16.9.2020 - kiz-online.de
KirchenVolksBewegung „Wir sind Kirche“ „Viele haben resigniert“
Vor 25 Jahren machte die KirchenVolksBewegung „Wir sind Kirche“ Schlagzeilen. Sie warb für Veränderungen in der Kirche und sammelte dafür mehr als 1,8 Millionen Unterschriften. Ein Zentrum der Bewegung war damals Hannover. Zwei Männer der ersten Stunde sind bis heute dabei: Christian Weisner und Peter Sutor.
Sie standen vor Kirchen und Pfarrheimen, verteilten Flugblätter und hielten Transparente hoch: Die Mitglieder der KirchenVolksBewegung sorgten vor einem Vierteljahrhundert für eine Welle. Aus der Wohnung von Christian Weisner an der Hildesheimer Straße in Hannover wurde ein Großteil der bundesweiten Aktion koordiniert. Wenn er tagsüber zur Arbeit ging, nutzten Mitglieder der Bewegung seine Räume als Büro. Schon damals war Weisner das Gesicht der Bewegung, noch heute ist er einer von sechs Bundessprechern.
Eine Umgehungsstraße braucht auch Zeit
Wie blickt er auf die vergangenen 25 Jahre zurück? Ist er frustriert, dass viele der Forderungen von damals (siehe Kasten) bis heute nicht umgesetzt wurden? „Nein, sonst würde ich auch nicht mehr mitmachen. Das ist ein mühsamer Weg, ein Ringen. Ich war von Beruf Stadtplaner, da lernt man, in Prozessen zu denken. Der Bau einer Umgehungsstraße dauert auch oft Jahrzehnte“, sagt der 69-Jährige, der heute in Dachau in der Nähe von München wohnt.
Ähnlich sieht es Peter Sutor, der dabei war, als sich die KirchenVolksBewegung rund um die katholische Studenten- und Hochschulgemeinde um St. Clemens in Hannover entwickelte und heute Ansprechpartner für „Wir sind Kirche“ im Bistum Hildesheim ist. „Ich habe da immer aus Liebe zur Kirche und nicht aus Revoluzzertum mitgemacht“, sagt er. Auch wenn vieles bis heute nicht umgesetzt sei, so gebe es doch positive Entwicklungen: „Nicht nur wir, sondern auch Bischöfe sprechen heute offen über das Priestertum der Frau – und das trotz gegenteiliger Festlegung aus Rom“, sagt Sutor. Gemeinsam mit Maria 2.0 hat er erst kürzlich wieder öffentlich für dieses Anliegen protestiert.
Bistum Hildesheim ist auf einem guten Weg
Es freut ihn, dass bei der Gleichberechtigung immerhin unterhalb der Weihe-Ebene Fortschritte im Bistum erzielt werden: Mit einer Finanzdirektorin und einer persönlichen Referentin des Bischofs seien Frauen in einflussreiche Positionen gelangt.
Überhaupt sieht Sutor das Bistum Hildesheim auf einem guten Weg. In Heiner Wilmer erblickt er einen „Hoffnungsbischof, der uns Mut macht und für den wir fast täglich beten“. Auch in der Vergangenheit sei das Bistum mit der KirchenVolksBewegung fair umgegangen, „fairer als anderswo“.
Dass die Themen der KirchenVolksBewegung heute fast vollständig in den „Synodalen Weg“ eingeflossen sind, den die Deutsche Bischofskonferenz gemeinsam mit dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken derzeit beschreitet, sei ein Erfolg, meinen beide. „Da hat es einen Mentalitätswechsel gegeben“, betont Weisner. Wie für Sutor steht auch für ihn die Frauenfrage im Mittelpunkt der Reformforderungen. „Es darf keine Ausgrenzungen aufgrund des Geschlechts geben“, sagt Weisner.
Ein weiterer Erfolg aus Sicht der Wir-sind-Kirche-Akteure ist die Tatsachse, dass sich die Kirche in den letzten Jahren dem Missbrauchsthema gestellt hat. Lange bevor sich die Offiziellen des Themas angenommen haben, hatte die KirchenVolksBewegung ein Notruftelefon für Missbrauchsopfer eingerichtet.
„Viele aktive Katholiken stehen hinter uns“
„Wir sind Kirche“ hat sich immer als Netzwerk-Bewegung verstanden, nicht als Mitgliederorganisation. Und so lässt sich nicht sagen, wie stark der Rückhalt unter den Katholiken tatsächlich ist. Weisner verweist auf eine Umfrage, die belege, dass zwei Drittel der aktiven Katholiken hinter den Forderungen der KirchenVolksBewegung stünden. Sutor meint, dass es im Bistum Hildesheim mindestens 5000 Menschen gebe, die die Arbeit der Bewegung verfolgten und begleiten, wobei die Zahl derjenigen, die unmittelbar an Aktivitäten teilnehmen, zurückgeht. „1,8 Millionen Unterschriften würden wir heute sicher nicht mehr zusammenbekommen, dafür haben zu viele Katholiken resigniert und das Interesse verloren“, sagt Weisner, „die Hoffnung ist gesunken“. Peter Sutor beschreibt es noch etwas dramatischer. Angesichts der derzeitigen Reformbemühungen spricht er von „der letzten Chance der Kirche“.
Matthias Bode
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Zuletzt geändert am 16.09.2020