23.11.2001 - Publik-Forum Nr. 22, S. 28
Hat Kardinal Lehmann zwei Gesichter?
von Thomas Seiterich-Kreuzkamp
Kardinal Karl Lehmann, der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), ist ein weltläufiger Theologe: Konservativ-aufgeschlossen, ein oberkirchlicher Groß-Intellektueller mit katholisch-liberalen Überzeugungen. Kurz: Ein Oberhirte ganz auf der Höhe der Zeit. Der bienenfleißige Lehmann gilt im Bistum Mainz als ein fähiger Oberhirte. Lehmanns konservative Kritiker in Deutschland und Rom bemängeln, er rede zu verklausuliert, seine Hirtenworte und Stellungnahmen seien gespickt mit zu viel Wenn-und-aber. – Ist Kardinal Lehmann ein Mann mit zwei oder gar mehreren Gesichtern? Ein Publik-Forum aus einem bischöflichen Haus zugesandtes Dokument wirft Fragen auf: Wie hart? Wie kalt kann Kardinal Lehmann sein?
»Persönlich und vertraulich« steht über Lehmanns dreiseitigem Brief vom 8. 12. 1995, gerichtet an seine Mitbischöfe, »An die Hochw. Herren Mitglieder der DBK«. Gegenstand: »Gespräch mit den Initiatoren des KirchenVolksbegehrens am 2. Dezember 1995 in Bonn«. – Kleine Erinnerung, theologisch formuliert: der »Sitz-im-Leben« des Lehmann-Briefs: Pfingsten 1995 hatten Tiroler Katholiken, die über die vom Papst eingesetzten erzkonservativen Bischöfe entsetzt waren, in Österreich ein KirchenVolksbegehren gestartet. Trotz Widerstands von Seiten der Bischöfe und der Amtskirche wurden von Aktivisten auf den Straßen der Republik Österreich rund 500 000 Unterschriften für eine Kirchenreform gesammelt; in nur sechs Wochen. Das deutsche Kirchenvolksbegehren startete im Herbst 1995. In wenigen Wochen sammelten »Laien« über 1,8 Millionen Unterschriften – trotz Behinderung der Aktion durch die Bischöfe und ihre Amtskirche.
Lehmanns Brief beginnt: »Verehrte, liebe Mitbrüder! Wie Sie seit der Sitzung des Ständigen Rates am 21. November 1995 wissen, wollte ich mich am 2. Dezember 1995 bei einem nichtöffentlichen Gespräch mit den Initiatoren des Kirchenvolksbegehrens treffen. Eine förmliche Übergabe der Ergebnisse in der Öffentlichkeit habe ich zurückgewiesen. Bewusst habe ich auch das Treffen an den formellen Dienstsitz der Bischofskonferenz verlegt. Die Bitte um einen Gottesdienst und um eine dementsprechende Öffentlichkeit haben wir von Anfang an abgelehnt.
Das Gespräch dauerte am 2. Dezember 1995 von 16.15 bis 18.30 Uhr. Als ich in der Joachimstr./Kaiserstr. ankam, konnte ich gerade noch vor Ankunft einer zirka 100-köpfigen Demonstration mit Polizei in das Haus kommen, so dass man vergeblich auf meine Ankunft wartete.« Lehmann fährt fort: »Es war aufschlussreich, dass der weitaus überwiegende Teil der friedlichen Demonstrationsgruppe, die ihre Kerzen vor der Joachimstr. 15 deponierte, aus älteren Leuten bestand.« Lehmann weiter: »Das Gespräch fand in Anwesenheit von Herrn Prälat Schätzler und Herrn Dr. Hammerschmidt vom Sekretariat mit Herrn Weisner (Hannover), Frau Kiklas (Dresden) und Herrn Grohmann (Dortmund) statt. Zu Beginn wurde mir die Niederschrift des Notars vom 20. November übergeben. Ich füge im Einvernehmen mit Herrn Weisner eine Kopie dieser amtlichen Niederschrift vom 20. November 1995 diesem Brief bei. Auf der Seite 7 ist das endgültige Ergebnis verzeichnet: 1,845 Millionen Unterschriften, davon 1,48 Millionen von Katholiken.«
Lehmann berichtet über das Gespräch: »Ich stellte zu Beginn fest, dass ich an der Meinung festhalte, das KirchenVolksbegehren sei keine geeignete Methode und auch kein geeigneter Beitrag zur Klärung der angesprochenen Fragen, die wir im übrigen nicht für die vordringlichsten in der heutigen Situation der Kirche halten würden. Danach kamen wir zu einer genaueren Analyse, wobei ich mich im wesentlichen an die auch vom Ständigen Rat gebilligten Punkte in meiner Erklärung vom 19. November 1995 (unmittelbar nach der Auszählung) gehalten habe.« Der Bischofsvorsitzende urteilt über die drei Sprecher des KirchenVolksbegehrens, ungekürzt, im Wortlaut: »Die drei Initiatoren machten einen sehr unterschiedlichen Eindruck, sind aber vor allem durch die Initiative Kirche von unten und Publik-Forum verbunden. Diese institutionelle Verklammerung, die man wohl auch in Zukunft verstärken wird, war recht auffällig.
