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Veröffentlicht am 30­.12.2015

30.12.2015 - Deutschlandfunk

Der katholische Notausgang aus einer gescheiterten Ehe

Es war eines der großen Themen in der katholischen Kirche im vergangenen Jahr: Wie soll die Kirche mit jenen Katholiken umgehen, die sich scheiden lassen und die ein zweites Mal heiraten? Der verbreitete Ausweg: Die katholische Kirche stellt fest, dass man eigentlich gar nicht richtig verheiratet war. Das heißt: Die Ehe wird im Nachhinein für null und nichtig erklärt.

Von Michael Hollenbach

Die Protestantin Ina Meyer zu Uptrup bekam Post von der katholischen Kirche. Ihr Ex-Mann wollte wieder katholisch heiraten. Deshalb sollte ein kirchliches Gericht darüber befinden, ob die erste Ehe – nach katholischem Verständnis - annulliert werden kann.

"Was ich absolut absurd finde. Was hat die katholische Kirche darüber zu befinden, ob wir richtig oder unrichtig miteinander getraut wurden? Was soll das?"

Ina Meyer zu Uptrup hatte das Gefühl, eine Rolle in einem absurden Theaterstück zu spielen. Für Christian Wirtz ist ein Eheannullierungsverfahren weder absurd noch Theater. Der 41-jährige Priester ist als Offizial oberster Kirchenrichter im Bistum Hildesheim und damit vor allem zuständig für die katholische Art, sich scheiden zu lassen.

"Jeder kann zu uns kommen, dessen Ehe gescheitert ist, und der im Sinn der Kirche weiterkommen will und der einen neuen Partner heiraten will. Also es gibt keinen, bei dem ich sagen würde, es bringt nichts, zu uns zu kommen."

Entscheidend für eine Annullierung der Ehe ist, wie sie zu Stande gekommen ist. Zum Beispiel die Frage, ob der Wille zur Ehe im katholischen Sinne aufrichtig war?

"Wir haben die klassischen Willensmängel: der verbreitetste davon ist der Ausschluss der Unauflöslichkeit. Die Kirche geht davon aus, dass jeder, der heiratet, eine unauflösliche Ehe schließen will. Wer ausschließt, unauflöslich zu heiraten – und für sich sagt: wenn es nicht klappt, lass ich mich scheiden, der wäre nach kirchlicher Auffassung ungültig verheiratet. Da muss man natürlich sagen, dass unter heutigen gesellschaftlichen Verhältnissen das in den allermeisten Ehen der Fall ist."

Auch Wolfgang Hussmann hat seine erste Ehe durch ein katholisches Gericht für null und nichtig erklären lassen.

"Meine innere Befindlichkeit war: Ich habe mich bei meiner ersten Ehe grandios geirrt. Und ich habe eine falsche Entscheidung gefällt."

Auch bei ihm – so befand das Gericht – sei der Ehewille nicht ausreichend gewesen. Wolfgang Hussmann erinnert sich.

"Es gab so einen Gedanken, der mich am Vorabend der Eheschließung gefangen hat: Wieso heiraten wir eigentlich? Ich habe gemerkt: Am Vorabend der Eheschließung war ich nicht in der Lage, auf diese Frage zu antworten. Das ist etwas, wo ich dann so gemerkt habe: Hättest du damals mehr Mumm gehabt, dann hättest du an dem Abend sagen müssen: Wir heiraten nicht."

Gewalt in der Partnerschaft kein Grund für eine Annullierung

Ein anderes Kriterium, eine Ehe im Nachhinein zu annullieren, ist der Ausschluss von Nachkommenschaft. Christian Wirtz erläutert:

"Die Kirche geht davon aus, dass eine Ehe wesentlich darauf ausgerichtet ist, Kinder zu zeugen und zu erziehen. Wenn das willentlich ausgeschlossen wird, dass man Kinder haben will, dann wäre das ein Grund, aus dem die Ehe ungültig zu Stande käme."

Ein weiterer Grund: psychische Probleme wie zum Beispiel eine übermäßige Bindung an die Mutter. Oder ein Mangel an innerer oder äußerer Freiheit: Familiäre oder gesellschaftlichen Konventionen veranlassen jemanden zu heiraten – beispielsweise, weil ein Kind unterwegs ist.

