1.11.2014 - Neues Ruhr-Wort
„Offene Debatte führen“
Essen. Die katholische Reformbewegung „Wir sind Kirche“ hat sich am vergangenen Wochenende bei ihrer Bundesversamlung in Essen enttäuscht über die vatikanische Familiensynode geäußert. In der Haltung zu wiederverheirateten Geschiedenen und Homosexuellen habe es keine Bewegung gegeben. Am Ende des Treffens in Rom, das als offener Dialog begonnen habe, hätten sich traditionell orientierte Bischöfe durchgesetzt.
Kirchenmitarbeiter, die sich offen zu ihrer Homosexualität bekennen oder die nach einer Scheidung eine neue Ehe eingehen, müssten nach wie vor mit ihrer Kündigung rechnen, erklärte Christian Weisner, Mitglied des Bundesteams von „Wir sind Kirche“. Das aber passe nicht zu einer Kirche, die Barmherzigkeit predige und den Menschen zur Seite stehen wolle. Angesichts weit verbreiteter Homophobie sei von einer Kirche eine deutliche Aussage zu erwarten, die sich gegen eine Abwertung oder gar Kriminalisierung von Lesben und Schwulen wende.
Generalvikar Pfeffer zu Gast
Zum Abschluss ihrer Bundesversammlung, die in der Tagesstätte der Alteneinrichtung St. Ludgerus/St. Martin, tagte, forderte die Initiative deshalb die deutschen katholischen Bischöfe auf, den Dialog über die Themen der Familiensynode „so offen und angstfrei wie in Rom“ auch in Deutschland weiterzuführen. Man solle mit Theologinnen und Theologen sowie mit dem gesamten Kirchenvolk weiter diskutieren und rechtzeitig konkrete Ergebnisse zur zweiten Familiensynode 2015 vorlegen. Die engagierten Laien sollten hierbei eine besondere Rolle spielen.
Denn der innerkirchliche Diskussionsprozess sei aus Sicht der Reformbewegung nicht abgeschlossen. Die Bischöfe müssten nun, „in den nächsten elf Monaten ihre Hausaufgaben machen und den Dialog in die Bistümer tragen, um an den Papieren weiter zu arbeiten“, wie Johnnes Brinkmann, Mitglied der Bundesleitung der Reformbewegung sagte. Man setze große Hoffnungen auf Papst Franziskus, der in seinem Lehrschreiben „Evangelii Gaudium“ deutlich gemacht habe, dass Kirche kein Selbstzweck sei, sondern die Aufgabe habe, den Menschen zu dienen. Es sei notwendig, eine kirchliche Sexuallehre im Einklang mit modernen Humanwissenschaften zu entwickeln. Außerdem erwarte man ein „einladendes Angebot der Kirche für geschiedene und wiederverheiratete Paare“. Er hoffe, dass sich „noch ein Riss im Beton auftut“, wenngleich seine Hoffnung „nicht groß“ sei.
Seit fast 20 Jahren setzt sich „Wir sind Kirche“ für Reformen in der katholischen Kirche ein –und stieß damit beim Klerus meist auf wenig Gegenliebe. Erstmals besuchte nun ein offizieller Gesandter der Kirche die Bundesversammlung des Vereins: Der Generalvikar des Bistums Essen, Monsignore Klaus Pfeffer, referierte auf Einladung über die jüngsten Entwicklungen im Ruhrbistum. Er zeigte auf, wie sich die Diözese seit den massiven Umstrukturierungen vor rund zehn Jahren durch umfangreiche Gesprächsprozesse bemühe, zu einer zukunftsfähigen Form von Kirche zu finden. Pfeffer selbst hatte seinen Besuch der Bundesversammlung als ein Zeichen der Wertschätzung bezeichnet: „Die Menschen bei ,Wir sind Kirche‘ engagieren sich wie wir im Ruhrbistum dafür, dass unser Glaube und unsere Kirche auch in Zukunft in unserer Gesellschaft eine Rolle spielen.“
„Wir deuten seinen Besuch als Ausdruck einer neuen Offenheit“, sagte Johannes Brinkmann, der selbst aus dem Bistum Essen stammt. Der 55-Jährige gehört seit Oktober 2013 zum Bundesteam der Reformbewegung. „Wir waren bislang ja diejenigen, mit denen man nicht redet.“ Die Initiative klopfe an genau die Türen, die in der Kirche eigentlich geschlossen seien, obwohl eine Vielzahl von Gläubigen Reformen befürworte. Im Unterschied zu anderen Diözesen existiert im Bistum Essen derzeit keine feste Gruppe von „Wir sind Kirche“. Man arbeite aber daran, „auch hier in der Region etwas aufzubauen“, erzählte Brinkmann.
Mit Blick auf die katholische Kirche als Ganzes warnte Pfeffer bei seinem Besuch vor „Grabenkämpfen“ und „Spaltungstendenzen“. Es sei „für uns in der Kirche schwierig, offen miteinander zu streiten und dabei einen respektvollen Umgang zu bewahren“. Dies hänge mit einer weit verbreiteten Harmoniebedürftigkeit zusammen, die es nicht erlaubt, unterschiedliche Auffassungen zuzulassen. Hoffnungsvoll stimme ihn, dass Papst Franziskus –wie zuletzt bei der Familiensynode –dazu auffordere, offen miteinander um die großen Fragen des Glaubens und der Kirche zu ringen und dabei auch den nötigen Streit auszuhalten, ohne sich gegenseitig auszugrenzen.
Boris Spernol
Zuletzt geändert am 01.11.2014