29.11.2019 - Passauer Neue Presse
Reformstau aufarbeiten
Mit dem Beginn des neuen Kirchenjahres fällt heuer der Startschuss für einen Prozess innerhalb der Kirche, an den viele hohe – und sehr unterschiedliche – Erwartungen knüpfen: Die Deutsche Bischofskonferenz hat auf ihrer Frühjahrsvollversammlung 2019 beschlossen, zur Aufarbeitung des Missbrauchsskandals den sogenannten "synodalen Weg" zu beschreiten. Es handelt sich dabei um eine strukturierte Debatte, an der auch das "Zentralkomitee der deutschen Katholiken" beteiligt sein wird. Die kirchliche Reformbewegung "Wir sind Kirche" ist dort nicht vertreten. In den vergangenen Wochen hat sich die Gruppierung dennoch immer wieder zum Prozess geäußert, einerseits, indem Erwartungen an die Bischofskonferenz formuliert wurden, andererseits mitunter aber auch mit deutlicher Kritik. Die emeritierten Professoren Dr. Theodor Nolte und Dr. Stefan Knobloch sowie der Theologe Axel Stark vom Passauer "Wir sind Kirche"-Team haben sich jetzt mit Christian Weisner, Mitglied im Bundesteam der Kirchenvolksbewegung, getroffen, um sich über aktuelle Entwicklungen auszutauschen.
Nun, da es losgeht: Schauen Sie nach wie vor skeptisch in die Zukunft, oder doch auch hoffnungsvoll?
Weisner: Das ist eine Frage, die nicht leicht zu beantworten ist. Es ist das alte Thema: Ist das Glas halb voll? Oder halb leer? Wichtig ist, um im Bild zu bleiben: Das Glas sollte nicht kaputt gehen. Die Kirchenleitung hat in vielem an Glaubwürdigkeit verloren. Die Bischöfe bilden auch kein Bild von Einigkeit. Manche scheinen nicht wahrzunehmen, wie dramatisch die Situation innerhalb der Kirche ist, und manche scheinen auch nicht zu verstehen, was der Anlass für den Prozess ist und wie dringend die Kirche ihn benötigt. Aber: Ich sehe keine Alternative zu diesem Weg. Überall auf der Welt finden wir Beispiele dafür, was passiert, wenn Menschen nicht mehr ins Gespräch kommen können. Denken Sie an den Brexit oder an die Spaltung unter Donald Trump. Der "synodale Weg" ist keine Synode, aber er wird hoffentlich die Möglichkeit bieten, zusammenzukommen – wenn man will.
Wie stehen die Vertreter von "Wir sind Kirche" auf Bistumsebene dem Prozess gegenüber?
Knobloch: Ich kann nur für mich sprechen. Ganz persönlich fühle ich mich nicht genug informiert. Ich wüsste zum Beispiel gern, welche Personen aus dem Bistum beim "synodalen Weg" dabei sein werden und welche Positionen sie vertreten. Ich finde, das ist aber in der Öffentlichkeit praktisch nicht präsent, und das ist schade. Wir wissen alle, dass es unterschiedliche Tendenzen in der Bischofskonferenz gibt, und es ist schwer zu sagen, welche Seite dominieren wird. Deshalb denke ich, wir können im Moment nur abwarten, sehen, wie sich der Prozess entwickelt. Und ganz gleich, was dabei herauskommt – die Frage, wie sich das, was dort passiert, auf Bistumsebene abbilden kann, ist noch einmal eine ganz andere.
Sie sprechen von den unterschiedlichen Tendenzen in der Bischofskonferenz. Glauben Sie daran, dass ein ergebnisoffenes Gespräch dennoch möglich ist, dass sich manche vielleicht auch bewegen lassen von dem, was da passiert?
Stark: Aus meiner Sicht kommt der Prozess viel zu spät. Die Fronten sind verhärtet, viele vertreten ihre Position kompromisslos. Ein Umschwenken ist da schwer. Manche sagen sogar, die Spaltung der Kirche, vor der alle so große Angst haben, ist längst da. Das macht die Sache schwierig.
