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Veröffentlicht am 02­.02.2015

2.2.2015 - Süddeutsche Zeitung

Sex ist "von Gott gewollt"

Die Kirche sollte sich heraushalten aus Dingen, von denen sie nichts verstehe, fordern Reforminitiativen. Gemeint sind die Schlafzimmer der Gläubigen

Von Jakob Wetzel

Es sind viele und weitreichende Forderungen, die die Gläubigen zusammengetragen haben - nur neu sind sie nicht, aber das ist Teil des Problems. Der Pflichtzölibat gehöre abgeschafft, heißt es da zum Beispiel. Männer und Frauen sollten auch in der katholischen Kirche gleichberechtigt sein. Und: Geschiedene, die neu geheiratet haben, sollte die Kirche offiziell zur Eucharistie zulassen, das Verbot sei weltfremd, Pfarrer würden sich ohnehin häufig darüber hinwegsetzen. Und die Kirche solle endlich aufhören, herabsetzend von "Barmherzigkeit" mit Homosexuellen zu sprechen; gefragt sei Akzeptanz, nicht Mitgefühl. Stattdessen solle sie ihren Einfluss dazu nutzen, weltweit gegen Hass auf Lesben und Schwule einzutreten.

Der Pfarrverband München-Aubing hat am Samstag in seinen Pfarrsaal geladen, um über das Familienbild der Kirche zu diskutieren, gemeinsam mit den drei miteinander kooperierenden Reforminitiativen "Wir sind Kirche", "Münchner Kreis" und "Gemeindeinitiative". 58 Katholiken sind gekommen. Sie haben sich viel vorgenommen: Sie wollen nicht nur die Gespräche auf der vergangenen Bischofssynode in Rom aufgreifen, sondern "als mündige Kirchenmitglieder" auch konkrete Vorschläge für die nächste Familiensynode entwickeln, die am 4. Oktober beginnt. Die Ergebnisse wollen sie jetzt an die deutschen Bischöfe schicken, allen voran an Kardinal Reinhard Marx, den Erzbischof von München und Freising.

Besonders für die Sexualmoral der Kirche fanden die Reformer am Samstag deutliche Kritik. Die Kirche solle ein positives Bild von Sexualität entwickeln, "sie ist doch von Gott gewollt". Ansonsten sollten sich Bischöfe und Priester aus Dingen, von denen sie nichts verstünden, heraushalten - gemeint waren die Schlafzimmer der Gläubigen. Auch die Enzyklika "Humanae Vitae", mit der Papst Paul VI. 1968 die künstliche Empfängnisverhütung verboten hatte, müsse neu bewertet werden. Ohne eine Reform gehe der Kirche die Jugend verloren: Viele würden nicht nur die kirchliche Sexualmoral nicht mehr ernst nehmen, sondern mit ihr die gesamte Kirche.

Wie viel von den Forderungen tatsächlich umgesetzt wird, darüber machen sich die Reformer keine Illusionen; ihre Generation hat Erfahrung mit enttäuschten Erwartungen. Sie alle haben bereits den vermeintlichen Aufbruch während des Zweiten Vatikanischen Konzils erlebt, das vor 50 Jahren zu Ende gegangen ist. Und sie haben lange beobachten müssen, wie schwer sich die katholische Kirche mit Neuerungen tut.

Jetzt ist es eine Mischung aus Hoffen und Zweifeln, die sie antreibt. Hoffnung ist da wegen Papst Franziskus: "Nach so vielen Jahrzehnten, in denen bereits alles gesagt worden ist, kommt jetzt endlich alles auf den Tisch", sagt am Samstag Meinrad Niggl, der Leiter des Sachgebiets Ehe- und Familienbegleitung im Erzbischöflichen Ordinariat. Das sei ein "Wunder" und gar nicht hoch genug zu bewerten. Auch zu ihrem Treffen fühlen sie sich von Franziskus ermuntert: Regen doch die "Lineamenta" des Vatikan, das Vorbereitungspapier für die Synode 2015, ausdrücklich an, "alle Glieder der Teilkirche", auch Laienvereinigungen, zu beteiligen.

Doch Zweifel sind da, weil es Widerstände gibt. "Konservative Seilschaften" nennt sie Christian Weisner von "Wir sind Kirche". Und es sind kleine Probleme in der Vorbereitung auf die Synode, die den Reformer skeptisch stimmen. Etwa, dass der entscheidende Satz in den "Lineamenta" in der deutschen Übersetzung zunächst nicht vorkam, erst auf seine Beschwerde hin sei er eingefügt worden, sagt er. Unzufrieden ist er auch, weil ihm vieles zu lange dauert. So liegt den Bischofskonferenzen bereits seit 9. Dezember ein neuer Fragebogen zu Sexualität und Familie vor, doch erst am 27. Januar erklärte die Deutsche Bischofskonferenz (DBK), jedes einzelne Bistum solle ihn online veröffentlichen. Eine knappe Woche später ist das längst nicht überall geschehen. Auf der Homepage des Erzbistums München und Freising etwa, also ausgerechnet des Bistums des DBK-Vorsitzenden Marx, suchten Gläubige noch am Sonntag vergeblich. Dabei drängt die Zeit: Das Dokument ist neun Seiten lang und umfasst 46 sperrig formulierte Fragen. Und die Fristen sind knapp gesetzt. Im Bistum Regensburg etwa müssen die Gläubigen den Katalog bis zum 13. März beantworten, im Bistum Augsburg gar bis zum 27. Februar. Bereits am 15. April will die DBK die Ergebnisse der Befragung nach Rom melden.

Doch trotz allem sind die Reformer hoffnungsfroh. Mit Franziskus sei ein neues Gefühl aufgekommen, erklärt Paul-Gerhard Ulbrich, einer der Sprecher der "Gemeindeinitiative": "Das gesamte Kirchenvolk ist für die Kirche verantwortlich, nicht nur diejenigen, die ein Amt haben." Die Reformwilligen in den Gemeinden müssten sich nun noch stärker vernetzen. "Das Franziskus-Projekt ist unser aller Projekt", ergänzte Christian Weisner. "Es darf nicht scheitern."

http://gemeindeinitiative.org/index.php/aktuell-test/277-sex-ist-von-gott-gewollt

Zuletzt geändert am 03­.02.2015