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Veröffentlicht am 10­.10.2011

Oktober 2011 - Kirche In (Kolumne „Unzensiert“)

Wo bleibt die Barmherzigkeit?

Bereits 1994 hatten sich die drei deutschen Bischöfe Kasper, Lehmann und Saier um einen pastoralen Weg für wiederverheiratete Geschiedene zur Zulassung zu den Sakramenten bemüht, wurden jedoch sehr schnell von Kardinal Joseph Ratzinger, dem damaligen Präfekten der Glaubenskongregation, scharf zurückgepfiffen. Umso lobenswerter ist es, dass der Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch, der zugleich Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz ist, kurz vor dem Papstbesuch dieses wichtige Anliegen, das so viele KatholikInnen betrifft, als „Frage der Barmherzigkeit“ erneut ins Gespräch gebracht hat. Jetzt waren es Kardinal Meisner und der Nuntius in Berlin, Erzbischof Jean-Claude Périsset, die die Unauflöslichkeit der Ehe betonten und vor irgendwelchen Erwartungen an den Papst in dieser Sache warnten.

Einen anderen Umgang mit Geschiedenen hatte auch schon der deutsche Caritaspräsident gefordert, „bevor uns Gerichte unsere Unbarmherzigkeit um die Ohren hauen“. Soweit ist es – leider – noch nicht gekommen. Am 8. September hat das Bundesarbeitsgericht zwar in einem Einzelfall die Kündigung eines wiederverheirateten Chefarztes an einem katholischen Krankenhaus aufgehoben. Zugleich betonte das Gericht aber, dass katholische Arbeitgeber grundsätzlich ArbeitnehmerInnen kündigen können, wenn diese nach einer Scheidung erneut heiraten.

Dieses Urteil ist eine herbe Enttäuschung. Damit schwebt weiterhin über allen kirchlichen Angestellten die Drohbotschaft der Entlassung „aus sittlich-moralischen Gründen“. Viele Geschiedene werden dadurch zu nicht-ehelichen Beziehungen gezwungen. Es ist äußerst fragwürdig, dass die römisch-katholische Kirche weiterhin versucht, mit Hilfe staatlicher Gesetze ihre lebensfremden Moralvorstellungen durchzusetzen.

Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen ist nicht beliebig, sondern gilt nur „innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes“ (Art. 140 GG) und muss die allgemeinen Menschenrechte (Art. 1 (2) GG) beachten. So sieht es das deutsche Grundgesetz vor. Wenn aber selbst der wiederverheiratete deutsche Bundespräsident Christian Wulff nach kirchlichen Maßstäben in sündigen Verhältnissen lebt, muss sich unsere Kirche doch fragen, wann sie sich endlich der Wirklichkeit stellen will.

Christian Weisner
Wir sind Kirche Deutschland
www.wir-sind-kirche.de






Eränzung zum Thema von Prof. Dr. Norbert Scholl:

Der Moraltheologe Professor Eberhard Schockenhoff von der Universität Freiburg fordert die Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zum Kommunionempfang, weil Kirche eine „Versöhnungsgemeinschaft“ ist. Die biblischen Schriftsteller haben das Wort Jesu von der Unauflöslichkeit der Ehe und seine Forderung nach unbedingter ehelicher Treue zwar als alleingültigen Maßstab für das Leben in der Ehe festgehalten. Doch zugleich haben sie anerkannt, dass es Ausnahmesituationen von dieser Norm geben kann, in denen eine Trennung vom Ehepartner auch für Christen legitim ist (Herder Korr. 8/2011, 389-394).

Das Konzil von Trient (1545-1563) hatte nach langen Debatten in einer auffällig weitschweifigen Formulierung die Unauflöslichkeit bekräftigt und festgeschrieben - als „gemäß der Lehre des Evangeliums und der Apostel“ (DH 1807). Die neuere dogmengeschichtliche Forschung betont dazu ausdrücklich: „Man kann nicht behaupten, dass das Konzil von Trient die Absicht gehabt habe, die Unauflöslichkeit der Ehe feierlich als Glaubenssatz zu definieren" (Orientierung 6/1980, 70). Auch Pius XI. bezeichnete die Lehre von Trient über die Ehescheidung zwar als „sicher“, nicht aber als „unfehlbar“ oder „endgültig“ (Orientierung 6/1980, 71).

Zu erinnern ist auch daran, dass sich Rom bis heute gescheut hat, die griechische Schwesterkirche, die in Sachen Ehescheidung eine andere Lehre und Praxis kennt und ausübt, deswegen der Häresie zu bezichtigen. Dort wird eine unter Buße vollzogene Wiederheirat von Verwitweten und Geschiedenen toleriert, die allerdings nicht als Sakrament angesehen wird, sondern als kirchliche Notmaßnahme zur Vermeidung eines größeren Übels, das im ungeregelten Zusammenleben bestünde. Ausdrücklich wird festgehalten, dass die Zweitehe nicht der göttlichen Anordnung entspricht, sondern dem seelsorglichen Grundsatz der Billigkeit: „Die Scheidungsgründe werden dabei restriktiv gefasst, aber nicht völlig auf Ehebruch eingeschränkt“ (U. Luz, EKK I, 277).

Zuletzt geändert am 12­.07.2012