19.12.2013 - Stuttgarter Zeitung
„Weltfremd, unbarmherzig, rückwärtsgewandt“
Michael Trauthig
Den deutschen Verantwortlichen in der katholischen Kirchenhierarchie klingelt das Urteil in den Ohren, das die Anhänger ihrer Glaubensgemeinschaft in einer von Papst Franziskus gestarteten Umfrage fällen. Der konservative Kölner Kardinal Joachim Meisner habe einen Realitätsschock erlitten, als man ihm das so erhobene Meinungsbild aus seinem Bistum präsentierte, wird kolportiert. Von einer „fatalen Situation“, die die Umfrage vor Augen führe, spricht offen der Mainzer Kardinal Karl Lehmann. Und das Bistum Rottenburg-Stuttgart stellt ebenso unverblümt fest: die Glaubens- und Sittenlehre der Kirche sei an manchen Punkten für viele „weltfremd, unbarmherzig, rückwärtsgewandt und unglaubwürdig“.
Die südwestdeutsche Diözese gehört zu den wenigen der 27 Bistümern in Deutschland, die auf ihrer Homepage den Fragenkatalog zur Beantwortung online gestellt hatten. Rom hatte die Umfrage zum Thema Ehe und Familie weltweit versandt, um so eine außerordentliche Bischofssynode im kommenden Herbst vorzubereiten. Zumindest in Deutschland ist die Resonanz der Gläubigen darauf verhältnismäßig groß. Mehr als 2000 ausgefüllte Fragebögen gingen bisher im Rottenburger Ordinariat ein, über 800 Teilnehmer hatte die Internetumfrage im Erzbistum München, obwohl sie dort nur eine Woche lief. Rund 900 Rückmeldungen waren es in Mainz, wo nur Gruppen, Gremien und Einzelpersonen eingeladen waren. Fast 10 000 Interessierte machten auf der Website des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend mit.
Die Umfrage kann keine Repräsentativität beanspruchen, hat aber Gewicht. Denn vor allem die Kenntnisreichen und religiös Engagierten haben sich hier geäußert. „Das waren fast alles Leute, die großes Interesse an der Kirche haben, diese tragen und auch theologisch gebildet sind“, sagt Uwe Renz, der Sprecher der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Dieses Bild bestätigt auch die Auswertung in München: Etwa die Hälfte der Teilnehmer dort wusste nicht nur Bescheid über sämtliche kirchliche Gremien, sondern auch über „Humanae Vitae“ – die „Pillenenzyklika“ – und die „Königsteiner Erklärung“ von 1968 der deutschen Bischöfe dazu. Zudem fallen die Resultate der Umfrage überall ähnlich aus, und sie bestätigen frühere Untersuchungen. Dass die kirchliche Sexuallehre im Alltag der allermeisten Katholiken zum Beispiel keine Rolle spielt oder bewusst abgelehnt wird, konnte man wissen. Dass viele Gläubige allerdings ein Verbot von Kondomen gar als „sträflich“ bezeichnen, wie es in Rottenburg heißt, spricht für eine wachsende Distanz zu den kirchlichen Regeln.
Auch beim Thema Partnerschaft plädiert die Mehrheit eindeutig für Reformen. Sexualität solle nicht nur auf die Zeugung von Kindern reduziert werden, heißt es. Das Ideal der lebenslangen Ehe befürworten demnach zwar die meisten, aber sie fordern auch Anerkennung für andere Formen des Zusammenlebens wie Patchworkfamilien, Ehen ohne Trauschein oder gleichgeschlechtliche Partnerschaften. Folglich wird auch mehr Toleranz gegenüber Homosexuellen angemahnt, die nach katholischen Moralvorstellungen eigentlich enthaltsam leben sollten. Diese Vorgabe erscheint zahlreichen Befragten jedoch genauso realitätsblind wie der Umgang mit sind und deshalb grundsätzlich von den Sakramentenrheiratet ausgeschlossen bleiben. Eine solche Praxis betrachten viele Katholiken als eine Strafe, die die Glaubwürdigkeit der Kirche schmälere.
Stattdessen fordern sie mehr Verständnis für Betroffene und sprechen sich – zumindest in Bistum Rottenburg – überwiegend dafür aus, dass auch eine solche zweite Ehe gesegnet werden kann. Von dem besonders unter Bischöfen diskutierten Vorschlag, das Dilemma dadurch zu lösen, dass die Kirche die erste Ehe für ungültig erklärt, halten die Betroffenen laut der Umfrage dagegen nichts. Neben Kritik bei diesen Themen spenden die Angehörigen ihrer Glaubensgemeinschaft aber auch Lob – etwa für deren Angebote zur Familien- und Eheberatung. Die Deutsche Bischofskonferenz wertet nun die Umfrage bundesweit aus, um die Ergebnisse hernach an den Vatikan weiterzureichen. Schon dies stimmt die Kirchenreformer ein wenig hoffnungsfroh. „Eine solche Beteiligung der Basis hatten wir zuletzt Anfang der 70er Jahre vor der Würzburger Synode“, sagt Christian Weisner von „Wir sind Kirche“. Entscheidend sei nun jedoch, was der Vatikan daraus mache.
Zuletzt geändert am 13.01.2014