3. November 2000 - KNA- Interview
Weisner: Kirchenvolksbegehren von 1995 hat viel bewegt
Weisner erklärte, das "Kirchenvolksbegehren" vom Herbst 1995 sei eine einmalige Aktion gewesen. Eine Wiederholung mache derzeit keinen Sinn. Er betonte, die Initiative wolle eine Stimme in der Kirche und nicht gegen die Kirche sein. Die Forderungen hätten nicht nur randständige Katholiken unterzeichnen können, sondern auch viele Christen aus dem engagierten Kern der Gemeinden. Die "Kirchenvolksbewegung" habe auf den Katholikentagen in Mainz und Hamburg große Zustimmung erhalten und resignierten Katholiken "neue Hoffnung gebracht". Weisner wörtlich: "Sonst wären, denke ich, noch mehr Menschen aus der Kirche ausgetreten." Die Forderungen der Initiative würden derzeit in 40 Ländern erhoben.
"Aus Rom nur kirchenpolitische Verbote"
Aus Rom kämen derzeit nur kirchenpolitische Verbote, nicht aber Glaubensermutigungen, kritisierte Weisner. Das enttäusche die Menschen. Gegen den derzeitigen Papst oder das Papstamt habe die Kirchenvolksbewegung nichts. Sie wende sich aber gegen die Zentralisierung und Machtkonzentration in der römischen Kurie. Dies habe Jesus auf keinen Fall so gewollt. Trotz aller Kritik im einzelnen sehe die Initiative aber das Zusammengehörigkeitsgefühl, das die katholische Kirche als Weltkirche biete, als Bereicherung an. - Das "Kirchenvolksbegehren" der Initiative "Wir sind Kirche" fand vom 16. September bis 12. November 1995 in Deutschland statt. Die Initiatoren treffen sich am 11. und 12. November in Hannover zu einer Bilanz.
DAS INTERVIEW IM WORTLAUT:
KNA: Herr Weisner, 1995 haben fast 1,5 Millionen Menschen in Deutschland, die sich als römisch-katholisch bezeichnen, das Kirchenvolksbegehren unterschrieben. Wäre das heute auch denkbar? Weisner: Nach der leidvollen Auseinandersetzung um die Schwangerschaftskonfliktberatung und den vielen Erlassen aus Rom würden heute noch viel mehr Menschen unterschreiben. Eine Wiederholung macht jetzt aber keinen Sinn. Das war eine einmalige Aktion.
KNA: Was hat denn das Kirchenvolksbegehren erreicht?
Weisner: Das Kirchenvolksbegehren hat in den Köpfen und Herzen der Menschen viel bewegt, denn es knüpft an die Aufbruchstimmung nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil an. Die aus dem Kirchenvolksbegehren hervorgegangene Kirchenvolksbewegung hat seit 1995 immer wieder die Stimme des Kirchenvolkes zu Gehör gebracht – und dies deutlicher, als es die katholischen Verbände aufgrund ihrer Strukturen können. Auf den Katholikentagen 1998 in Mainz und mehr noch in diesem Jahr in Hamburg haben unsere Forderungen große Zustimmung erhalten. Die Frauenordination, mehr Mitbestimmung bei der Wahl der Bischöfe, Schwangerschaftskonfliktberatung, Aufhebung des Pflichtzölibats, werden jetzt ja auch durch das Zentralkomitee der deutschen Katholiken unterstützt. Da hat sich im positiven Sinne viel geändert.
KNA: Aber es ist doch keine einzige Forderung verwirklicht worden.
Weisner: Richtig. Aber da kann ich nur sagen: Kirche ist kein Versandhaus, bei dem man mit Unterschrift bestellt - und in 24 Stunden wird geliefert. Wir sind immer noch in der Phase der Rezeption des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965). Ein Kirchenhistoriker hat einmal gesagt: Es braucht 50 Jahre, bis ein Konzil rezipiert ist. Trotz vieler Rückschritte aus Rom erkennen wir überall in der Kirche Hoffnungszeichen. Denn die Forderungen der Kirchenvolksbewegung werden weltweit erhoben, nicht nur im deutschsprachigen Raum, in den von der Reformation geprägten Ländern. Die Frage des Zölibats ist in Südamerika und Afrika genauso bedeutsam. Und die Rolle der Frau ist auch in Asiens wichtig. Es stimmt also nicht, was leider noch viele Bischöfe sagen: ‚Na ja, das sind eure Forderungen, aber wir müssen auf die Weltkirche achten.‘ Die Kirchenvolksbewegung hat ein Netz in 40 Ländern auf fünf Kontinenten.
KNA: Wie unterscheidet sich denn „Wir sind Kirche“ von der „Initiative Kirche von unten“ (IKvu)?
Weisner: Das Netzwerk der IKvu und die Zeitschrift „Publik-Forum“ sind gewissermaßen die Eltern, die das Kirchenvolksbegehren in Deutschland vor fünf Jahren ins Leben gerufen haben. Während es beim Kirchenvolksbegehren vor allem um innerkirchliche Reformen geht, strebt die IKvu auch gesellschaftliche Reformen an. Aber wir sind eng verbunden und arbeiten punktuell zusammen, etwa bei Katholikentagen. Ich selbst und viele aus der Kirchenvolksbewegung sind in der IKvu engagiert gewesen, sind es zum Teil noch. Gerade der Hamburger Katholikentag hat gezeigt, dass beide Reformgruppen notwendig sind.
