13.6.2014 - Publik-Forum 11/2014
Der Franziskus-Effekt
Arm werden, die Kirche verändern und in der Welt nicht untergehen: Wie macht man das, wenn man katholisch ist? Der neue Papst setzt starke Zeichen, und der Katholikentag nimmt sie auf. Aber ist das schon eine Revolution?
Triers Bischof Stephan Ackermann weiß nicht, was er tun soll. »Papst Benedikt wollte, dass sich die Kirche entweltlicht. Jetzt will Papst Franziskus eine Kirche der Armen.« Was müsse er, der Bischof von Trier, nun also tun? Sein Bistum verwalte Milliardenbeträge, betreibe Kindergärten, Schulen und Krankenhäuser. Alles aufgeben? Oder umstrukturieren? Und was sei damit überhaupt genau gemeint: eine Kirche der Armen zu werden?
Ackermann, das nimmt man ihm ab, ist voll guten Willens, auf den Papst zu hören. Doch seine Frage wird an diesem Nachmittag im Vielberth-Gebäude der Universität Regensburg nicht eindeutig beantwortet. Das Podium »Franzikus’ Wunsch einer armen Kirche für die Armen« diskutiert über Armut und die Interessen der arm Gemachten, über Hilfe für und Leben mit den Armen, kann aber nicht klären, welchem Konzept der Papst genau folgt (siehe Seite 42). Denn der gibt einerseits vorbildliche Signale der persönlichen Demut und Bescheidenheit, wünscht sich aber andererseits eine »samaritanische Kirche«, die hilft, wo sie kann. Was voraussetzt: Sie muss so viel Geld und so viel Einfluss haben, dass es sich die Mächtigen dieser Welt nicht leisten können, ihre Stimme zu überhören.
So sehen es jedenfalls viele Arme. Zum Beispiel die Dalits, die »Unberührbaren« in Indien. Jesuitenpater Richard de Souza, der mit ihnen lebt, erzählt auf dem Podium, dass jene – unter ihnen auch viele Christen – auf keinen Fall einen armen Papst und eine arme Kirche wollten. Denn dann sei ja niemand mehr da, der ihre Situation verbessern könne. Nein, der Papst müsse auf Augenhöhe bleiben mit den Mächtigen. Würde es anders, wäre das keine Hilfe. So laute das Votum der Armen. Es irritiert viele Katholiken aus der Kirche der Reichen. Insgesamt ist die Lage unübersichtlich. Einerseits fliegen dem Papst die Herzen zu; auch beim Katholikentag in Regensburg ist das zu spüren. Anderseits: Wie um alles in der Welt soll man seinen Idealen folgen? Und kann man es überhaupt? Die deutsche Kirche ist eine der reichsten der Welt. Ist das schon allein deshalb schlecht, weil es so ist?
Reinhard Marx, Kardinal in München und Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, sitzt einer noch reicheren Diözese vor als Ackermann. Immerhin hat Marx mit seinem Namensvetter Karl aus Trier so viel gemein, dass er sich für die soziale Frage interessiert. Karl Marx entwarf den Marxismus, Reinhard Marx trägt die »Katholische Soziallehre« wie ein Banner vor sich her. Das macht sich gut mit Blick auf Franziskus, doch es erklärt noch nicht ganz, was die deutsche Kirche mit dem argentinischen Papst anfangen kann. Reinhard Marx spürt trotzdem Rückenwind aus Rom: »Der Franziskus-Effekt ist da!«, jubelt er in Regensburg. Doch was genau meint er damit? Der Papst hat seiner Kirche zweifelsohne eine Frische-Kur im Auftreten und Mitfühlen verpasst. Die Bilder seiner Nahostreise Ende Mai sprachen Bände: Franziskus berührte Menschen und Mauern – im wörtlichen wie im übertragenen Sinne. Doch berührt er auch Deutschlands Katholiken?
Wie viel Papst darf´s denn sein?
Christian Weisner, Urgestein der Kirchenvolksbewegung Wir sind Kirche, ist mit dem Franziskus-Effekt noch unzufrieden. Besonders mangele es an positivem Einfluss des Papstes auf die deutschen Bischöfe und das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK), sagt er. Zwar habe man in Regensburg »mit Christus Brücken bauen« wollen, sei sich aber nicht ganz klar darüber, »dass am Beginn eines Bauprojekts erst mal Abriss, Schutt und Asche« das Thema wären – »und zwar ziemlich lange«.
Die Bau-Vokabeln gehen Christian Weisner leicht von den Lippen; der Mann arbeitete viele Jahre als Städteplaner. Was er meint mit seiner Abriss-Metapher: »Weder will Deutschlands katholische Kirche arm sein, noch wollen die Bischöfe etwas von ihren Privilegien abgeben, noch machen sie irgendwelche Anstalten, die Laien, die die überwältigende Mehrheit des Gottesvolkes darstellen, auch nur ansatzweise an Entscheidungen zu beteiligen.«
Das sitzt. Und es zeigt, dass schon mal zwei »Problemgruppen« des deutschen Katholizismus den echten Franziskus-Effekt zu verhindern scheinen: die Bischofskonferenz und das – aus Sicht Weisners – zu wenig innovative ZdK.
