21.12.2010 - ORF.at
Deutschland: „Wir sind Kirche“ verlangt Strukturdebatte
Nürnberg (dpa) Die katholische Kirche wird nach Ansicht der Reformbewegung „Wir sind Kirche“ weiter an Glaubwürdigkeit verlieren, wenn nach den Missbrauchsskandalen nicht ernsthaft über Strukturveränderungen diskutiert wird. „Jetzt müssen die tiefergehenden Probleme angepackt werden“, sagte Christian Weisner von „Wir sind Kirche“ der Nachrichtenagentur dpa.
Machtmissbrauch, ein verkrampfter Umgang mit der Sexualität, fehlende Gleichberechtigung von Mann und Frau und die Pflicht der Priester zur Ehelosigkeit (Zölibat) – „all diese Dinge müssen jetzt auf den Tisch“, forderte Weisner. „Diese Aufarbeitung muss sein, sonst wird der Vertrauensverlust weitergehen.“ Die Bischöfe dürften nicht hoffen, dass die Missbrauchsfälle schnell in Vergessenheit gerieten: „Da wächst kein Gras drüber.“
„Gebt zu, dass ihr schuldig seid“
Weisner vermisst zudem deutliche Zeichen der Kirchenführung. „Man muss sich fragen: Gibt es Rituale zum Schuldeingeständnis? Wie kann man Wege zur Versöhnung finden und ein Zeichen der Umkehr setzen?“ Es genüge nicht, „die Vorfälle organisatorisch in den Griff zu kriegen“, mahnte er. Papst Benedikt XVI. habe in einem Hirtenbrief an die irischen Bischöfe vom März „Vorgaben gemacht“. Auch die deutschen Bischöfe müssten dem folgen.
In Irland hatte sexueller Missbrauch durch Geistliche tiefe Erschütterung hervorgerufen. Zudem hatten Kleriker die Straftaten häufig verharmlost und vertuscht. Der Papst hatte in seinem Schreiben unter anderem gefordert, „dass die Kirche in Irland, um von dieser tiefen Wunde zu genesen, die schwere Sünde gegen schutzlose Kinder vor Gott und vor anderen offen zugeben muss“. Durch Buße müsse die Krise überwunden werden. An die Täter gerichtet notierte er: „Gebt offen zu, dass Ihr schuldig seid.“
„Ernst der Lage nicht erkannt“
2010 hatten zahlreiche Fälle von sexuellem Missbrauch in kirchlichen Einrichtungen auch in Deutschland für Entsetzen gesorgt. Eine Untersuchung, die das Erzbistum München-Freising in Auftrag gegeben hatte, förderte zudem ein Jahrzehnte praktiziertes System der Vertuschung von Missbrauchsfällen im Münchner Ordinariat zutage.
Enttäuscht zeigte sich „Wir sind Kirche“ über den von der Deutschen Bischofskonferenz in Aussicht gestellten Dialog mit den Laien, um die Problemfelder der Kirche zu diskutieren und nach Lösungen zu suchen. Zahlreiche Bischöfe in Deutschland „haben den Ernst der Lage nicht erkannt“, sagte Weisner. Deshalb laufe dieser Prozess nur sehr schleppend an.
Zurückhaltend blickt die Reformorganisation dem Besuch des Papstes 2011 in Berlin, Erfurt und Freiburg entgegen. „Es wäre schön, wenn es Signale für den Dialog gebe.“ Doch gerade die Vorbereitung der Papst-Reise könne davon ablenken. „Das wird eine schwierige Zeit, wir haben derzeit wenig Hoffnung, dass es zu offenen Diskussionen kommt“, sagte Weisner.
http://religion.orf.at/projekt03/news/1012/ne101221_wirsindkirche_fr.htm
Zuletzt geändert am 15.01.2011