10.1.2013 - merkur-online.de
Aufklärungs-Dilemma: Projekt liegt in Scherben
München/Hannover – Der Schaden ist immens: Eigentlich sollte die Beauftragung des renommierten Kriminologen Pfeiffer Beweis dafür sein, wie ernst die katholische Kirche die Aufarbeitung des Missbrauchsskandals nimmt.
Jetzt liegt das ambitionierte Projekt in Scherben.
So einfach lässt sich der bekannte Kriminologe Christian Pfeiffer nicht ausbooten. Nachdem die katholischen Bischöfe dem Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) in Hannover den Auftrag zur Erforschung des Missbrauchsskandals entzogen haben, wehrt er sich auf seine Art. In einer Presseerklärung verbreitet er gestern, dass das Forschungsvorhaben an „Zensur- und Kontrollwünschen der Kirche“ gescheitert sei. Zudem sei die Anfrage, ob systematisch Akten von belasteten Priestern vernichtet worden sind, unbeantwortet geblieben. Und: Pfeiffer kündigt eine eigene Studie zum Missbrauch in der Kirche an. Explizit greift der Forscher die Erzdiözese München und Freising an: Sie habe – zusammen mit der Diözese Regensburg – auf mehr Kontrollrechten bestanden.
Der Streit über die Daten ist offenbar über Monate eskaliert. Die Münchner Rechtsanwältin Marion Westpfahl, die selber 2010 im Auftrag des Erzbistums München und Freising einen schonungslosen Bericht über Missbrauchsfälle von Priestern in der Vergangenheit vorgelegt hat, berichtet auf Anfrage, dass es damals bei ihrem Bericht „nichts gab, was auch nur ansatzweise einer Zensur nahegekommen sei“. Sie habe alle Erkenntniswege ausschöpfen dürfen. Ihrer Meinung nach ist Pfeiffers Forschungsprojekt an der Frage der Veröffentlichungsrechte gescheitert. Der Professor habe dem wissenschaftlichen Beirat gegenüber erklärt: „Das entscheidet der Markt.“ Mit anderen Worten: Der Kriminologe wollte selber bestimmen, mit welchen Daten und Informationen er möglicherweise in Talkshows geht oder welche Informationen er in Interviews verbreitet.
„Das ist schon problematisch, wenn er mit solchen persönlichen Daten über die Dörfer geht“, so die Anwältin. Sie sieht einen „Geburtsfehler“ in der Konstruktion des Forschungsauftrags. Man hätte den Umgang mit den Ergebnissen gleich zu Beginn klarer regeln müssen. „Es ist hochgradig bedauerlich, dass das Projekt so ausgegangen ist. Denn es muss zügig aufgeklärt werden“, so Westpfahl.
Bei einer Neuauflage mit einem anderen Forscher plädiert sie für ein seriöses Mandantenverhältnis. Es müsse klar sein, dass man frei sei in der Gewinnung der Erkenntnisse und diese auch unzensiert dem Auftraggeber mitteilen müsse. „Ich muss mich aber dem Mandanten soweit unterwerfen, dass er mir die Veröffentlichung gestattet. Wenn er das nicht macht, kann die Öffentlichkeit ihre Schlüsse daraus ziehen.“
Der Missbrauchsbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz, der Trierer Bischof Stephan Ackermann, erklärt: Die Kündigung hänge „allein mit dem mangelnden Vertrauen in die Person von Professor Pfeiffer“ zusammen. Der Professor habe „zwischendurch immer wieder Absprachen, die wir getroffen haben, uminterpretiert“. Es habe die Sensibilität für ein solches Vorhaben gefehlt. So hätten die Bischöfe immer wieder Angst haben müssen, dass Pfeiffer Daten zu früh veröffentliche. Ackermann zeigte sich zuversichtlich, dass man „schon bald das Forschungsprojekt mit anderen Partnern in Angriff nehmen“ könne.
