30.11.2018 - Weser-Kurier
Laien übernehmen die Leitung
Michael Göcking ist zwar studierter Theologe, aber kein Priester. An diesem Sonnabend übernimmt der 60-jährige Pastoralreferent ein neues Amt, das es so noch nicht gab: Er wird Pfarrbeauftragter einer katholischen Pfarreiengemeinschaft in Melle. Einen Pfarrer gibt es damit nicht mehr in den Pfarreien Wellingholzhausen und Gesmold. Ein Laie übernimmt die Leitung.
„Laie“ nennt die Kirche jemanden wie Göcking, weil er nicht zum Priester geweiht ist. In der umgangssprachlichen Bedeutung des Wortes ist Göcking, der als Religionslehrer und als Dekanatsreferent arbeitete, alles andere als ein Laie. Und das ist gewollt: Er kennt sich in der Kirche aus und kann Leitungsaufgaben übernehmen. „Als Pfarrbeauftragter bin ich Vorgesetzter gegenüber allen pastoralen Mitarbeitern und allen Angestellten“, erklärt er. Verantwortlich ist er dem Bischof.
Ihm zur Seite steht Pater Dominik Kitta, der in dem neuen Modell die Rolle als moderierender Priesters innehat, der nicht in einer der Gemeinden lebt. Denn ohne Priester geht es nicht. Sakramente wie Taufe und Eheschließung dürfen nur sie spenden. Dasselbe gilt auch fürs Hochamt, die Eucharistiefeier, in der das Abendmahl gefeiert wird – der zentrale liturgische Akt in der Kirche. Kitta soll Göcking unterstützen und trägt die Hauptverantwortung für das Feiern der Sakramente. Als Pastor zur Mitarbeit wird der indische Priester Thomas Parathattel in der Pfarreiengemeinschaft tätig.
Frauen als Pfarrbeauftragte denkbar
Jahrhundertelang sei in der katholischen Kirche die Funktion des Gemeindechefs von einem Priester ausgeübt worden. Diese beiden Funktionen würden nun entflochten, sagt Kitta. „Das ist in der Tradition der katholischen Kirche schon eine ziemliche Veränderung.“ Möglich, dass es künftig in einer weiteren Pfarrei auch eine weibliche Pfarrbeauftragte gibt. Die wäre dann auch die Vorgesetzte der Priester in der Gemeinde – das würde den Kulturbruch innerhalb der Kirche mehr als deutlich machen.
Mit dem neuartigen Modell versucht die Diözese auf die schwindenden Priesterzahlen zu reagieren. Laut Statistik der Deutschen Bischofskonferenz sind immer weniger Priester für immer mehr Gläubige zuständig. Auch die Zahl der Pfarreien nimmt ab: Gab es 1990 noch 12 313 Pfarreien, waren es 2017 mit 10 191 insgesamt 23,5 Prozent weniger. Im Jahr 2000 gab es noch 17 219 Welt- und Ordenspriester in den deutschen Diözesen. 2017 waren es nur noch 13 560. Auch die Zahl der Priesteramtskandidaten sinkt: Ende 2017 waren es 85 Neuaufnahmen, 18 Männer weniger als 2016.
Entweder werden die Pfarreinheiten größer und unübersichtlicher, oder die Bistümer überlegen sich Alternativen. Das Bistum Osnabrück machte sich eine Bestimmung des Kirchenrechts zunutze, wonach in Zeiten des Priestermangels auch Laien eine Gemeinde leiten dürfen. Die Osnabrücker sind nicht alleine, aber es gibt doch Unterschiede zu anderen Regionen.
Im Bistum Magdeburg etwa gibt es zwei Pfarreien, die von einem Team von Ehrenamtlichen geleitet werden, wie Bistumssprecherin Susanne Sperling sagt. Hinzu kommt ein Mediator, der Pfarrer in einer anderen Pfarrei ist. Anfang 2017 wurde das erste Team eingesetzt, Ende 2017 ein zweites. Bis 2026 wolle der Magdeburger Bischof Gerhard Feige, dass alle Pfarreien des Bistums auf diese Weise geführt werden.
Auch im Erzbistum München und Freising setzt Kardinal Reinhard Marx auf Teams aus Laien und Priestern. Dort sind in jeder der drei Seelsorgeregionen eine Pfarrei oder ein Pfarreienverband ausgesucht worden, wo ein Team aus geweihten und nicht geweihten Hauptamtlichen ein Modell entwickeln, an dem auch Ehrenamtliche mitwirken sollen, sagt Christoph Kappes aus der Pressestelle: „Das hat Pilotcharakter fürs ganze Erzbistum“.
Modelle wie in Magdeburg oder in Bayern seien auch im Bistum Osnabrück vorstellbar, sagt Daniela Engelhard, Leiterin des Seelsorgeamtes im Bistum. Zum Start habe man sich aber für das Modell einer vom Bischof beauftragten Person mit einem zugeordneten moderierenden Priester entschieden. „Es war ein über mehrere Monate laufender Kommunikationsprozess mit den beteiligten Kirchengemeinden“, sagt Engelhard.
Laien stärker einzubinden sei der einzige Weg in die Zukunft
Gute Erfahrungen mit der Einbindung von Ehrenamtlichen gebe es schon. „Ehrenamtliche sind in der Regel berufstätig und haben nicht unbegrenzt Zeit“, antwortet Engelhard auf die Frage, weshalb kein Ehrenamtlicher zum Pfarrbeauftragten ernannt wurde. Lob bekommt das Osnabrücker Bistum von der kritischen Laienorganisation „Wir sind Kirche“ und auch vom Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK). Laien stärker in die Leitung von Gemeinden einzubinden sei der einzige Weg in die Zukunft, wenn man sich anschaue, wie viele Priester der Kirche fehlten, sagt ZdK-Sprecher Theodor Bolzenius.
Bei der Kirche müsse sich das Leitungsverständnis ändern. „Was wir uns wünschen, ist, dass ein synodales Prinzip in die Leitung einzieht“, sagt er. Die Einbindung auch der ehrenamtlichen Laien verändere die Kultur in der Kirche, stellt Seelsorgeamtsleiterin Engelhard fest. „Sie merken, sie sind nicht nur der verlängerte Arm der Hauptamtlichen, die Aufgaben zugeteilt bekommen, sondern sie entwickeln das gemeindliche Leben mit – das beflügelt viele.“
Zuletzt geändert am 01.12.2018