August 2019 – „Kirche In“
Synodaler Weg in Deutschland: Dritter Anlauf
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Als Antwort auf die schockierenden Ergebnisse der Ende September 2018 veröffentlichten sogenannten Missbrauchsstudie („MHG-Studie“) kündigten die deutschen Bischöfe auf ihrer Frühjahrstagung im März 2019 einen „verbindlichen synodalen Weg“ an (siehe April-Heft KIRCHE IN). Christian Weisner analysiert die Chancen und Möglichkeiten.
Man muss die Vorgeschichte kennen: Nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil gab es in den späten 1970er Jahren die „Würzburger Synode“ für das damalige Westdeutschland sowie die „Pastoralsynode der Katholischen Kirche in der DDR“, die beide das kirchliche Leben in Deutschland in Vielem sehr positiv prägten. So sah das Statut der Würzburger Synode eine Gleichberechtigung zwischen den Bischöfen und „Laien“ vor, und auch die damaligen Bischöfe befürworteten sogar die Einführung des Frauendiakonats. Von Rom waren die Voten jedoch nicht einmal entgegengenommen, geschweige denn je beantwortet worden.
Nach der Neufassung des Kirchengesetzes von 1983 ist ein Statut wie das der Würzburger Synode jedoch nicht mehr möglich. Themen, die der kirchlichen Lehre widersprechen, dürfen nicht behandelt werden. Rom verbittet es sich, überhaupt mit Voten belästigt zu werden. Dies alles mag eine Rolle gespielt haben, als die deutschen Bischöfe auf ihrer Frühjahrsvollversammlung im März 2019 im norddeutschen Lingen dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) einen „verbindlichen synodalen Weg“ angeboten haben. Es klingt ein wenig nach Synode, unterliegt aber nicht den derzeitigen kirchenrechtlichen Einschränkungen.
„Die Frage nach der Zäsur“
Nach den erschütternden Ergebnissen der im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) erstellten MHG-Studie („Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der DBK“) und den anhaltend hohen Kirchenaustrittszahlen musste etwas geschehen. Vor dem Versammlungsort der Bischöfe in Lingen hatten mehrere hundert Gläubige den Bischöfen mit Kerzen heimgeleuchtet. Der bischöfliche Studientag stand unter dem Thema: „Die Frage nach der Zäsur – Übergreifende Fragen, die sich gegenwärtig stellen“. Die Einigung auf einen „synodalen Weg“ gelang allerdings erst in der letzten halben Stunde der Konferenz. Und selbst dann enthielten sich noch vier Bischöfe.
In Lingen erklärte Marx, dass man beschlossen habe, „einen verbindlichen synodalen Weg als Kirche in Deutschland zu gehen, der eine strukturierte Debatte ermöglicht und in einem verabredeten Zeitraum stattfindet und zwar gemeinsam mit dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Wir werden Formate für offene Debatten schaffen und uns an Verfahren binden, die eine verantwortliche Teilhabe von Frauen und Männern aus unseren Bistümern ermöglichen. Wir wollen eine hörende Kirche sein. Wir brauchen den Rat von Menschen außerhalb der Kirche.“
„Ausweichen geht nicht mehr“
Das Forschungsteam der MHG-Studie benannte sehr deutlich konkrete „Risikofaktoren“ sexualisierter Gewalt in der Kirche. Davon ausgehend soll der künftige „synodale Weg“ in vier Foren stattfinden. Auf drei Foren hatten sich die Bischöfe bereits in Lingen geeinigt: „Macht, Partizipation und Gewaltenteilung“, „Sexualmoral“ und „Priesterliche Lebensform“. Die Frage nach einer Teilhabe der Frauen an kirchlichen Ämtern sollte aber kein eigenes Thema werden. Doch die über 1.000 Aktionen von „Maria 2.0“ in Deutschland und die Basis des Zentralkomitees protestierten laut. Die KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche sandte einen Eilbrief an die Bischöfe. Erst unter diesem Druck akzeptierte der „Ständige Rat“ der Bischöfe auch das vierte Forum, „Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche“. Andernfalls wäre der „synodale Weg“ vermutlich beendet gewesen, noch bevor er begonnen hätte.
