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Veröffentlicht am 08­.03.2012

8.3.2012 - Süddeutsche Zeitung

Angst vor dem Zündfunken

Der Protest katholischer Priester aus Österreich schwappt nach Bayern – die Bischöfe nennen die Reform-Ideen „unchristlich“

Von Andreas Roß

München – Die Grenzüberschreitung hat relativ lange auf sich warten lassen. Schon im Jahr 2006 haben sich in Österreich katholische Priester und Diakone zu einer Pfarrer-Initiative zusammengeschlossen. Ihre Initiatoren waren der frühere Caritasdirektor und Generalvikar der Erzdiözese Wien, Helmut Schüller, und der Benediktinerpater Udo Fischer. Ziel der Initiative war und ist es, ein klares Zeichen für die Erneuerung der katholischen Kirche zu setzen. Mittlerweile haben sich etwa 400 Priester und Diakone und etwa 2000 Laien in der Alpenrepublik der Bewegung angeschlossen. Sie ist längst international geworden. In Frankreich, Brasilien, Irland, Belgien, den USA und Australien haben sich katholische Geistliche die Ziele der österreichischen Kollegen bereits zu eigen gemacht. Nur im benachbarten Bayern, wo sich viele Christen mit der konservativen Haltung ihrer Bischöfe in Augsburg, Regensburg, Passau oder München schwertun, hatte der Protest aus Österreich noch keine Spuren hinterlassen.

Das könnte sich jetzt ändern. Ende Februar hat der Benediktinerpater Arno Jungreithmair, Mitglied im Vorstand der Pfarrer-Initiative , einen viel beachteten Auftritt vor Priestern der Diözese Passau absolviert. Und am Dienstag referierte Jungreithmair als Gast von „Wir sind Kirche“ im Münchner Hansa Haus über „mündige Pfarrer für lebendige Gemeinden“. „Wir sind Kirche“-Sprecher Christian Weisner glaubt daher, dass der Funke nun überspringen könnte. „Und wenn er überspringt, dann zündet er auch.“

Ein Gedanke, der den bayerischen Bischöfen einiges Unwohlsein bereiten dürfte. Denn das, was die Pfarrer-Initiative am 19. Juni 2011 unter der Rubrik „Aufruf zum Ungehorsam“ veröffentlicht hat, ist nicht nur ein Papier, das ein bisschen für Wirbel sorgt und nach einiger Zeit einfach folgenlos in den Schubladen verschwindet. Nein, im Nachbarland wird das, was die rebellischen Pfarrer und Diakone zu Papier gebracht haben, von diesen im kirchlichen Alltag auch schon praktiziert. So wird dort beispielsweise „gutwilligen Gläubigen“ die Eucharistie nicht länger verweigert, das gilt insbesondere für Geschiedene, die wieder geheiratet haben, aber auch für Mitglieder anderer christlicher Kirchen und ab und zu auch für Ausgetretene. Sie missachten auch das Predigtverbot für kompetent ausgebildete Laien und Religionslehrer; sie sprechen sich bei jeder Gelegenheit für die Zulassung von Frauen und Verheirateten zum Priesteramt aus; sie akzeptieren einen Wortgottesdienst mit Kommunionspendung als „priesterlose Eucharistiefeier“. Und sie vermeiden es auch, an Sonn- und Feiertagen mehrfach den Gottesdienst zu zelebrieren, weil sie der Meinung sind, dass ein selbstgestalteter Wortgottesdienst „besser ist als liturgische Gastspielreisen“.

„Die Freudlosigkeit des heutigen Kirchenbetriebs ist kein gutes Zeichen.“

Das kollidiert auch in Österreich mit dem gültigen Kirchenrecht. Doch Pater Jungreithmair sieht genau darin den Sinn des Protests. „Wir wollen, dass dieses Recht geändert wird – und wir sind überzeugt, dass der Weg uns auch dahin führen wird.“

Der Passauer Bischof Wilhelm Schraml hat gegenüber seinen reformorientierten Priestern bereits klargemacht, dass er von diesen Forderungen nichts hält und dass er beispielsweise eine „priesterlose Eucharistiefeier“ als „Abfall vom Glauben“ ansieht. Noch deutlicher wurde der Regensburger Oberhirte Gerhard Ludwig Müller, der die österreichische Pfarrer-Initiative in einer Predigt als „unchristlich“ charakterisierte. „Der Ungehorsam gegenüber Gott und der Ungehorsam gegenüber der legitimen kirchlichen Leitung – gegen Papst und Bischöfe – ist ein Übel, das Spaltung in die Kirche hineinträgt und unser Grundverhältnis zu Gott verfälscht“, wetterte Müller.

Pater Jungreithmair stört das nicht. Für ihn ist der Protest ein „Hilfeschrei“ gegenüber einer Kirche, in der die Diskrepanz zwischen der Leitung und dem Kirchenvolk immer größer werde, in der Pfarreien und damit gelebte Gemeinschaft zerstört und Priester verheizt würden. „Die Freudlosigkeit des heutigen Kirchenbetriebs ist wahrlich kein gutes Zeichen für die Frohbotschaft, die wir als Kirche eigentlich zu verkünden hätten“, sagt Jungreithmair. Und auch den Vorwurf des Ungehorsams weisen die Priester-Rebellen zurück. Sie berufen sich auf ihren Gehorsam gegenüber Gott und auf das eigene Gewissen. Trotz zahlreicher Forderungen aus konservativen Kirchenkreisen haben die österreichischen Bischöfe bislang keinerlei Sanktionen gegen die Priester verhängt.

Sie berufen sich auf ihren Gehorsam gegenüber Gott und ihr eigenes Gewissen.

Möglicherweise auch deshalb, weil sonst die Kirche in der Alpenrepublik noch etwas stärker ins Wanken geraten könnte. Denn der Österreichische Rundfunk (ORF) hat unter den 3500 Pfarrern des Landes eine repräsentative Umfrage gestartet, die den Kirchenrebellen in die Karten spielt. So stehen 72 Prozent der Priester dem „Aufruf zum Ungehorsam“ positiv gegenüber. 68 Prozent sehen einen „bedrohlichen Reformstau“ in der katholischen Kirche, 55 Prozent halten die Öffnung des Priesteramtes für Frauen für vereinbar mit dem Evangelium – und auch die Laienpredigt in der Messfeier wird von zwei Dritteln der Befragten unterstützt. Die Mehrheitsmeinung der österreichischen Bürger kennt Jungreithmair auch: „Die Bewegung ist nicht mehr zu stoppen. Die Bischöfe werden sich bewegen müssen.“

Pfarrer Helmut Schüller, der Sprecher der Pfarrer-Initiative , wird am 19. Mai beim Deutschen Katholikentag in Mannheim auftreten. Gut möglich, dass die Reaktionen im Publikum ähnlich sein werden wie bei Jungreithmairs Vortrag in München, der von einigen bayerischen Pfarrern aufmerksam verfolgt wurde. In der Diskussion meldete sich eine sichtlich gerührte Frau und sagte: „Hier wird unsere Sehnsucht in Worte gefasst.“

Bildunterschrift: Prächtige Kirchengebäude wie der Passauer Dom sind Ausdruck eines stolzen Katholizismus. Doch die Fundamente der katholischen Kirche bröseln längst auch im Freistaat. Gläubige wenden sich frustriert ab, und die Anzahl der Priester sinkt – doch die Bischöfe blocken Reformen ab.

Zuletzt geändert am 08­.03.2012