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Veröffentlicht am 16­.01.2019

16.1.2019 - KNA

Vor 30 Jahren wurde die "Kölner Erklärung" veröffentlicht

"Wider die Entmündigung - für eine offene Katholizität"

Von Michael Jacquemain (KNA)

Köln (KNA) Es war ein Paukenschlag. Rund 200 Theologieprofessoren aus dem deutschsprachigen Raum brachten mit der auf den 6. Januar 1989 datierten "Kölner Erklärung" fundamentale Kritik am römischen Kurs ihrer Kirche zum Ausdruck. Einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde der Appell am 25. Januar im Vorfeld des Abdrucks in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Weltweit schlossen sich später rund 500 weitere Hochschullehrer an. Es war, so sagen es die Wissenschaftler selbst, "ein Ruf der Empörung".

Vor allem drei Punkte stießen den Unterzeichnern auf: Zum einen das römische Vorgehen bei Bischofsernennungen, das die Ortskirchen missachte - nicht nur bei der gerade zuvor, im Dezember 1988 erfolgten Berufung von Kardinal Joachim Meisner nach Köln. Zweitens die Verweigerung der Lehrerlaubnis für Theologen, die nicht auf Linie der Glaubenskongregation lagen. Und drittens die in ihren Augen zu machtvolle Ausübung des Papstamtes durch Johannes Paul II.

Alles das kritisierten die Wissenschaftler mit Formulierungen, die Rom und vielen Bischöfen nicht passten: Die Rede war von der "fortschreitenden Entmündigung der Teilkirchen", von "neuem römischen Zentralismus", von Nuntiaturen im "Odium von Nachrichtendiensten", von Willkür und blindem Gehorsam.

Getragen wurde das fünfseitige Papier mit dem Untertitel "Wider die Entmündigung - für eine offene Katholizität" von Professoren, die in der Summe so etwas wie das "Who is Who" der deutschsprachigen Theologie bildeten: Johannes Gründel, Bernhard Häring, Friedhelm Hengsbach, Peter Hünermann, Norbert Mette, Johann Baptist Metz, Dietmar Mieth, Edward Schillebeeckx und natürlich Hans Küng, der ewige Widersacher Roms. Über Tage beherrschte der Aufstand der Intellektuellen nicht nur in der Bundesrepublik die Schlagzeilen. In den Medien ernteten die Professoren viel Zustimmung.

Die deutschen Bischöfe mussten reagieren, und sie taten es: "Die Erklärung greift viele schwierige Themen auf, wird jedoch der Sachlage durch die pauschale Darstellung nicht gerecht", hieß es in einer ersten Stellungnahme. Die damals seit eineinhalb Jahren vom früheren Theologieprofessor Karl Lehmann geleitete Bischofskonferenz suchte nach einem Weg, sich einerseits klar gegenüber den Theologen abzugrenzen, aber andererseits die Gesprächstür offen zu halten. Rom sprach im Sinne einer Relativierung von einem "lokalen Vorgang", nahm ihn aber gleichwohl sehr ernst. Ein Zeichen dafür war, dass Lehmann zu einem Gespräch mit dem Papst in den Vatikan gebeten wurde.

Ob vor Ort in der Pfarrgemeinden, beim Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) oder für die einige Jahre später gegründete Gruppierung "Wir sind Kirche" - die "Kölner Erklärung" blieb über Jahre Referenzpunkt vieler Debatten. Ein konkretes Ergebnis waren die bis heute bestehenden "Mainzer Gespräche" zwischen Theologen und Bischöfen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz. Die regelmäßigen Treffen verstanden und verstehen beide Seiten als "vertrauensbildende Maßnahme". Auch die "Europäische Gesellschaft für Katholische Theologie" wäre 1991 ohne die "Kölner Erklärung" sicher nicht ins Leben gerufen worden.

Knapp ein Vierteljahrhundert nach der Veröffentlichung geschah dann in Rom Unerwartetes: Nach dem Rücktritt von Papst Benedikt XVI. meldeten sich im Vorfeld der Wahl eines Nachfolgers Kardinäle zu Wort und kritisierten römische Kurienbehörden. Es ging um Krisenmanagement und Zentralismus. Mit dem Argentinier Jorge Mario Bergoglio wurde ein Kardinal zum Kirchenoberhaupt gewählt, der manches anders sieht als seine Vorgänger. Wenn Franziskus Dezentralisierung für heilsam und erforderlich hält, würden auch die Unterzeichner von 1989 zustimmen.

Sozialethiker und Mitunterzeichner Friedhelm Hengsbach, wie Bergoglio ein Jesuit, glaubt indes trotz "toller Impulse" des Papstes nicht, dass Franziskus grundlegend Strukturen verändern kann. Sobald es wie beim Thema Dezentralisierung ernst werde, "wird es vom Apparat im Vatikan gestoppt", sagte Hengsbach jetzt der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Nur die Gemeinden vor Ort, so die Überzeugung des 81-Jährigen, könnten die Kirche aus ihrer "babylonischen Gefangenschaft" befreien. Notwendig sei eine "Rebellion" - und die könne nur von unten kommen. Vielleicht, so Hengsbach im Rückblick auf die "Kölner Erklärung", sei es damals ein Fehler gewesen zu hoffen, dass der Wandel von oben kommen könnte.