KNA: Was wäre anders in der Kirche, wenn es das Kirchenvolksbegehren nicht gegeben hätte?
Weisner: Viele Menschen in der Kirche sind resigniert, gerade Hauptamtliche und selbst Bischöfe. Die Kirchenvolksbewegung hat dagegen neue Hoffnung gebracht. Sonst wären, denke ich, noch mehr Menschen aus der Kirche ausgetreten. Insgesamt hat ein Bewusstseinswandel stattgefunden hin zu mehr Eigenverantwortlichkeit, freier Gewissensentscheidung und – wenn es sein muss – auch zum mutigen Widerstand wie jüngst in der Frage der Schwangerenkonfliktberatung. In den fünf Jahren ist auch den Bischöfen deutlich geworden, dass nicht randständige Katholiken die Forderungen der Kirchenvolksbewegung unterzeichnet haben, sondern Christen, die zum engagierten Kern der Gemeinden gehören. Uns ist es ganz wichtig, eine Stimme in der Kirche und nicht gegen die Kirche zu sein.
KNA: Sind die Forderungen von „Wir sind Kirche“ nicht immer die gleichen Themen?
Weisner: Sicher, aber viele dieser Punkte waren auch schon Thema der Würzburger Synode 1972 bis 1975. Für mich ist die Grundfrage, wie die befreiende Botschaft Jesu heute Menschen vermittelt werden kann. Hat Jesus etwa gesagt, dass Priester unverheiratet sein müssen? Oder dass es keine Mahlgemeinschaft von evangelischen und katholischen Christen geben soll? Es geht doch darum, wie wir heute Gemeinde sein können. Die Zeit der abgezirkelten Ortsgemeinden – Karl Rahner sprach vom Polizeirevier-Prinzip – ist vorbei. Wir können uns künftig in Deutschland finanziell nicht mehr so viel Personal und Kirchengebäude leisten, sondern müssen zu ganz anderen Strukturen kommen. Vor allem aber geht die Zahl der Priester erschreckend zurück. Für uns ist deshalb die Frage wichtig, wie auch Laien Verantwortung für die pastorale Verkündigung übernehmen können.
KNA: Wie ist das Verhältnis der Kirchenvolksbewegung zu den Pfarrgemeinden?
Weisner: Wir haben in den Pfarrgemeinden starken Rückhalt – ob ausgesprochen oder unausgesprochen. Der Kontakt zu den Gemeinden und zu Priestern, Pastoral- und Gemeindereferenten ist uns ganz wichtig. Daher haben wir 1999 und in diesem Jahr Pfingstbriefe an alle 13.000 deutschen Pfarrgemeinden geschrieben. Die einzige Schwierigkeit liegt darin, die Gemeinden auch zu erreichen. Wenn wir allen Gemeinden einen Brief schreiben, ist das allerdings aufwendig und kostet so viel wie ein neuer Kleinwagen. Und mancher Pfarrer wirft einen Brief von der Kirchenvolksbewegung leider immer noch in den Mülleimer.
KNA: Müssten nicht alle Befürworter Ihrer Forderungen in die altkatholische Kirche wechseln?
Weisner: Nein. Es ist gut und wichtig, dass es die altkatholische Kirche gibt. Aber uns ist es wichtig, nicht in eine andere Kirche zu wechseln, sondern Änderungen innerhalb der römisch-katholischen Kirche zu bewirken, zu der wir gehören und die mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil ein neues Kirchenbild der Gemeinschaft und Mitverantwortung geschaffen hat. Untersuchungen zeigen, dass viele Katholiken und Katholikinnen so denken wie die Kirchenvolksbewegung. Das sind Laien, aber auch Priester, Ordensleute und Bischöfe wie der Innsbrucker Bischof Reinhold Stecher und Kardinal König in Wien.
KNA: Wie steht denn die Kirchenvolksbewegung zum Papstamt?
Weisner: In seiner Enzyklika „Ut unum sint“ („Damit alle eins seien“) hat Papst Johannes Paul II. 1995 selber dazu eingeladen, über das Papstamt nachzudenken. Wir haben nichts gegen diesen Papst oder gegen das Papstamt an sich. Aber die derzeitige Zentralisierung und Machtkonzentration in der römischen Kurie bis hin zur Unfehlbarkeit waren so von Jesus auf keinen Fall gewollt. Im Augenblick kommen aus Rom nur kirchenpolitische Verbote, aber keine Glaubensermutigungen. Das enttäuscht die Menschen. Sie möchten ja katholisch sein und gerne zur Kirche gehören. Aber es werden zu viele Hürden und Mauern aufgestellt, etwa, wenn die Ehe gescheitert ist oder Menschen entdecken, dass sie homosexuell sind und so leben möchten. Trotz aller Kritik im einzelnen sehe ich das Zusammengehörigkeitsgefühl, das die katholische Kirche als Weltkirche bietet, aber als eine große Bereicherung. Dies spüren wir auch ganz stark in der weltweiten Vernetzung der Kirchenvolksbewegung.
Interview: Christof Haverkamp
Zuletzt geändert am 26.06.2006