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Veröffentlicht am 01­.10.2015

Oktober 2015 - Kirche In (Kolumne „Unzensiert“)

Keine Arche Noah!

Die Wiedervereinigung von West- und Ostdeutschland vor 25 Jahren wurde noch vergleichsweise einfach gemeistert. Seit dem Mauerfall gelang es, mehr als 1 Million „Wirtschaftsflüchtlinge“ in Westdeutschland zu integrieren, vor allem dank der dort ausreichenden Arbeitsplätze. Sehr viel schwieriger war und ist der Prozess der Europäischen Einigung, wie uns die Finanzkrise der letzten Jahre vor Augen geführt hat. Die größten Herausforderungen stehen Deutschland und Europa aber erst noch bevor angesichts der enormen Zahl der Flüchtlinge, die jetzt hier Schutz vor Krieg und Not suchen.

Europa, das „christliche Abendland“ sehen die Flüchtlinge als Ort der Hoffnung und Sicherheit. Doch uns allen, auch den Kirchen fällt es noch schwer, das ureigenste christliche Gebot der Nächsten- und Fremdenliebe bei der Aufnahme der Flüchtlinge zu erfüllen. Die Aufgaben sind immens: hier die Asylsuchenden aufzunehmen und langfristig zu integrieren; und in den Herkunftsländern die Fluchtursachen zu bekämpfen. Aber, so Papst Franziskus im Apostolischen Schreiben „Evangelii Gaudium“ (202): „Solange die Probleme der Armen nicht von der Wurzel her gelöst werden, … werden sich die Probleme der Welt nicht lösen und kann letztlich überhaupt kein Problem gelöst werden.“ Franziskus spricht gar von einem „Dritten Weltkrieg“ auf Raten. Da können heute weder Europa noch die römisch-katholische Kirche eine Arche Noah sein.

Vor diesem Hintergrund tagt jetzt die zweite Familiensynode über „die pastoralen Herausforderungen der Familie im Rahmen der Evangelisierung“. Eheleute und Familien sind heute weltweit größten Spannungen und Herausforderungen ausgesetzt, wie es sie zu Jesu Zeiten sicher nicht gegeben hat. In der Synodenaula wird sich zeigen, wer begriffen hat, dass die Zukunft der Einzel- als auch der Menschheitsfamilie wichtiger ist als das Pochen auf den Erhalt von Kirchenrecht und Lehrtraditionen. Papst Franziskus ist jetzt er auf die Unterstützung aller Reformkräfte angewiesen, damit es nicht zu einer großen Enttäuschung kommt.

Aber wie kann es gelingen, in diesen Zeiten der Kriege, Auseinandersetzungen und Umbrüche, der weltweiten Nöte und Katastrophen die christliche Botschaft von Frieden und Freude für alle Menschen zu verkünden? Dazu ist ein radikaler Perspektivwechsel notwendig. Von den Einkaufsparadiesen zu den Elendsquartieren, von unseren vielfach abgesicherten Lebensverhältnissen zu den Menschen, die Tag für Tag ums Überleben kämpfen müssen. Ein Perspektivwechsel mit den Augen Jesu, der – so die Weihnachtsgeschichte – in der Notunterkunft eines besetzten Landes geboren wurde, vor Verfolgung fliehen musste und unser aller Inspiration und Hoffnung ist.

Christian Weisner
Wir sind Kirche Deutschland
www.wir-sind-kirche.de

Zuletzt geändert am 15­.09.2015