Wenigstens, so lobt auch Weisner, halte die Laienorganisation der deutschen Kirche so manchen Konflikt mit den Bischöfen dauerhaft aus. Zum Beispiel den um die Schwangeren-Konfliktberatung Donum Vitae. Aber aushalten reiche nicht. Es müsse auch etwas geändert werden. Doch wie soll man das schaffen mit Bischöfen wie Rudolf Voderholzer in Regensburg? Der sich nicht entblödete, in der Debatte um die Zukunft der katholischen Konfliktberatung das Drama um die Abtreibung als »Massaker im Mutterleib« zu bezeichnen? Wem soll das helfen? Ganz sicher nicht den ungewollt Schwangeren im Konflikt, ebenso wenig den Mitgliedern des ZdK, die sich für Donum Vitae engagieren.
Ob der Papst aber das will, was Weisner von den deutschen Bischöfen möchte? Ob der Franziskus-Effekt wirklich darin zu sehen wäre, dass sich an der Struktur und der Dogmatik der römischen Kirche etwas änderte? Dass es etwa eine neue Offenheit gäbe für wiederverheiratete Geschiedene, Frauenordination und das Ende des Pflichtzölibats? Was eine Mehrheit der deutschen Katholiken ersehnt, ist für Franziskus offensichtlich eher ein Nebenthema. Während so viele hoffen, dass er die Mauern der Dogmatik und des Kirchenrechts einreißt, ist er selbst lieber in der Welt unterwegs: bei den Flüchtlingen vor Lampedusa oder im zerrissenen Heiligen Land. Dem erzkonservativen Kardinal Gerhard Ludwig Müller beließ er seine Führungsposition in der Glaubenskongregation. Bei den vielen personellen Änderungen, die Franziskus nach seiner Wahl zügig einleitete, ist das kein gutes Zeichen. Jedenfalls nicht aus Sicht der Weisners dieser Welt.
Gesucht: Brücken des Respekts
Und so bewegen sich Deutschlands Katholiken mehr schlecht als recht zwischen Aufbruch und Beharren: Viele von ihnen wollen grundlegende Änderungen in Kirche und Gesellschaft, wollen mehr Gerechtigkeit nach innen und außen, mehr Moderne in der altehrwürdigen Kirche. Doch sie scheitern – noch – am kirchenleitenden Personal. Die deutschen Bischöfe konzentrieren sich mehrheitlich auf den Erhalt des Status quo, gerieren sich als Bewahrer und Schützer theologischer Wahrheiten und kirchlicher Realitäten. Der Papst wiederum konzentriert sich auf eine »Kirche der Armen«, die Wesentliches bewegt und zutiefst christlich agiert, aber wenige Antworten auf die »deutschen Fragen« hat.
Eine dieser Fragen ist die nach dem Platz der Religion im öffentlichen Raum. Wie viel Religion verträgt die säkulare Gesellschaft? Während der Papst geprägt ist von katholischen Mehrheitswelten, antwortet darauf der in Regensburg präsente Bundespräsident Joachim Gauck: Man müsse sich in Deutschland üben im »Respekt vor dem Anderen«. Das größte Problem sei dabei nicht, dass religiöse Menschen im säkularen Staat angefeindet würden, sondern der Tatbestand, dass man es mit einer »grassierenden Gleichgültigkeit« zu tun habe – gegenüber Menschen und ihren Religionen.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Juristin und FDP-Politikerin, verlangt auf einem anderen Podium fast zeitgleich »Freiheit der Religionen im Staat«, will aber auch, »dass sich der Staat von Religion fernhält«. Keine Religion dürfe privilegiert werden. Das Christentum habe zwar Europa geprägt, könne daraus aber nicht ableiten, dass es eine Sonderstellung habe. Sie spielt damit an auf die zunehmende Vielfalt der Religionen in Deutschland. Widerspruch kommt von der Philosophin Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz: Religion sei keine Privatsache, sondern öffentlich und gehe alle an. Zugleich scheut sie sich nicht, dem Christentum einen Sonderrolle zuzuordnen: »Das Kreuz ist längst zu einem überkonfessionellen Zeichen geworden: für Menschenwürde, Freiheit und Recht.« Nicht nur Leutheusser-Schnarrenberger schüttelt den Kopf über so viel Dominanz-Denken gegenüber den Werten und Zeichen anderer Religionen.
Kann Papst Franziskus den Katholiken in den Debatten um die Rolle der Christen in der deutschen Gesellschaft weiterhelfen? Was er vorlebt, sind Solidarität und Gerechtigkeit. Das lässt sich umsetzen. Doch ob es ausreicht, katholische Hilfswerke wieder wertzuschätzen und die Bedürftigen »in die Mitte der Gesellschaft zurückzuholen«, wie es Berlins Kardinal Rainer Maria Woelki verlangt? Es wäre schon viel, wenn das gelänge. Doch ob damit »die Brücke des Respekts« (Gauck) zwischen Christen und Nichtchristen schon geschlagen ist? Vermutlich nicht. Es ist nur ein Anfang. Aber wie sagte doch Christian Weisner: Am Beginn eines Bauprojekts stehen Schutt und Asche. Was daraus wird, dafür muss man viel Fantasie haben.
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Zuletzt geändert am 15.07.2014