden, forderte «Wir sind Kirche»-Sprecher Christian Weisner. Der Münchner Erzbischof und Kardinal Reinhard Marx versprach, dass aus dem Bericht die nötigen Konsequenzen gezogen würden. Eine neue Kultur des Hinsehens sei nötig. Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU) lobte den kirchlichen Aufklärungswillen.
In einer bundesweit bisher einzigartigen Studie hatte die Münchner Rechtsanwältin Marion Westpfahl als unabhängige Gutachterin im Auftrag des Erzbistums untersucht, welche innerkirchlichen Strukturen sexuelle und andere körperliche Übergriffe über sechs Jahrzehnte überhaupt ermöglicht hatten.
Westpfahl stellte in dem Erzbistum, das der heutige Papst Benedikt XVI. eine Zeit lang leitete, systematische Vertuschung von Missbrauchsfällen und massive Aktenvernichtung durch Kirchenmitarbeiter fest. Sie konstatierte bei der Vorstellung der Studie am Freitag zudem ein falsch verstandenes «brüderliches Miteinander» in der Kirche und eine völlige Missachtung der Opfer.
Westpfahls Bericht zeigt nach Ansicht der Reformbewegung «Wir sind Kirche», dass eine umfassende Neuausrichtung der Amtskirche notwendig ist. Es reiche nicht aus, die Prävention zu stärken und mit verbesserten Strukturen künftig eine Vertuschung zu verhindern, sagte «Wir sind Kirche»-Sprecher Weisner der Nachrichtenagentur dpa in München. Es gebe einen Zusammenhang zwischen der Missbrauchsaffäre einerseits und der kirchlichen Sexualmoral sowie der Priesterverpflichtung zur Ehelosigkeit (Zölibat) andererseits. So sei in der Kirchenlehre die zentrale Frage zum Zölibat weiter ungeklärt, ob ein Mensch seine Sexualität wirklich völlig negieren könne.
Überfällig sei ein Brief an die Gemeinden vom Vorsitzenden der katholischen Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Robert Zollitsch, zur Missbrauchsaffäre. Ein solches Schreiben sei bereits für Ende November angekündigt worden und offenbar am Widerstand einzelner Bischöfe gescheitert. Weisner nannte es auch bedauerlich, dass die Amtszeit des früheren Münchner Erzbischofs Joseph Ratzinger - des heutigen Papstes - von 1977 bis 1982 in Westpfahls Untersuchung «ein blinder Fleck geblieben ist». Dies hänge wohl auch mit der Aktenvernichtung übereifriger Kirchenmitarbeiter zusammen.
Marx forderte am Samstag in einem Radiobeitrag für den Bayerischen Rundfunk (BR), mehr hinzusehen. «Achtet besser aufeinander, seid aufmerksam, wenn Ihr den Eindruck habt, dass irgendjemandem Leid geschieht.» Aus dem Bericht müssten Konsequenzen gezogen werden. «Und das tun wir auch, damit möglichst nie wieder Menschen Missbrauch und Gewalt erleiden müssen. Denn die Kirche soll ja ein Ort der Gewaltlosigkeit und Liebe gerade für die Kleinen und Schwachen sein», sagte Marx nach Angaben des Erzbischöflichen Ordinariats.
Justizministerin Merk sagte nach Angaben eines Sprechers: «Die katholische Kirche hat einen eindeutigen Schnitt gemacht, und dafür bin ich ihr sehr dankbar. Es ist klar erkennbar, dass jetzt die Opfer wirklich im Mittelpunkt stehen.»
Die frühere Staatsanwältin und Richterin Westpfahl ließ für ihre Studie mehr als 13 000 Akten des Erzbistums München und Freising durchforsten. Die Unterlagen stammten aus den Jahren 1945 bis 2009.
Zuletzt geändert am 18.02.2011