Themen wie Sexualmoral, Auswahl des Klerus, Zölibat sowie Ausübung und Missbrauch von Macht „wollten wir immer ausweichen, auch im Dialog- und Gesprächsprozess 2011 bis 2015 der deutschen Bischöfe, aber es geht nicht“, wird Kardinal Marx, der Vorsitzende der Bischofskonferenz, zitiert. Es sei „ein wichtiger Schritt, eine Lehrentwicklung der Kirche für möglich zu halten“. Es gehe darum, einen gewissen Druck und Veränderungswillen sichtbar zu machen, „sonst ändert sich nie etwas“.
Das rührt an alte Wunden. Bereits vor dem Jahr 2010 hatte die „Gemeinsame Konferenz“ von DBK und ZdK ein „Zukunftsforum“ für die katholische Kirche in Deutschland angedacht, aber einige Bischöfe hatten ihr Veto eingelegt. Erst die Aufdeckung des Missbrauchs-Skandals im Berliner Canisius-Kolleg Anfang 2010 führte zur Bereitschaft der Bischöfe, sich auf einen „Dialogprozess“ einzulassen, den sie aber von Anfang an voll unter Kontrolle hatten. Das bemerkenswerte Eröffnungsreferat des damaligen DBK-Vorsitzenden Robert Zollitsch zeigte zwar die Bereitschaft, über die Missbrauchs- Krise hinaus die viel tiefer greifende Kirchenkrise in den Blick zu nehmen. Doch dieser „Dialogprozess“ wurde sehr schnell zu einem unverbindlichen „Gesprächsprozess“ herabgestuft und verlief letztendlich im Sande. Den Anlass, die Aufdeckung der jahrelang vertuschten sexualisierten Gewalt, verlor man schnell aus dem Blick. Jetzt handelt es sich also um den dritten Anlauf, und dieser dritte Versuch muss gelingen!
„Änderungen der Lehre nicht akzeptieren“
Doch bevor überhaupt der vorsichtige „Weg zum synodalen Weg“ beginnen konnte, bauten sich schon die Fronten auf. Der Kölner Kardinal Rainer Woelki, Gegenspieler von Marx, stellt sich zwar nicht prinzipiell gegen den „synodalen Weg“, aber die Kirche könne „Änderungen ihrer Lehre nicht akzeptieren ..., wenn sie dem Geist des Evangeliums widersprechen.“ Die deutschen Ruhestandskardinäle Walter Brandmüller und Paul Cordes halten an einem verklärenden Bild des zölibatären Priesters fest. Brandmüller diagnostiziert in diesem Zusammenhang „ein Versagen des Konzils auf breiter Front“. Dagegen weist der Kirchengeschichtler Hubert Wolf in seinem neuesten Buch „Zölibat. 16 Thesen“ nach, dass der Zölibat erst seit 100 Jahren als unumstößlich betrachtet wird.
Kardinal Gerhard Ludwig Müller, ehemaliger Präfekt der vatikanischen Glaubenskongregation und jetzt ohne feste Aufgabe, wirft in seinem neuesten Buch mit dem harmlos klingenden Titel „Römische Begegnungen“ der katholischen Kirche unter Papst Franziskus vor, an ihrer eigenen Auflösung zu arbeiten. Dabei vergisst Kardinal Müller, dass er in seiner fünfjährigen Amtszeit als Glaubenspräfekt durch sein Nichtstun gegen sexualisierte Gewalt und sein Leugnen der systemischen Ursachen ganz wesentlich zur Eskalation der institutionellen Krise der Kirche beigetragen hat. Bischof Rudolf Voderholzer, sein Nachfolger in Regensburg, betrachtet es als Zeit-und Energieverschwendung, über Themen wie „Macht“ und „Teilhabe“ zu diskutieren. Augsburgs Bischof Konrad Zdarsa bezeichnet im letzten Interview vor seinem Ruhestand den „synodalen Weg“, dem er nicht zugestimmt habe, als Etikettenschwindel – womit er im schlimmsten Fall am Ende möglicherweise gar Recht behalten könnte.
