28.5.2017 - kath.ch
«Man kann miteinander nur ökumenisch unterwegs sein»
Heute geht in Berlin der Deutsche Evangelische Kirchentag zu Ende. Was macht für Sie das Besondere dieser kirchlichen Grossveranstaltungen aus?
Pierre Stutz: Für mich war es eine Offenbarung, als ich im Jahr 2000 durch eine Einladung das erste Mal an einem Katholikentag war. Seitdem besuche ich jeden Kirchentag und jeden Katholikentag. Ich war von Anfang an von begeistert von der riesigen Palette an Veranstaltungen, wo man während fünf Tagen verschiedenste Gruppierungen antreffen kann. Ich habe in meiner Agenda bereits den Kirchentag 2021 eingetragen!
«Ich fühle mich zutiefst als ökumenischer Christ.»
Sie sind als Katholik an einem evangelischen Kirchentag.
Stutz: Schon als junger Theologiestudent war für mich die Ökumene von grösster Bedeutung. Deshalb habe ich mich besonders gefreut, hier nach Berlin zu reisen, denn ich fühle mich zutiefst als ökumenischer Christ. Ich habe meine katholischen Wurzeln, wofür ich dankbar bin, aber ich bin überzeugt: Man kann miteinander nur ökumenisch unterwegs sein.
Wie sehen Ihre Tage an diesem Kirchentag in Berlin aus?
Stutz: Ich habe meistens bis zu drei Termine pro Tag. Ich lese seit Jahren am Stand von «Wir sind Kirche auf dem Messegelände. Ebenso lese ich im Zentrum der Leserinitiative von «Publik Forum». Dort treffe ich auf meine Freunde. Ich konnte zudem in der Kirchentags-Buchhandlung mein neues Buch vorstellen.
Welche Bedeutung hat der Kirchentag für Sie als Autor?
Stutz: Mein Tag ist ausgefüllt mit sehr vielen Begegnungen. Für mich als Schweizer Autor ist das enorm wichtig. Der Erfolg meiner Bücher hängt wesentlich von diesen 18 Jahren Präsenz an Kirchen- und Katholikentagen in Deutschland ab, denn hier trifft man auf viele Multiplikatorinnen und Multiplikatoren. 2003 konnte ich am ökumenischen Kirchentag in Berlin drei Vorträge über die zehn Gebote an der renommierten Humboldt-Universität halten. Für mich war das wie ein Startfeuer. Daraus ergeben sich bis heute viele Anfragen für Lesungen und Vorträge. Ich arbeite inzwischen zu 60 Prozent in Deutschland, zu 20 Prozent in der Schweiz und zu 20 Prozent in Österreich.
«Ich habe ein grosses Harmoniebedürfnis.»
Sie gehören zu den Stars der Kirchentags-Szene. Wie kommen Sie mit dieser Bezeichnung klar?
Stutz: Von meiner Art her mag ich es stets einfach und unkompliziert, daher lasse ich mich von solchen Bezeichnungen nicht blenden. Aber ich freue mich natürlich über die Ernte meines Schaffens. An meinem neuen Buch «Lass dich nicht im Stich: Die spirituelle Botschaft von Ärger, Zorn und Wut» habe ich sieben Jahre lang gearbeitet. Wenn nun Menschen auf mich zukommen und mir sagen «Das ist wie für mich geschrieben», dann tut mir das einfach gut.
Was war für Sie der Auslöser, dieses Buch zu schreiben?
Stutz: Zum einen sind das meine ganz persönlichen Themen. Wenn man liebend unterwegs ist, dann gibt es so viele Gründe im privaten, aber auch im gesellschafts-politischen Kontext, die mich mit diesen Gefühlen in Berührung bringen. Das ist nicht leicht, denn ich zähle zu den Menschen, die ein grosses Harmoniebedürfnis haben – wie viele im kirchlichen Dienst. Intellektuell war mir aber schon immer klar, dass Jesus ein sehr konfliktfähiger Mann war.
«An evangelischen Kirchentagen gab es von Beginn an ein Regenbogenzentrum.»
Von meiner ganzen Sozialisation her fühlte ich mich jedoch oft sehr schlecht, wenn ich Klartext gesprochen habe. Deshalb habe ich mit meinem Coming Out mit 49 so lange gewartet. Das sagt ja auch eine Menge aus! Es bedeutet mir viel, dass ich an diesem Kirchentag im Zentrum der Lesben und Schwulen im Kino «Kosmos» lesen konnte. Ich fand es befreiend, dass es an evangelischen Kirchentagen von Beginn an ein Regenbogenzentrum gab. Am Katholikentag 2016 in Leipzig gab es erstmals auch einen solchen Ort im Programm. Das war ein Schritt in die richtige Richtung.
Ärger, Zorn und Wut sind auch oft Thema an den Fragerunden nach Ihren Lesungen. Woran liegt das?
Stutz: Gerade aufgrund der Terror-Attacken kamen Fragen auf: Wie können wir weiterhin an das Gute im Menschen glauben? Wie können wir von Feindesliebe reden, wenn solche Dinge wie diese Woche der Anschlag in Manchester geschehen? Diese Themen wurden mir geradezu aufgedrängt. Oft spricht man vom «heiligen Zorn» als einer Tugend. Zorn ist jedoch in der katholischen Kirche eine der sieben Todsünden. Weil ich wissen wollte, was dahinter steckt, begann ich mit der Arbeit an diesem Buch.
«Schreiben ist für mich beten.»
Sie haben in 25 Jahren bereits über 40 Bücher verfasst. Was bedeutet Ihnen das Schreiben?
Stutz: Schreiben heisst für mich: Sich Zurecht-Finden in dieser Welt. Schreiben ist für mich beten. Ich staune gerne, verzweifle aber auch immer wieder an dieser Welt. Damit ich jedoch nicht in Ärger, Wut und Zorn festgefahren bleibe, muss ich diese Gefühle durchleiden und durchkneten. Erst mit 38, nachdem ich ein zweijähriges Burnout überwunden hatte, ist die Quelle des Schreibens in mir aufgebrochen. Danach war mir klar: Wo immer ich sein werde und was immer ich tue: Ohne Schreiben wird nichts mehr gehen. Schreiben ist meine existentielle Lebensaufgabe.
«Im Auf und Ab des Lebens eine göttliche Spur erkennen»
Welche Botschaft möchten Sie den Lesern Ihrer Bücher geben?
Stutz: Ich möchte sie ermutigen, dass sie sich ihren ureigenen Weg zu gehen trauen. Das ist nicht leicht, denn die Dimension der Selbstliebe war lange verpönt. Nächstenliebe und Mitgefühl wurden gerade in der Kirche stets stärker betont. Oft ging dabei aber vergessen, dass es im Christentum diesen wunderbaren Dreiklang Selbstliebe-Nächstenliebe-Gottesliebe gibt. Weil ich selbst immer wieder um dieses Selbstvertrauen gerungen habe, möchte ich den Menschen Mut machen, ihren eigenen Weg zu gehen, und dass sie im Auf uns Ab ihres Lebens eine göttliche Spur erkennen.
https://www.kath.ch/newsd/man-kann-miteinander-nur-oekumenisch-unterwegs-sein/
Video: Pierre Stutz über sein Buch «Lass dich nicht im Stich. Die spirituelle Botschaft von Ärger, Zorn und Wut»
Zuletzt geändert am 29.05.2017