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Veröffentlicht am 22­.12.2011

12.2011 - idea

Kirchen rechnen nicht mit Austrittswelle

Hannover/Bonn (idea) – Die beiden großen Kirchen rechnen nicht damit, dass es zu der vom Heidelberger Sinus-Institut vorhergesagten Austrittswelle kommen wird.

Eine repräsentative Umfrage der Forschungseinrichtung hat ergeben, dass rund eine Million Kirchenmitglieder ab 14 Jahren die evangelische oder katholische Kirche verlassen wollen. Das wären 2,4 Prozent aller erwachsenen Kirchenmitglieder, wobei es deutliche konfessionelle Unterschiede gibt. Etwa 3,2 Prozent der Protestanten, aber nur 1,6 Prozent der Katholiken seien zum Austritt bereit, so die Studie. Sie wurde auszugsweise in der Beilage „Christ und Welt“ der Wochenzeitung „Die Zeit“ veröffentlicht. Die Zahl derer, die über einen Kirchenaustritt nachdenken, sei in beiden Konfessionen wesentlich höher. Bei den Protestanten seien es 12,1 Prozent und bei den Katholiken 9,9 Prozent. Das „Schwundpotenzial“ betrage insgesamt mehr als fünfeinhalb Millionen Personen. Die 22 evangelischen Landeskirchen haben zusammen 23,9 Millionen Mitglieder, die katholische Kirche 24,6 Millionen. Seit der deutschen Wiedervereinigung 1990 hat die evangelische Kirche 17 Prozent ihrer Mitglieder verloren, die katholische elf Prozent. Bei den Landeskirchen ging die Zahl der Austritte von 2009 auf 2010 leicht zurück, von 148.450 auf rund 145.250, in der katholischen Kirche schnellte die Zahl dagegen um 47 Prozent auf 181.193 hoch.

EKD: Eine völlig abwegige Annahme

Kirchenvertreter kommentieren die Studie zurückhaltend. Sie vermittle keine besonderen neuen Erkenntnisse, sagte EKD-Sprecher Reinhard Mawick (Hannover) gegenüber idea. Er hält die Annahme für „völlig abwegig“, dass in Kürze eine Million Menschen aus den Kirchen austreten werden. Viele Studien belegten, dass die Austrittsneigung etwas ganz anderes sei als das wirkliche Austrittsverhalten. Außerdem sei die tatsächliche Zahl der Kirchenaustritte gerade in der evangelischen Kirche in den vergangenen Jahren rückläufig. Diese Tendenz werde sich voraussichtlich auch in diesem Jahr fortsetzen. Ferner müsse berücksichtigt werden, dass jährlich knapp 60.000 Menschen wieder in die evangelische Kirche eintreten, übertreten oder sich als Erwachsene taufen lassen. Das zeige, dass sich die Einstellung zu Kirche und Religion im Laufe eines Lebens wandeln könne. Wichtigste Ursache für den Mitgliederschwund sei der Bevölkerungsrückgang in Deutschland. Seit vielen Jahren würden weniger Kinder geboren, was sich auch auf die Kirchenmitgliedszahlen auswirke. Mit Reformprozessen, Angeboten für unterschiedliche Zielgruppen und eine stärkere missionarische Profilierung bemühe sich die Kirche, ihre Verbindung zu den Mitgliedern zu stärken. Nach Angaben der bayerischen Landeskirche haben in diesem Jahr weniger Menschen die Kirche verlassen als im Vorjahr. Von Januar bis Oktober hätten knapp 14.000 Menschen der Kirche den Rücken gekehrt, etwa 3.000 weniger als in den ersten zehn Monaten des Jahres 2010. „Angesichts der Tatsache, dass heute jedermann frei über eine Mitgliedschaft entscheiden kann, ist die Lage sensationell“, fügte Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm (München) hinzu.

Katholische Kirche: „Nicht nachvollziehbar“


Der Pressesprecher der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Matthias Kopp (Bonn), erklärte gegenüber idea, er wolle die Studie erst bewerten, wenn er sie kenne. Bisher sei sie nicht veröffentlicht. Kopps Kollege in der katholischen Diözese Rottenburg-Stuttgart, Thomas Broch, sagte der „Stuttgarter Zeitung“ dass er die Zahlen „nicht nachvollziehen“ könne. Nach dem Austrittshoch im Jahr 2010 mit etwa 15.000 Kirchenaustritten aus der Diözese scheine es sich in diesem Jahr auf dem Niveau von 2009 mit rund 10.000 Austritten einzupendeln.

Katholische Basisbewegung: „Im Stresstest der Glaubwürdigkeit durchgefallen“

Nach Ansicht der katholischen Basisbewegung „Wir sind Kirche“ (München) zeigt die Sinus-Studie, dass die römisch-katholische Kirche „im Stresstest der Glaubwürdigkeit erneut durchgefallen“ sei. Offensichtlich könne selbst der aufwändig inszenierte Papstbesuch im September die dramatische Kirchenaustrittswelle des letzten Jahres mit über 181.000 Austritten nicht stoppen. Wichtigste Ursachen seien massive Zusammenlegungen und Schließungen von Kirchengemeinden sowie der bisherige Verlauf des sogenannten „Dialogprozesses“ zur Aufarbeitung der Missbrauchskrise. Der angekündigte Gesprächsprozess habe sich zu einem unverbindlichen Gedankenaustausch entwickelt.

http://www.idea.de/nc/nachrichten/artikel-drucken/artikel/kirchen-rechnen-nicht-mit-austrittswelle-1.html

Zuletzt geändert am 06­.06.2013