Dezember 2020 – „Kirche In“ (Kolumne „Unzensiert“) Vorabdruck
Un-Verantwortung
Obwohl es Missbrauchsvorwürfe gegen sie gab, machten sie jahrzehntelang Karriere. Das war nicht nur bei dem Wiener Kardinal Hans Hermann Groër der Fall, sondern auch beim früheren Erzbischof von Washington, D.C., Theodore Edgar McCarrick. Der umfangreiche Bericht über ihn dokumentiert eine Geschichte des „institutionellen Versagens“. Papst Johannes Paul II., der viel zu schnell heiliggesprochen worden ist, war über die Vorwürfe gegen den politisch und finanziell sehr einflussreichen McCarrick informiert. Sein Nachfolger Papst Benedikt XVI. wollte nicht, dass es einen großen Skandal gibt. Papst Franziskus hat diesen Fall zunächst nicht weiterverfolgt. Verantwortlich dafür ist wohl Kardinal Gerhard Ludwig Müller, der als Präfekt der Glaubenskongregation von 2012 bis 2017 für diese Dinge zuständig war.
Noch sehr viel unklarer ist die Situation der zurückgezogenen Veröffentlichung der Missbrauchsstudie für das Erzbistum Köln. Kardinal Rainer Maria Woelki wollte sich damit als großer Aufklärer positionieren und erklärte gar vorab, er würde von seinem Amt zurücktreten, wenn nachgewiesen würde, dass er an Vertuschungen beteiligt war. Auch einen Betroffenen-Beirat ließ er bilden. Mit der Studie beauftragt wurde die Münchner Kanzlei, die schon im Jahr 2010 einen erschütternden, aber immer noch geheimen Bericht für das Erzbistum München erstellt hatte.
Die für Anfang März angekündigte Präsentation hat Woelki dann sehr kurzfristig abgesagt. Aber nicht wegen Corona, sondern wegen Einsprüchen des Hamburger Erzbischofs Stefan Heße, der vorher Leiter der Personalabteilung, dann Generalvikar und Weihbischof in Köln war. Der nächste Dreh: Das Kölner Erzbistum zog – ohne den Betroffenenbeirat – andere Gutachter hinzu, die die Missbrauchsstudie der Münchner Kanzlei als unbrauchbar einstuften. Schließlich trennte sich das Erzbistum von der Münchner Kanzlei. Die Art und Weise, wie dies unabgestimmt mit dem Betroffenenbeirat erfolgte, sieht dieser zu Recht als neuerlichen Missbrauch der Betroffenen.
Nur wenige Tage später veröffentlichte das Bistum Aachen (das zur Kirchenprovinz Köln gehört) seine eigene Missbrauchsstudie. Auch die hat die in Köln gerade geschasste Münchner Kanzlei erstellt. Diese Studie attestiert dem Bistum ein „System der Verantwortungslosigkeit“. Von Kirchenrechtlichern wird diese jetzt als „Goldstandard“ gewertet.
Es ist empörend, dass es Tätern wie Vertuschern so schwer fällt, wirkliche Verantwortung zu übernehmen. Das Zeitfenster, in dem die Kirche ihre Glaubwürdigkeit wiedererlangen kann, schließt sich. Wenn nach dem KirchenVolksBegehren 1995 in Österreich die Reformpunkte von Wir sind Kirche auch von der Kirchenleitung ernstgenommen und entschieden angegangen worden wären, wäre zumindest in den vergangenen 25 Jahren vielen Betroffenen großes Leid und der Kirche immenser Schaden erspart worden.
Christian Weisner
Wir sind Kirche Deutschland
www.wir-sind-kirche.de
Zuletzt geändert am 17.11.2020