13.12.2012 - Kölner Stadt-Anzeiger
Von Schwächen und Stärken des Papstes
VON HARALD BISKUP
Köln. Es war kaum zu erwarten, dass der Kölner Chefarzt und Bestseller-Autor Manfred Lütz und Marco Politi, Vatikan-Korrespondent der Zeitung "La Repubblica", sich in der Beurteilung Benedikts XVI. häufig einig sein würden. Gerade daraus bezog das von Chefkorrespondent Joachim Frank moderierte Streitgespräch in der Reihe "frank und frei" im voll besetzten studio dumont seinen Reiz.
In einem Punkt immerhin waren sich die beiden Kenner der katholischen Kirche einig: Dass das Kirchen-Oberhaupt zwar eine "hohe Sensibilität für moderne Intellektualität" (Lütz) entfalte, dass er aber Leitungsfähigkeiten vermissen lasse, obwohl er "von Amts wegen eine Führungsfigur" sein müsse (Politi).
Defizite in der Führung der Kurie habe aber auch die "Lichtgestalt" Johannes Paul II. gezeigt, meinte Lütz, der sich in der Rolle des Benedikt-Verteidigers sichtlich wohlfühlte. "Wollen wir einen Papst, der perfekt organisiert, aber theologisch banal ist?", fragte er.
Auch Politi, der kürzlich eine scharfsinnige Analyse der bisherigen Amtszeit Benedikts vorgelegt hat ("Krise eines Pontifikats") bestreitet nicht Ratzingers intellektuelle Brillanz und dessen liebenswürdige und bescheidene Art. An drei Sündenfällen machte er aber deutlich, warum er den Deutschen als "geopolitischen Leader" einer Organisation mit weltweit mehr als einer Milliarde Mitglieder für ungeeignet hält. Gegenüber dem Islam verfolge er einen "Zickzackkurs". Zu den Negativ-Posten zählt Politi auch den Umgang mit dem Holocaust-Leugner Richard Williamson und dessen von Rom aufgewerteter erzreaktionärer Pius-Bruderschaft. Innerkirchlich am fatalsten sei die "Missachtung" der Kollegialität der Bischöfe. Benedikt XVI. führe die Kirche "absolutistisch und einsam".
Eine von vielen Einschätzungen, die vom Publikum mit Beifall quittiert wurden. Sachter Applaus, als Manfred Lütz, der dem Päpstlichen Rat für die Laien angehört, eine Lanze für mehr Mitwirkung von Frauen brach. Finanzdirektorinnen könnten in der Verwaltung vorzügliche Arbeit leisten. "Wenn der Papst Frauen zu Priesterinnen weihen würde, bräche die Kirche auseinander und würde sich spalten", prophezeite Lütz.
Zu gänzlich unterschiedlichen Bewertungen kamen die beiden Gäste in ihrer Bewertung der Enthüllungs-Affäre um geheime Vatikan-Dokumente. Der Prozess gegen den päpstlichen Kammerdiener habe gezeigt, dass man keine völlige Klarheit wolle, urteilte Politi. Lütz konterte mit der rhetorischen Frage, wer das "leidvollste Opfer" der Affäre sei. Energisch widersprach er der These, der derzeitige Pontifex sei verantwortlich für die Krise des Ponfikats.
Zuletzt geändert am 14.12.2012