„An das pilgernde Volk Gottes“
Auf diese kirchenpolitische Gemengelage traf der unerwartete Brief von Papst Franziskus „An das pilgernde Volk Gottes in Deutschland“, der ein sehr unterschiedliches Echo auslöste. Der Regensburger Generalvikar schrieb sofort: „Der synodale Prozess kann nicht so stattfinden wie geplant. Weder dem Inhalt nach noch in der Form.“ Aber das gibt der 19-seitige Papst-Brief nicht her. Zwar kommen die Worte „Missbrauch“, „Zölibat“ und „Sexualmoral“ nicht vor, aber der Brief grenzt Themen weder ein noch aus. Vielmehr spricht Franziskus von einer „Zeitenwende“, „die neue und alte Fragen aufwirft, angesichts derer eine Auseinandersetzung berechtigt und notwendig ist“. Er ermuntert zu einer „freimütigen Antwort auf die gegenwärtige Situation“ und lobt, dass die Kirche in Deutschland „der Weltkirche große heilige Männer und Frauen, große Theologen und Theologinnen sowie geistliche Hirten und Laien geschenkt“ habe. Franziskus spricht von einer „Synodalität von unten nach oben“; erst danach komme die „Synodalität von oben nach unten“.
Den Skandal klerikaler Gewalt gegen Kinder, Jugendliche, Frauen und sogar Ordensfrauen gibt es weltweit. Denn die ganze römisch-katholische Weltkirche befindet sich in einer existenziellen Krise, die zwar vom Missbrauchsskandal nicht ausgelöst ist, darin aber ihren Brennpunkt findet. Viele Länder haben mittlerweile schon ihr großes Erwachen erlebt, andere Länder werden noch folgen. Wenn es gelänge, die grundlegenden Strukturen des Missbrauchs nicht nur aufzudecken, sondern auch anzugehen, dann könnte die Kirche in Deutschland sogar eine Vorreiterrolle für die Weltkirche übernehmen. Das Selbstbild der Kirche steht in Frage. Um die Grundfrage anzugehen, welche Relevanz das Christentum überhaupt (noch) hat, ist ein grundlegender Wandel in Lehre und Struktur, in Theologie und Pastoral dringend vonnöten. Die Päpstliche Lateinamerika-Kommission hat übrigens schon vor einem Jahr dem Papst empfohlen, nach der Amazonas-Synode eine Frauen-Synode einzuberufen.
Fruchtbar könnte auch der Austausch mit der Pan-Amazonien-Synode „Neue Wege für die Kirche und eine ganzheitliche Ökologie“ in diesem Oktober im Vatikan sein. Die äußeren Rahmenbedingungen sind zwar sehr unterschiedlich, aber in beiden Fällen geht es darum, ob Ortskirchen selbst entscheiden können, was sie direkt betrifft, oder nicht. Also die Grundfrage zwischen Dezentralisierung und römischer Zentralisierung.
Grundlegender Wandel vonnöten
Der „verbindliche synodale Weg“ ist wohl die einzige und vielleicht letzte Möglichkeit, die derzeitige existenzielle Kirchenkrise in Deutschland zu überwinden. Dazu wird es aber erforderlich sein, dass sich die Bischöfe auf einen transparenten Dialog ohne Vorbedingungen und auf Augenhöhe mit dem Zentralkomitee, weiteren Mitgliedern des Kirchenvolks, Theologinnen und Theologen sowie den Reformgruppen einlassen. Allerdings ist davor zu warnen, zu viele Hoffnungen auf diesen „synodalen Weg“ zu setzen, solange nicht eindeutig geklärt ist, wer in welcher Weise am Zustandekommen der Beschlüsse beteiligt wird und welche Verbindlichkeit sie haben. Nach derzeitigem Kirchenrecht ist kein Bischof an die Ergebnisse eines solchen Prozesses gebunden.
Aber die Zeit drängt. Das Zeitfenster, in dem die Kirche ihre Glaubwürdigkeit wiedererlangen kann, schließt sich. Wenn nach dem KirchenVolksBegehren 1995 in Österreich die Reformpunkte von Wir sind Kirche auch von der Kirchenleitung ernstgenommen und angegangen worden wären, wäre zumindest in den vergangenen 24 Jahren vielen Betroffenen großes Leid und der Kirche immenser Schaden erspart worden.
Christian Weisner, Wir sind Kirche-Bundesteam
> Wir sind Kirche zum "Gesprächsprozess" der Bischofskonferenz 2010-2015
Zuletzt geändert am 06.08.2019