Die ungefähr 40- bis 45-jährigen Partner sind ausgesprochene Laien. Sie selbst berufen sich auf gute Erfahrungen mit der Kirche, besonders in der Konzilszeit. Das Zweite Vatikanische Konzil ist für sie jedoch eine sehr allgemeine, wenig bestimmte Größe, die jedoch einen kirchlichen ›Fortschritt‹ anzeigt, der von den allgemeinen gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahrzehnte nicht getrennt werden kann. Die theologische Einsicht in die Zusammenhänge ist relativ gering.« Lehmann weiter: » Ich machte sie darauf aufmerksam, dass sie im Blick auf die Äußerungen von Prof. Dr. Hans Küng und vor allem von Prof. Dr. Peter Eicher, nicht zuletzt bei der Pressekonferenz in Hannover am 19. November 1995, verhängnisvolle Identifizierungen mit bestimmten theologischen Strömungen eingegangen seien, die ihre Behauptung, sie wollten ein echtes Gespräch mit den Bischöfen in der Kirche, außerordentlich erschweren, ja geradezu unmöglich machen würden. Es ist nicht ganz klar geworden, wie weit die Initiatoren die Tragweite dieser Bindungen eingesehen haben und auch bewusst wollten.
Gegen Ende wollte vor allem Herr Weisner, der sich am stärksten als Organisationskraft und ›Chefideologe‹ zu erkennen gab, die Zusicherung erwirken, die Bischofskonferenz würde sich bei der Frühjahrs-Vollversammlung ausdrücklich mit den einzelnen Punkten des KirchenVolksbegehrens befassen und dazu auch gezielte Beschlüsse fassen. Ich habe erklärt, wir hätten uns mit den in Frage stehenden Problemen schon oft und längst vor dem KirchenVolksbegehren immer wieder befasst. Wir würden zwar gewiss über die Initiative nochmals sprechen, aber auf keinen Fall Beschlüsse der erwarteten Art fassen. Nach mehreren Anlaufversuchen in dieser Richtung ließ Herr Weisner seine Enttäuschung erkennen, die er auch in der anschließenden Pressekonferenz deutlich äußerte. An dieser Stelle herrschte eine nicht zu übersehende Unzufriedenheit.«
Wie urteilt Lehmann abschließend? Wortlaut: »Die drei Initiatoren sind Kinder unserer Zeit. In vielem kommen sie einem wie ›verführte Verführer‹ vor, die zum Teil idealistischen Vorstellungen anhängen. Es wird sogar eine gewisse Sehnsucht nach Glaube und Kirche geben. Die allgemeine Prägung durch die gesellschaftliche Situation dürfte jedoch größer sein als die Wirkung seitens der Kirche. Dies wirft schon auch schwere Fragen hinsichtlich Glaubensunterweisung, Predigt und Religionsunterricht auf. In diesem Sinne sind die drei Initiatoren Spiegelbilder ihrer Generation. Dies gibt zu denken. Wir müssen ausführlicher über diese Substrukturen und Entwicklungen im Katholizismus sprechen ... In diesem Sinne« sei, so Lehmann, »Wachsamkeit geboten.«
Der Brief – ein Dokument der Bischofs-Kultur in (West-)Deutschland – endet: »Mit herzlichen Grüßen und allen guten Wünschen für einen frohen Advent bin ich Ihr (Segenskreuz) Karl Lehmann«.
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Zuletzt geändert am 08.09.2011