2.11.2014 - Die Welt
Das kranke Sparsystem der deutschen Kirchen
Von Heinz Krischer
Die Hüft-Knie-Gruppe ist schon da, als Penelope Somaraki mit schnellen Schritten durch die Tür eilt. Ein halbes Dutzend Männer und Frauen macht sich im Wasser des Therapiebeckens der Aachener Schwertbad-Klinik warm für die Übungsstunde. Penelope Somaraki ist Physiotherapeutin, und jetzt sorgt sie dafür, dass es ihren Hüft-Knie-Patienten wieder besser geht.
Derzeit kämpfen Somaraki und einige ihrer Kollegen bei ihrem Arbeitgeber für eine bessere Bezahlung in der Reha-Klinik, die einer katholischen Holding gehört. "Immer wieder hören wir nur, dass wir sparen müssen. Wir haben auf Lohn verzichtet, und viele von uns werden auch heute noch unter dem bezahlt, was der Tarifvertrag für den Öffentlichen Dienst eigentlich vorsieht", klagt Somaraki. Nur: Dieser Tarifvertrag soll in ihrem katholischen Haus nicht gelten. Hier wird offenbar erwartet, dass man auch mal für Gotteslohn arbeitet.
Dass gespart werden muss, hört man seit Jahren von kirchlicher Seite. Dass die vielen Kirchenaustritte und der demografische Wandel erhebliche Probleme bereiten. Doch die katholische wie auch die evangelische Kirche nehmen seit Jahren mehr und mehr Geld ein. In diesem Jahr werden die beiden großen Kirchen in NRW so viel Kirchensteuer überwiesen bekommen wie seit Jahren nicht mehr. Und deshalb macht sich Unmut breit – in Kirchengemeinden und kirchlichen Institutionen, die vom anhaltenden Sparkurs betroffen sind, und bei Mitarbeitern kirchlicher Einrichtungen, die unter Tarif bezahlt werden.
80 Millionen mehr Einnahmen
Nach aktuellen Schätzungen, die der "Welt am Sonntag" vorliegen, dürften am Ende des Jahres rund drei Milliarden Euro an Kirchensteuer-Einnahmen bei den evangelischen Landeskirchen und den katholischen Bistümern angekommen sein, das sind rund 80 Millionen mehr als im Jahr davor. Manches spricht sogar dafür, dass die Zahlen noch besser ausfallen, die Schätzungen der Finanzexperten sind eher zurückhaltend. Teilweise liegen Zahlen für die ersten drei Quartale dieses Jahres vor, die schon jetzt noch deutlicher nach oben weisen. Und der Monat Dezember kommt erst noch – dann sind die Steuereinnahmen besonders hoch. Erst ab einer stattlichen Größenordnung machen sich Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer auf Kapitalerträge bemerkbar.
Seit zehn Jahren weist die Kirchensteuer-Kurve fast nur nach oben – nur 2009, nach der der Finanzkrise, gab es einen Einbruch. Mittlerweile sind die Einnahmen aber schon wieder höher als vor der Krise.
Dass die Gelder für die Kirchen so munter sprudeln, verwundert manchen – wo doch die Zahl derer, die aus der Kirche austreten, stetig steigt. Im Jahr 2012 erklärten in Nordrhein-Westfalen 53.000 evangelische und katholische Christen ihren Austritt aus ihrer Kirche. Knapp 80.000 waren es 2013. Und in den ersten drei Quartalen dieses Jahres sind es bereits 79.000, also schon fast genauso viele wie im gesamten Vorjahr.
Dass sich die Austritte zumindest finanziell nicht niederschlagen, hängt mit der guten Konjunktur im Land zusammen. Die Kirchensteuer ist an die Lohn- und Einkommensteuer gekoppelt. Neun Prozent dieser Steuer fließen an die Kirchen. Und wenn die Wirtschaft boomt, die Arbeitnehmer gut verdienen, dann verdienen auch die Kirchen mit.