Seit dem Jahr 2010, als der jahrzehntelang praktizierte sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen etwa durch Priester oder Heimmitarbeiter bekannt wurde, hat die katholische Kirche einiges unternommen, um Opfern zu helfen. Die Leitlinien zum Umgang mit sexueller Gewalt wurden verschärft. Bei jedem Verdacht wird nun automatisch der Staatsanwalt eingeschaltet. Eine Entschädigung von Opfern mit bis zu 5000 Euro wurde vereinbart.
Die Laienorganisation „Wir sind Kirche“ kritisiert indes das Aus der Missbrauchsstudie. Sie sieht darin ein „verheerendes Signal für die Glaubwürdigkeit der katholischen Bischöfe“. „Die Frage ist, ob die Kirche bereit ist, sich der Aufklärung und der Wissenschaft zu stellen“, sagte deren Vertreter Christian Weisner. „Sie sollte alles tun, damit es nicht nach einer Zensur oder einem Gefälligkeitsgutachten aussieht.“ Der Münchner Kardinal Reinhard Marx müsse sich fragen lassen, warum gerade von ihm und seinem Generalvikar versucht worden sei, das Rad zurückzudrehen. Offenbar seien bei einer Voruntersuchung im Bistum neun Mal so viele Taten in den Akten entdeckt worden als die Kirche bisher angegeben hatte. „Da hat man wohl kalte Füße bekommen.“
Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) bedauerte, dass das Projekt so nicht realisiert werden könne. „Das Anliegen und die Aufgabe einer unabhängigen, wissenschaftlichen Maßstäben entsprechenden Untersuchung sind damit aber nicht erledigt“, mahnt ZdK-Präsident Alois Glück. Der Würzburger Professor für Kriminologie, Klaus Laubenthal, hat Pfeiffer methodische Mängel attestiert. Die Frage des Opferschutzes sei nicht zufriedenstellend gelöst worden. So seien aus Akten hervorgehende Missbrauchsopfer angeschrieben worden. Damit wären sie ungefragt erneut mit zum Teil Jahrzehnte zurückliegenden Ereignissen konfrontiert worden.
Claudia Möllers
Der Münchner Generalvikar Professor Peter Beer war bis November 2011 Mitglied im wissenschaftlichen Beirat des Forschungsprojekts. Dann trat er aus. Wir sprachen mit ihm über das gescheiterte Projekt.
-Warum hat die Kirche die Reißleine gezogen?
Der Ständige Rat der deutschen Bischofskonferenz hat beschlossen, aus der Zusammenarbeit mit Prof. Pfeiffer auszusteigen. Als ein wesentlicher Punkt wurde dabei das zerrüttete Vertrauensverhältnis zu Prof. Pfeiffer angeführt.
-Professor Pfeiffer behauptet, dass man nach allen Datenbegrenzungen etwa die Frage gar nicht mehr hätte klären können, ob ein auffällig gewordener Priester nach einem Wechsel in eine andere Diözese erneut Kinder missbraucht hat. Was sagen Sie dazu?
Fragen zur technischen Durchführung müssen natürlich zuverlässig geklärt sein. Da besteht überhaupt kein Dissens. Nur: Das eigentliche Problem besteht woanders. Es geht um wesentlich Grundsätzlicheres. Es geht um Redlichkeit, Fairness, Seriosität und Zuverlässigkeit einer Untersuchung sowie den verantworteten Umgang mit allen betroffenen Personen.
-Wann war der Punkt erreicht, an dem Sie merkten: Es funktioniert nicht?
Ein von mir eingeholtes juristisches Gutachten hat erhebliche Bedenken bezüglich der Art und Weise der geplanten Untersuchung angemeldet. Ich bin den Bedenken nachgegangen und musste zu der Einsicht kommen: Eine vorbehaltlose Zustimmung zur Aufklärungsarbeit unter den geplanten Bedingungen entspricht nicht meiner Verantwortung als Generalvikar bzw. Arbeitgeber.
