26. April 2005 (?) - Rhein-Neckar-Zeitung
Interview Prof. Norbert Scholl
Professor Scholl, ist die Wahl von Benedikt XVI. für die Reformkräfte innerhalb der Katholischen Kirche wirklich eine „Riesenenttäuschung“, wie dies Hans Küng in einer spontanen Reaktion ausdrückte?
Man kann das auf den ersten Blick so sehen. Ich meine allerdings, dass wir doch nicht vorschnell dem neuen Papst jede Chance nehmen sollten.
Gibt es auch Anzeichen, dass dieser Papst zu Reformen bereit ist?
Es gibt solche Ansätze – wenngleich eher aus früherer Zeit. Wenn er sich an das hält, was er früher gesagt und geschrieben hat, dann ist durchaus Hoffnung da.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Ich habe ein Buch von 1969 entdeckt, da wendet sich Ratzinger vehement gegen eine „Verteidigung der Gestrigkeit“. Es gäbe „einen schuldhaften Skandal, wenn unter dem Vorwand, die Unabänderlichkeit des Glaubens zu stärken, nur die eigene Gestrigkeit verteidigt wird“. Weiter: Es existiere „eine Verranntheit in den eigenen Willen, die sich dem Anruf Gottes“ widersetzte. Es wäre durchaus denkbar, dass er jetzt, als einer, der die volle Verantwortung trägt, nicht mehr als „Verteidiger der Gestrigkeit“ agieren könnte. Er ist klug, hört zu, kennt sich aus – von daher könnte ich mir vorstellen, dass er eine andere Linie fährt und nicht so wird, wie die, die er einst kritisierte.
In seinem neuen Buch kritisiert Ratzinger eine Zukunftsmüdigkeit der Gesellschaft. Das würde der Kritik von 1969 wohl entsprechen?
Das wirft er ja auch der Kirche vor. Es sei zuviel Angst da. Ich weiß nur nicht, ob man dadurch Angst überwindet, indem man alles Althergebrachte festklopft. Oder indem man Verlautbarungen mit vielen „Du darfst nicht“ und „Du sollst nicht“ von sich gibt. Man sollte manchmal etwas mehr Freiheit lassen – gerade in der Ortskirche.
Geht auf Ratzinger nicht auch das päpstliche Dogma zurück, dass über die Frauenpriesterweihe nicht diskutiert werden darf?
Ich hoffe, es wird weiterdiskutiert. Es ist ja auch weiterdiskutiert worden. In diesem Zusammenhang könnte man ihn auch einmal daran erinnern, dass auf der Würzburger Synode 1972, an der Ratzinger teilgenommen hatte, eine Bitte an den Papst gerichtet wurde, er möge doch das Frauendiakonat – das ist ja die Vorstufe zum Frauenpriestertum – zulassen. Aber da ist ja überhaupt keine Antwort gegeben worden. Ebenso wurde damals vehement die Frage der „viri probati“ diskutiert – dabei geht es um bewährte verheiratete Männer, die auch die Priesterweihe bekommen. Das waren damals Ansätze, die von den deutschen Bischöfen mitgetragen wurden, die über das hinausführten, was unter Johannes Paul II. wieder zurückgenommen wurde.
Welche wichtigen Aufgaben sehen Sie, die der Papst zu erledigen hat?
Einmal das, was er heute gesagt hat: Die Ökumene fördern. Ganz wichtig wäre zudem eine innere Strukturreform der Kirche. Der starke Zentralismus, der sich unter Johannes Paul II. ausgebreitet hat, sollte einer Einheit in Vielfalt weichen. Die örtlichen Bischofskonferenzen sollten nicht nur Beratungsgremien sein, sondern auch wirklich Vollmachten und Befugnisse erhalten. Eine Frage ist natürlich auch die Reform des Priestertums, der Ordination. Konkret: Ob hier nicht auch Lockerungen – gerade im Hinblick auf Südamerika – im Zölibat vorgenommen werden sollten. Denn es ist ja ein offenes Geheimnis, dass in lateinamerikanischen Ländern der Zölibat nicht so gehalten wird, wie man sich das vorstellt. Und ich meine, dass auch die Frauenfrage ernsthaft angegangen werden sollte.
Das sind sehr weit reichende „Forderungen“.
Das sind die drängenden Fragen und Probleme. Eine andere Frage wäre auch, ob die päpstliche Sexualmoral einer Korrektur unterzogen werden müsste. Ich war vor einem halben Jahr in Südafrika. Was dort an Aids-Problemen vorhanden ist, kann man nicht damit lösen, indem man sagt „Lebt enthaltsam!“. Hier muss man eben auch einmal über den eigenen Schatten springen und Kondome zulassen. Es darf nicht passieren, dass Ordensschwestern aus dem Orden gestoßen werden, weil sie Kondome verteilen. Das ist leider geschehen unter Johannes Paul II.
Ist Ratzinger vielleicht doch nicht so erzkonservativ, wie dies seinem Image entsprach?
Es gibt zwei Ratzinger: Den jungen Theologen, den Konzilsberater – damals durchaus sehr fortschrittlich. Er hatte dem Kardinal Frings sehr viele vorwärts treibende Impulse geliefert. Das hat sich dann aber mit zunehmendem Alter geändert. Je mehr er in Amt und Würden stieg, desto starrer wurde er. Das ist die eine Seite. Auf der anderen Seite habe ich das Gespräch, das er mit Jürgen Habermas in München geführt hat, gelesen. Da kann ich nur sagen: Ich unterstreiche alles. Da sagt er, es gebe keine religiöse Weltformel, die alles kläre. Und man müsse durchaus die Kultur des Buddhismus, des Hinduismus und des Islam beachten. Das finde ich sehr positiv. Und heute in seiner Ansprache in der Sixtinischen Kapelle kündigte er an, dass er sich bemühen wird um die Ökumene und dass er mit den Weltreligionen ins Gespräch treten wird.
Ein Mann aus dem Lande Luthers als Papst: Bedeutet das also Fortschritte für die Ökumene?
Es könnte so kommen. Aber da kann man dann wieder „Dominus Jesus“ dagegen halten, wo er sagt, es gibt nur die Katholische Kirche und das ist die eine und „einzig wahre“. Niemand weiß heute, wie er sich entwickeln wird. Man sollte ihm eine Chance geben.
Zuletzt geändert am 21.07.2006