Auszüge aus der "Kölner Erklärung" von vor 30 Jahren
"Wider die Entmündigung - für eine offene Katholizität"

Köln (KNA) Vor genau 30 Jahren sorgte die "Kölner Erklärung" für internationales Aufsehen. Hunderte Theologen kritisierten den Vatikan und verlangten Veränderungen in der Kirche. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) dokumentiert wichtige Auszüge aus der am 25. Januar 1989 bekanntgewordenen Erklärung:
"Verschiedene Ereignisse in unserer katholischen Kirche veranlassen uns, eine öffentliche Erklärung abzugeben. Drei Problemfelder bedrücken uns am meisten:
1. Von der römischen Kurie wird mit Nachdruck die Konzeption verwirklicht, Bischofssitze in der ganzen Welt unter Missachtung der Vorschläge der Ortskirchen und unter Vernachlässigung ihrer gewachsenen Rechte einseitig zu besetzen.
2. Auf der ganzen Welt wird qualifizierten Theologen und Theologinnen die kirchliche Lehrerlaubnis in vielen Fällen verweigert. Dies ist ein bedeutender und gefährlicher Eingriff in die Freiheit von Forschung und Lehre und in die dialogische Struktur der theologischen Erkenntnis, die das Zweite Vatikanische Konzil an vielen Stellen betont hat. Die Erteilung der kirchlichen Lehrerlaubnis wird als Instrument der Disziplinierung missbraucht.
3. Wir werden Zeugen des theologisch höchst fragwürdigen Versuchs, neben der jurisdiktionellen die lehramtliche Kompetenz des Papstes in unzulässiger Weise geltend zu machen und zu überziehen. Die Beobachtungen in diesen drei Bereichen scheinen uns Zeichen für eine Veränderung der nachkonziliaren Kirche zu sein:
- für eine schleichende Strukturveränderung in der Überdehnung der Jurisdiktionshierarchie;
- für eine fortschreitende Entmündigung der Teilkirchen, für eine Verweigerung der theologischen Argumentation und für eine Zurücksetzung der Laien in der Kirche;
- für einen Antagonismus von oben, der die Konflikte in der Kirche durch Disziplinierung verschärft.
Wir sind der Überzeugung, dass wir dazu nicht schweigen dürfen....
- Wenn Ortskirchen durch Bischofsernennungen oder durch andere Maßnahmen (wie in Lateinamerika, in Sri Lanka, in Spanien, in den Niederlanden, in Österreich, der Schweiz und hier in Köln), die oft auf falschen Analysen und Verdächtigungen beruhen, diszipliniert werden, werden sie ihrer Eigenständigkeit beraubt. Die Öffnung der katholischen Kirche für die Kollegialität zwischen Papst und Bischöfen, die eine der zentralen Ergebnisse des Zweiten Vatikanischen Konzils gewesen ist, wird in einem neuen römischen Zentralismus erstickt.
- Die Herrschaftsausübung, wie sie in den neueren Bischofsernennungen zum Ausdruck kommt, steht im Gegensatz zur Brüderlichkeit des Evangeliums, zu den positiven Erfahrungen mit der Entfaltung der Freiheitsrechte und zur Kollegialität der Bischöfe.
- Die derzeitige Praxis behindert den ökumenischen Prozess in wesentlichen Punkten.
- Bezogen auf die "Kölner Affäre" halten wie es für skandalös, in einem laufenden Verfahren die Wahlordnung zu ändern. Das Bewusstsein für Verfahrensgerechtigkeit wurde dadurch empfindlich getroffen...
- Der in jüngster Zeit öfter erklärte und beanspruchte Gehorsam von Bischöfen und Kardinälen gegenüber dem Papst erscheint als blind. Der kirchliche Gehorsam im Dienst am Evangelium verlangt die Bereitschaft zu konstruktivem Widerspruch...
Das Selbstergänzungsrecht der Fakultäten bzw. der Hochschulen in der Auswahl der Lehrenden darf nicht durch eine willkürliche Praxis der Erteilung und Verweigerung der kirchlichen Lehrerlaubnis völlig ausgehöhlt werden.
- Kommt unter dem Druck solcher Probleme in den Universitäten eine Auswahl der Theologieprofessoren und Theologieprofessorinnen auf der Grundlage wissenschaftsfremder Kriterien zustande, so bedeutet dies den Verlust des Ansehens der Theologie an den Universitäten...
Nach der Überzeugung vieler Menschen in der Kirche stellt die Geburtenregelungsnorm der Enzyklika "Humanae Vitae" von 1968 eine Orientierung dar, welche die Gewissensverantwortung der Gläubigen nicht ersetzt. Bischöfe, u.a. die deutschen Bischöfe in ihrer "Königsteiner Erklärung" (1968) und Moraltheologen haben diese Auffassung vieler Christinnen und Christen für richtig gehalten, weil sie der Überzeugung sind, die Würde des Gewissens bestehe nicht nur im Gehorsam, sondern gerade auch in der Verantwortung. Ein Papst, der auf diese Verantwortung der Christinnen und Christen im Bereich innerweltlichen Handelns so häufig zu sprechen kommt, sollte diese im Ernstfall nicht systematisch missachten. Im übrigen bedauern wir die intensive Fixierung des päpstlichen Lehramtes auf diesen Problembereich...
Die Theologen, die im Dienst der Kirche stehen, haben jedoch auch die Pflicht, öffentlich Kritik zu üben, wenn das kirchliche Amt seine Macht falsch gebraucht, so dass es in Widerspruch zu seinen Zielen gerät, die Schritte zur Ökumene gefährdet und die Öffnung des Konzils zurücknimmt....
....Wenn der Papst tut, was nicht seines Amtes ist, kann er im Namen der Katholizität nicht Gehorsam verlangen. Dann muss er Widerspruch erwarten."

Zuletzt geändert am 18­.01.2019