November 2020 - „Kirche In“ (Kolumne „Unzensiert“) Vorabdruck
Einladung annehmen!
Meine niederbayerische fromme katholische Großmutter hatte gemeinsam mit meinem oberfränkischen protestantischen Großvater neun Kinder. Das zu einer Zeit, als eine konfessionsverbindende Ehe die ganz große Ausnahme und während des ersten Weltkriegs und danach die Ernährungs- und Wirtschaftslage alles andere als rosig war. Mit einer kleinen Landwirtschaft und einem Kartoffelhandel konnten sie trotzdem alle ernähren. Einer der überlieferten Lieblingsausdrücke meiner Großmutter war: „Krieg ich neune satt, dann zehne auch.“ Und so waren die Freunde und Freundinnen ihrer Kinder eingeladen, auch wenn es knapp herging. Und das völlig unabhängig davon, ob diese evangelisch oder katholisch waren.
Als ich nun las, dass der Erzbischof von München, Kardinal Marx, und der Landesbischof und Ratsvorsitzender der evangelischen Kirche in Deutschland, Bedford-Strohm, anlässlich der Verleihung des Augsburger Friedenspreises an sie in einem Interview äußerten, sie beide hofften, das gemeinsame Abendmahl noch zu erleben, da hatte ich die Tischgemeinschaft bei meinen Großeltern plastisch vor mir.
Der Worte sind wahrlich genug gewechselt, die theologischen Argumente ausgetauscht. Den Zitterrochen im Vatikan, die immer noch vor dem Zusammenbruch der römisch-katholischen Kirche im Falle der eucharistischen Gastfreundschaft warnen, braucht niemand mehr Gehör zu schenken. Es geht doch um viel mehr, es geht darum, ein deutliches, sichtbares Zeichen dafür zu setzen, dass am sogenannten „Tisch des Herrn“ gleichzeitig unterschiedliche kirchliche Traditionen Platz haben, denen die Botschaft Jesu, wie wir sie heute verstehen können, am Herzen liegt. - Hat nicht ausgerechnet er sich mit allen möglichen Leuten an einen Tisch gesetzt, sogar mit Zöllnern, die damals als öffentliche Sünder galten?
Herr Kardinal, Herr Landesbischof, worauf warten Sie? Tun sie es einfach, lassen Sie sich von Jesus an seinen Tisch einladen, egal in welcher Kirche der steht. In aller Demut, ohne Aufstand und Brimborium, in Respekt vor der eigenen und der anderen Tradition, ohne Anspruch auf Ehrenplatz und Auftritt. Machen Sie es so, wie es schon viele Christinnen und Christen tun. Und, Herr Kardinal, sorgen Sie für die vollständige Rehabilitation von Gotthold Hasenhüttl, der die Einladung Jesu 2003 in der Gethsemanekirche in Berlin an alle weitergegeben hat.
Sigrid Grabmeier
Wir sind Kirche Deutschland
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Zuletzt geändert am 14.10.2020