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Veröffentlicht am 13­.11.2017

5.11.2017 - Glaube und Leben (Bistumszeitung Mainz)

Sind die Revoluzzer in Rente?

»WIR SIND KIRCHE« ärgerte als innerkirchliche Opposition die einen und freute die anderen. Rund 20 Jahre nach dem »Kirchenvolksbegehren« sind viele heiße Eisen keine mehr, und die Unterstützer haben weiße Haare. War's das also?

Am Anfang standen 1 845 141 Unterschriften vor allem von Katholiken, die 1995 für ordentlich Wirbel in der katholischen Kirche in Deutschland sorgten. Knapp zwei Millionen Menschen unterstützten das »Kirchenvolksbegehren« und seine fünf Forderungen: Aufbau einer geschwisterlichen Kirche, volle Gleichberechtigung der Frauen, freie Wahl zwischen zölibatärer und nichtzölibatärer Lebensform, positive Bewertung der Sexualität, Frohbotschaft statt Drohbotschaft.

Initiator der Aktion war Christian Weisner, damals Stadtplaner in Hannover und Mitglied der kirchenkritischen »Initiative Kirche von unten«. Als ein »Kirchenvolksbegehren« in Österreich auf die Beine gestellt wurde, nachdem der Wiener Kardinal Hans Hermann Groer des sexuellen Missbrauchs verdächtigt und die Kirche in eine tiefe Glaubwürdigkeitskrise gestürzt wurde, sah Weisner die Zeit reif für eine solche Reform-Aktion auch in Deutschland.

Kirchenvolksbegehren als Geburtsstunde
Bei aller Zustimmung blies ihm jedoch auch kräftiger Gegenwind ins Gesicht – sogar von Laienverbänden. Neben dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) hielten selbst der Bund der deutschen katholischen Jugend (BDKJ) und die »Initiative Kirche von unten« wenig von der Idee.

Das Kirchenvolksbegehren war zugleich die Geburtsstunde der Bewegung »Wir sind Kirche«, die Christian Weisner in Deutschland auf den Weg brachte. Inzwischen ist sie zwar international in mehr als 30 Ländern vertreten, aber heute scheint die Zeit der innerkirchlichen Revoluzzer vorbei. Viele Themen von damals sind entweder erledigt oder in den Reformkatalog etablierter Gremien wie etwa des ZdK übergangen.

Die Bischofskonferenz betont die Einheit aller Getauften und hat einen »Gesprächsprozess« durchgeführt, bei dem Bischöfe und Laien um die Zukunft der Kirche rangen. In Rom ist ein Mann an die Spitze gewählt worden, der nicht ohne Grund Reformpapst genannt wird.

»Wir sind Kirche« gibt es dennoch nach wie vor. Am vergangenen Wochenende erst tagte die Bundesversammlung in Ulm. Ein Beschluss: Die Gruppe will die ökumenische Mahlgemeinschaft im Gottesdienst praktizieren. Wenn die Bischofskonferenz hinter verschlossenen Türen tagt, dann hält Christian Weisner nach wie vor draußen die Stellung, Aber dass er in den Medien als Gesicht und Stimme einer innerkirchlichen Opposition auftaucht, ist selten geworden.

Trotzdem sieht Weisner eine Existenzberechtigung für die Gruppe . »Die Bischöfe brauchen einen kritischen Dialogpartner. Aber sie sprechen nicht mit uns, wir sprechen über Pressemitteilungen miteinander.« Das ZdK sei bei den Vollversammlungen nicht anwesend, »so ist es unsere Aufgabe, dort Stellung zu beziehen«.

Gleichberechtigt miteinander im Gespräch zu sein, »Synodalität« in der Kirche – das ist heute das große Thema von »Wir sind Kirche«. »Die Dialogbotschaft des Konzils ist bei den Bischöfen bis heute nicht angekommen«, meint Weisner. »Sie bemühen sich mehr um den ja sinnvollen Dialog mit dem Islam als um den Dialog mit ihren eigenen Leuten.«

Fakt ist aber auch: Die Anhänger von »Wir sind Kirche« sind in die Jahre gekommen. Weisner, inzwischen 66 Jahre alt, bekennt freimütig, es werde immer schwieriger, sich womöglich sogar bundesweit zu engagieren, während man voll im Erwerbs- und Familienleben stehe. »Am besten sind junge Pensionierte«, meint er, »aber die wollen dann meistens reisen.«

Wie viele wirklich zu »Wir sind Kirche« gehören, lässt sich schwer sagen. Es gibt es einen Verein, der vor allem Spenden sammelt und verwaltet, ihm gehören eher formal ein Dutzend Mitglieder an. Immerhin: »Rund 3000 Menschen spenden regelmäßig, im niedrigen sechsstelligen Bereich«, sagt Weisner. Er führt Studien an, wonach nur noch 54 Prozent der Katholiken Kontakt zur Kirche hätten, und zwei Drittel von ihnen sähen sich »auf dem Reformkurs«. »Es gibt unendlich viele Menschen«, sagt Weisner, »die machen die Arbeit von ›Wir sind Kirche‹, ohne sich dazu zu bekennen.«

Weisner glaubt, Anhänger auch unter den Bischöfen zu haben. »Die einen sind froh, dass es uns und andere Reformgruppen gibt. Die anderen scheuen uns wie der Teufel das Weihwasser.« Und er glaubt an einen großen Gewährsmann in Rom, Franziskus. Doch Weisner fürchtet, dass der Papst nicht genug Unterstützung von den Kardinälen hat. »Sie wollen die Krise aussitzen. Darum sind Reformbewegungen wichtiger denn je – natürlich auch mit dem ZdK zusammen.«

Markus Nolte

 

ZUR SACHE: Reformziele

Die geschwisterliche Kirche: Gleichwertigkeit aller Gläubigen, Überwindung der Kluft zwischen Klerus und Laien, Mitsprache und Mitentscheidung der Ortskirchen bei Bischofsernennungen

Volle Gleichberechtigung der Frauen: Mitsprache/-entscheidung in allen Gremien, Öffnung des ständigen Diakonates für Frauen, Zugang zum Priesteramt

Freie Wahl zwischen zölibatärer und nicht-zölibatärer Lebensform (für Priester)

Positive Bewertung der Sexualität: Anerkennung der verantworteten Gewissensentscheidung in Fragen der Sexualmoral, keine Gleichsetzung von Empfängnisregelung und Abtreibung, mehr Menschlichkeit statt pauschaler Verurteilungen (etwa in Bezug zur Homosexualität), anstelle lähmender Fixierung auf die Sexualmoral, stärkere Betonung anderer Themen

Frohbotschaft statt Drohbotschaft: helfende und ermutigende Begleitung und Solidarität anstelle von angstmachenden und einengenden Normen

 

 

Der gleiche Artikel erschien auch in anderen Kirchenzeitung wie  Aachen, Hamburg, Erfurt.

Zuletzt geändert am 14­.11.2017