-Was heißt das?
Es fehlten z. B. ausreichende Klärungen wie eine sichere Anonymisierung zu erfolgen hat, was mit den erhobenen Daten passiert, wer die Verwertungsrechte bezüglich der entstehenden Berichte hat und wie diese Rechte wahrgenommen werden, welchen Stellenwert die Aussagen des Beirats haben, in dem die Kirche vertreten war. Viele Themen, über die lange gesprochen wurde, letztendlich aber keine Einigung erzielt werden konnte.
-Das Ergründen der Wahrheit mit den datenschutzrechtlichen Bestimmungen sowie der Wissenschaftsfreiheit zusammenzubringen – geht das nicht in der Kirche?
Das hat speziell mit Kirche nichts zu tun. Der verantwortliche Umgang mit personenbezogenen Daten gilt für alle. Jeder von uns hat das Interesse, dass man mit seinen Daten sensibel umgeht. Hier geht es um ein sehr ernstes Thema, bei dem man sich nicht auf Experimente einlassen kann. Es braucht dafür klare, verbindliche Regelungen, auf die sich Prof. Pfeiffer in der aus unserer Sicht notwendigen Form leider nicht einlassen wollte.
-Die Kirche steht jetzt so da, als hätte sie Angst vor dem, was ans Licht kommen könnte.
Wer den Aufklärungsprozess in der Erzdiözese München und Freising kennt – man kann den entsprechenden Bericht auch auf der Homepage der Erzdiözese nachlesen –, der weiß, dass die Erzdiözese keine Angst hat. Wir haben einen sehr schmerzlichen und sehr gründlichen Aufklärungsprozess hinter uns. Der Weg der Aufklärung, Aufarbeitung und Prävention wird weiter gegangen.
-Pfeiffer wirft vor allem der Erzdiözese Versuche der Zensur vor...
Von Zensur kann keine Rede sein. Mit dem Totschlagargument Zensur wird vom eigentlichen Problem abgelenkt, das in der Frage besteht: Wie können der Aufklärungswille und die übrigens auch rechtlich verankerte Fürsorge- bzw. Sorgfaltspflicht eines Arbeitgebers gegenüber Mitarbeitern miteinander in Einklang gebracht werden.
-Sie sind im November 2011 aus dem wissenschaftlichen Beirat des Projekts ausgestiegen. Warum?
Ich habe im Projektbeirat kritisch-konstruktive Fragen gestellt, auf die ich keine zufriedenstellenden klaren Antworten bekam. Unter diesen Bedingungen erschien es mir nicht zielführend, einfach so weiter zu machen.
-Man hört, dass auch der Ton des Professors in einigen Briefen sehr ungewöhnlich gewesen sei...
Herr Professor Pfeiffer pflegt einen eigenwilligen Kommunikationsstil, hinsichtlich dessen die Frage nicht unberechtigt erscheint, wie sich dieser Stil mit der eingeforderten Wissenschaftlichkeit und Sachlichkeit in Einklang bringen lässt.
-Wie groß bewerten Sie den Schaden, der jetzt entstanden ist?
Es ist Schaden entstanden. Es wäre aber auch dann ein Schaden entstanden, wenn man ohne Klärung der genannten Fragen einfach das Projekt durchgeführt hätte. Verlässlichkeit und Vertrauen sind sowohl hinsichtlich der Öffentlichkeit als auch gegenüber den eigenen Mitarbeitern wichtig.
-Aber Sie haben nach wie vor ein Interesse an der Aufklärung?
Ich denke, das Verhalten unserer Erzdiözese lässt diesbezüglich keine Fragen offen. Der Aufklärungs- und Aufarbeitungswille ist ungebrochen vorhanden.
Das Interview führte Claudia Möllers
http://www.merkur-online.de/nachrichten/bayern/dilemma-aufklaerung-2693310.html
Zuletzt geändert am 10.01.2013