Inflation und Gehaltssteigerungen als Erklärung
Die Verantwortlichen der Kirchen wollen trotz dieser Zahlen nicht jubeln – zumindest nicht in offiziellen Stellungnahmen. "Der bisherige Höchststand bei uns wurde 1992 erreicht mit umgerechnet 477 Millionen Euro Einnahmen", sagt Andreas Duderstedt von der Evangelischen Kirche von Westfalen. Im vorigen Jahr kam man (bei gleicher Berechnungsmethode wie 1992, also mit Ausgleichszahlungen anderer Kirchen und Kapitalertragssteuer) auf 473 Millionen. "Berücksichtigt man die Faktoren Inflation und Gehaltssteigerungen, lagen die tatsächlichen Einnahmen im vorigen Jahr um rund ein Drittel unter denen von 1992. Das erklärt manche Sparmaßnahme." So ähnlich sieht das auch Ägidius Engel, Sprecher des katholischen Paderborner Erzbischofs. "Die Kirchensteuereinnahmen hängen eng mit der Konjunktur, der tariflichen Situation und auch politischen Entscheidungen zusammen", sagt Engel. Und die demografische Entwicklung führe absehbar zu einem deutlichen Rückgang der Kirchensteuer, sagt Engel. "Hier ist der vorsichtige Kaufmann gefragt."
Was das bedeutet, können die Gläubigen der evangelischen Kirchengemeinde in Sundern im Sauerland gerade erfahren. Zum Ende des Jahres wird ihr Pfarrer seine Stelle aufgeben müssen, die Kirche steht zum Verkauf und wird möglicherweise abgerissen. Die kleine Gemeinde hat zwei Pfarrer mit zusammen 1,75 Stellen. Die Eckdaten der Landeskirche sehen mittlerweile jedoch nur noch 1,4 Stellen vor. Bis jetzt arbeiten die Pfarrer auch noch in Nachbargemeinden mit, um so das Soll zu erfüllen. Doch jetzt wird es zu eng. Pfarrer Joachim Prunzel, der seine Stelle aufgeben wird, macht dennoch seiner Kirche keinen Vorwurf: "Kurzfristig könnten wir angesichts der positiven Entwicklung bei der Kirchensteuer meine Stelle hier sicherlich halten, mittel- und langfristig aber nicht", glaubt Prunzel. "Der Trend geht abwärts. Wir sehen ja alle, dass die Gemeindegliederzahlen abnehmen."
Und weil sich der Schlüssel der Pfarrstellen nach der Zahl der Gemeindeglieder berechnet, besteht wenig Hoffnung auf Besserung. Schon jetzt ist der Haushalt der kleinen evangelischen Gemeinde am Limit. "Wir haben in den letzten Jahren mit Mühen sämtliche Kosten zurückgefahren", sagt Prunzel. "Jetzt sind wir an dem Level angekommen, wo wir sagen, Sachkosten einzusparen geht nicht mehr, wir müssen jetzt anfangen, Personalkosten einzusparen." So werden zum Ende des Jahres Küster, Hausmeister und Organist in Rente geschickt, der Pfarrer sucht eine neue Stelle. Die Gemeindeglieder werden zur letzten verbliebenen evangelischen Kirche im Nachbarortsteil fahren müssen. "Bis auf die drei, vier Großkampftage, also Weihnachten, Konfirmation und in der Osterzeit, ist dort eigentlich auch noch Platz", sagt Pfarrer Prunzel.
Das Krankenhaus in Balve ist Opfer des Sparkurses
Gespart wird jedoch nicht nur an Gemeindestrukturen, sondern auch dort, wo Kirche wirtschaftlich unterwegs ist. Und das passt manchem braven Kirchensteuerzahler gar nicht. Wolfram Schmitz aus Balve beispielsweise. Der Geschäftsführer einer Softwarefirma kämpfte bis zuletzt um den Erhalt des katholischen Krankenhauses St. Marien in Balve. Die Initiative zur Rettung des Krankenhauses fand große Unterstützung in der Kleinstadt, die lauten Proteste hätten eigentlich auch die Kirchenoberen hören müssen. Doch es half alles nichts – aus wirtschaftlichen Gründen wurde das Haus vor zwei Jahren geschlossen. "Für uns Balver war das ein Schlag ins Gesicht", sagt Schmitz. "Wir sind hier weitab von anderen Krankenhäusern, da kann es schon mal zwanzig Minuten dauern, bis der Notarzt da ist." Dass der katholische Träger des Marien-hospitals das Haus schloss, hat bei Schmitz und vielen anderen tiefe Narben hinterlassen. "Ich hätte mir das schon anders erwartet. Ich hätte mir einfach ein größeres wirtschaftliches Engagement der Kirche gewünscht."