Gewalt in der Partnerschaft ist dagegen in der Regel kein Grund, eine Ehe zu annullieren:

"Das wird oft in den Fällen psychischer Eheführungsunfähigkeit vorgebracht, dass Frauen davon berichten, dass ihr Mann gewalttätig war. Die Schwierigkeit besteht für uns darin, dass wir den Beweis erbringen müssen, dass das schon von Anfang an so war."

Und auch, wenn ein Ehepartner erst einige Zeit nach der Hochzeit fremdgeht, ist das kein Anlass zur Nichtigkeitserklärung, erläutert der Kirchenrichter.

"...was Anderes ist es, wenn jemand nach einem Monat oder nach sechs Monaten untreu wird. Dann kann man schon die berechtigte Frage stellen, ob der wohl einen Monat vorher die richtige Auffassung hatte und den richtigen Willen zur Ehe hatte."

Viele Katholiken, die ihre Ehe annullieren lassen wollen, nennen für das Verfahren den gleichen Grund wie Wolfgang Hussmann:

"Es war zunächst ein sehr schnöder Grund: Ich arbeite im Kirchendienst, und aufgrund der Arbeitsregeln war klar, dass, wenn ich wieder heiraten will, dass das in meiner Position so nicht möglich ist."

Wenn vor dem Kirchengericht das Zustandekommen der Ehe untersucht wird, dann hat meist nur einer der Ex-Partner Interesse an dem Verfahren. So auch bei Wolfgang Hussmann und seiner Ex-Frau:

"Sie hat sich geweigert, weil sie sich nicht davon überzeugen ließ, dass es in diesem Verfahren nicht darum geht, irgendeine Schuld festzustellen."

Die Befürchtung, dass in dem Prozess schmutzige Wäsche gewaschen wird, kennt auch Christian Wirtz:

"Die Gefahr ist da, und viele haben Angst davor und wollen aus diesem Grund das Verfahren nicht führen. Aber es ist ja in diesem Ehenichtigkeitsverfahren nicht etwa der Ehepartner angeklagt, sondern die Ehe als solches ist angeklagt, dass sie ungültig sei."

1.200 Ehenichtigkeitsverfahren in einem Jahr

Eine Schwierigkeit des Verfahrens besteht darin, dass man Stimmungen, Aussagen, Empfindungen rekonstruieren soll, die manchmal lange zurückliegen:

"Wenn man überlegen muss, was ist vor über 20 Jahren gewesen, wer hat da was gesagt, gibt es noch Leute, die dabei waren. Das ist dann schon ein bisschen schwierig."

Christian Weisner von der katholischen Kirchenvolksbewegung "Wir sind Kirche" hält ohnehin nichts von dem ganzen Ehenichtigkeitsverfahren.

"Dieses Verfahren ist ein Schnüffeln in Tagebüchern, da werden Aussagen von Bekannten ausgewertet. Da hat man schon den Eindruck, als ob die katholische Kirche amtlicherseits in dem Privatleben, Seelenleben einer Familie herumforscht, die ihr Innerstes da offen zu legen haben."

Weisner fordert, dass sich seine Kirche mit der Lebensrealität geschiedener Menschen auseinandersetzt. Das Ehenichtigkeitsverfahren sei da der falsche Weg:

"Man kann ja nicht einfach in seinem Leben etwas annullieren, mit Tipp-Ex wieder ausstreichen und sagen: Das war falsch. Und ich denke: Was bedeutet das zum Beispiel für die Kinder, die aus solcher Ehe entstanden sind, die dann sagen, die Ehe, wo ich geboren bin, die hat es nach Ansicht der Kirche gar nicht gegeben?"


Doch Papst Franziskus setzt auf die katholische Art, sich scheiden zu lassen. Er hat die Verfahrensdauer verkürzt, um so die Eheannullierung für Katholiken attraktiver zu machen.

"Es ist schon eine Bestätigung, dass es diese Verfahren geben soll."

Trotz aller Kritik – immerhin beantragten im vergangenen Jahr in Deutschland rund 1.200 Katholikinnen und Katholiken ein Ehenichtigkeitsverfahren – die meisten mit Erfolg. Über zwei Drittel der Ehen werden dann tatsächlich – nach katholischer Lesart – für null und nichtig erklärt.

http://www.deutschlandfunk.de/eheannullierung-der-katholische-notausgang-aus-einer.886.de.html?dram:article_id=341093

Zuletzt geändert am 30­.12.2015