Knobloch: Ich denke, es gab in den vergangenen Wochen sehr viel Unruhe um das formale Verfahren. Über Inhalte wurde eigentlich noch kaum gesprochen. Aber man darf nicht übersehen: Die Verfahrensfrage ist beim "synodalen Weg" sehr eng mit der Frage nach den Zielen verknüpft, dadurch werden Weichen gestellt. Ich hoffe dennoch darauf, dass der Prozess, ähnlich wie einst das Konzil, eine eigene Dynamik entwickelt, und dass am Ende etwas herauskommt, mit dem heute vielleicht keiner rechnet. Dass der Heilige Geist sozusagen wirkt.
Weisner: Ich glaube, viele, die wie wir die Auffassung vertreten, dass umfassende Reformen für die Kirche überlebenswichtig sind, sind deshalb so skeptisch, weil der "synodale Weg" eine lange Vorgeschichte hat. Eine richtige Synode gab es in Deutschland in den 1970er Jahren, aber die Ergebnisse wurden in Rom nicht entgegengenommen. Erst nach der Missbrauchsaufdeckung am Berliner Canisius-Kollege luden die Bischöfe dann im Jahr 2010 zu einem Dialogprozess ein, der aber schnell zu einem unverbindlichen Gesprächsprozess herabgestuft wurde. Man sieht: Wer sich Reformen wünscht, braucht fast unendliche Geduld – aber irgendwann ist die zu Ende. Wir stehen nun vor dem dritten Anlauf – und hoffen, dass der anders verläuft als seine Vorgänger.
Wo sollte der "synodale Weg" ansetzen?
Weisner: Ich bin Jahrgang 1951. Das heißt, ich habe als junger Mensch das Konzil erlebt, bei uns daheim war das ein bestimmendes Thema. Das hat eine große Sehnsucht in mir geweckt, hat mir wie vielen aus meiner Generation eine Idee davon gegeben, was möglich sein könnte. "Wir sind Kirche" drängt darauf, den Reformstau aufzuarbeiten und all die Veränderungen einzuleiten, zu denen das Konzil bereits den Weg geebnet hat. Es geht uns nicht darum, direkt in den "synodalen Weg" einbezogen zu werden, doch wir werden denen gegenüber, die dort Verantwortung tragen, immer wieder zum Ausdruck bringen, was aus unserer Sicht wesentlich ist. Wenn ich meine Sicht der Dinge kurz auf den Punkt bringen müsste, würde ich es vielleicht so formulieren: Die Kirche, also wir alle, ist mitten drin in einem schmerzhaften, aber hoffnungsvollen Transformationsprozess – Ausgang offen. Deshalb sollte man den "synodalen Weg" auch nicht überladen. Die primäre Aufgabe ist die Missbrauchsaufarbeitung, inklusive der Frage danach, wie eine effektive Prävention aussehen könnte. Damit sind natürlich auch die Fragen nach der innerkirchlichen Machtverteilung, nach der Zölibatspflicht und nach der Rolle der Frau berührt. Aber die Missbrauchsaufarbeitung muss im Vordergrund bleiben. Darüber hinaus wäre es schön, wenn durch den "synodalen Weg" partizipatorisches Denken und Handeln auf allen Ebenen Eingang in unser kirchliches Miteinander finden würde.
Was wäre aus Ihrer Sicht das Schlimmste, was passieren könnte?
Weisner: Wenn sich die Teilnehmenden redlich bemühen, gemeinsam ringen, nach Lösungen suchen – und es am Ende keinen in der Öffentlichkeit interessiert. Doch das lässt sich durch Transparenz und eine breite Beteiligung der Glaubenden vermeiden.
Interview : Barbara Osdarty
https://plus.pnp.de/lokales/passau_stadt/3528624_Reformstau-aufarbeiten.html
Zuletzt geändert am 29.11.2019