Aus Sicht von Sigrid Grabmeier hat zumindest die katholische Kirche mit ihrem Geld ein grundsätzliches Problem. Grabmeier ist Sprecherin der katholischen Laienbewegung "Wir sind Kirche". Sie hält das System, wie zurzeit Kirchensteuer eingenommen und verteilt wird, für falsch. Das sichere Einkommen mache die Amtskirche "träge, sicher und satt", Sigrid Grabmeier. Sie fordert, das Kirchensteuermodell umzudrehen: Verteilung der Gelder nicht von oben nach unten, sondern von der Basis hinauf zu den Bischöfen. "Ich könnte mir auch für uns ein Modell wie in der Schweiz vorstellen", sagt Grabmeier. "Dort werden die Einnahmen aus der Kirchensteuer an ein demokratisch gewähltes lokales oder regionales Gremium auf Gemeindeebene gezahlt. Diese Kirchengemeinde stellt den Pfarrer an und entscheidet darüber, was mit der Kirchensteuer geschieht. Nur ein Bruchteil, vielleicht zwanzig Prozent, werden an die überregionale Ebene und den Bischof abgeführt."
Arbeitnehmer sind enttäuscht von kirchlichen Trägern
Würde das Geld anders verteilt, würde sich die Kirche vermutlich auch nicht so stark aus der Fläche zurückziehen, glaubt die Sprecherin der katholischen Laienorganisation. Wo es an Priestern mangelt, könnten auch Laien tätig werden. "Ich denke, es ist für die Kirche wichtig, nah dran zu bleiben an den Menschen", sagt Grabmeier. Und dabei könnten beispielsweise auch angestellte Pastoralreferenten helfen. "Aber dafür muss die Kirche dann auch bereit sein, Geld auszugeben."
Mehr Geld ausgeben – und zwar für die Mitarbeiter, das fordert auch die Physiotherapeutin Penelope Somaraki von ihrem katholischen Arbeitgeber. In den letzten Monaten ist der Druck in der Reha-Klinik enorm gestiegen. Die Klinik fusionierte mit einer benachbarten Rheuma-Klinik, der Träger, die katholische Marienhaus-Holding, entließ 38 Mitarbeiter. Grund dafür, so sagt Heribert Frieling, Sprecher der Holding, sei eine Umorganisation des Leistungsangebotes gewesen. Jetzt sollen die Beschäftigten der früheren Rheuma-Klinik auf Gehalt verzichten, damit die Kollegen in der Schwertbad-Klinik etwas mehr Gehalt bekommen. So stellt sich der Arbeitgeber das vor. "Wir versuchen, einen Weg für eine faire Entlohnung zu finden", sagt Frieling. Ob es dazu kommt, ist offen. Im Ergebnis würden nach diesem Modell dann alle unter dem Tarif für den Öffentlichen Dienst arbeiten.
Penelope Somaraki, selbst gläubige Christin, ist von ihrem im weitesten Sinne kirchlichen Arbeitgeber enttäuscht. "Sie sollten Licht sein und nicht Schatten, wie all die anderen weltlichen Unternehmen, die die Leute ausnutzen und Geld scheffeln. Gerade die Kirche sollte leuchtend als Beispiel vorangehen. Es ist ja nicht so, dass kein Geld da ist."
Was wohl stimmt. Im Bistum Aachen werden in diesem Jahr allein vermutlich 22 Millionen Euro mehr an Kirchensteuer eingenommen.
http://www.welt.de/regionales/nrw/article133861695/Das-kranke-Sparsystem-der-deutschen-Kirchen.html
Zuletzt geändert am 03.11.2014