9.12.2021 - shz.de (Schleswiger Nachrichten)
Missbrauch strafrechtlich verfolgen
Reformbewegung „Wir sind Kirche“: Der Lürschauer Katholik Johann Bürgstein will modernisieren
Freitagsinterview
Sven Windmann
Der 70-jährige Johann Bürgstein aus Lürschau möchte mit der Reformbewegung „Wir sind Kirche“ die katholische Kirche verbessern. Im Interview spricht der gebürtige Stuttgarter unter anderem über Missbrauch, Zölibat und die Stellung der Frau in der Kirche.
Johann Bürgstein auf dem Petersplatz in Rom, wo er jetzt an einer internationalen Tagung teilnahm.
Herr Bürgstein, Sie sind bekennender und praktizierender Katholik. Muss man sich heutzutage dafür rechtfertigen?
Tatsächlich ist es so, dass ich mich hin und wieder dafür rechtfertigen muss, erst recht in den letzten Jahren und Monaten. Und ich kann die Kritik an der katholischen Kirche auch in großen Teilen nachvollziehen. Aber nach wie vor spüre ich in mir die Faszination für die christliche Botschaft. Und ich weiß, dass es vielen Menschen genau so geht. Sie kehren vielleicht der Institution Kirche den Rücken, aber deswegen ja nicht gleich auch ihrem Glauben.
Sie sind seit 2017 Sprecher des Gemeindeteams Schleswig-Kropp innerhalb der katholischen Pfarrei St. Ansgar, die für den Raum Eckernförde, Rendsburg und Schleswig zuständig ist. Jetzt waren Sie eine Woche in Rom – dort ebenfalls in Sachen Katholizismus unterwegs.
Ja. Ich engagiere mich schon lange in der Reformbewegung „Wir sind Kirche International“, die jetzt ihr 25-jähriges Bestehen gefeiert hat. Daran habe ich in Rom teilgenommen.
Was ist die Idee hinter dieser Bewegung?
Sie ist in den 1990ern entstanden als Antwort auf einen Missbrauchsskandal in Österreich. „Wir sind Kirche“ ist eine Reformbewegung von Laien und Theologen, die sich im Geiste des II. Vatikanischen Konzils und der darauf aufbauenden theologischen Forschung und pastoralen Praxis sieht. Im Grunde beruht sie auf fünf zentralen Forderungen: der geschwisterlichen Kirche, also der Gleichwertigkeit aller Gläubigen, der vollen Gleichberechtigung der Frauen, der freien Wahl zwischen zölibatärer und nicht-zölibatärer Lebensform für Priester, der positiven Bewertung der Sexualität als wichtiger Teil des von Gott geschaffenen und bejahten Menschen und schließlich dem Motto „Frohbotschaft statt Drohbotschaft“.
Fünf Forderungen von denen die katholische Kirche auch im Jahr 2021 noch weit entfernt zu sein scheint. Ist das nicht frustrierend für Sie?
Einerseits ja. Auf der anderen Seite sind jetzt exakt die vier ersten Forderungen die Themen des sogenannten Synodalen Weges in Deutschland, bei dem die Bischöfe mit dem Kirchenvolk und vielen Theologinnen und Theologen über die dringenden notwendigen Reformen beraten. Und ich sehe auch andere Schritte in die richtige Richtung. Das hat mich bewogen mich hier in Schleswig zu engagieren. Denn ich bin mir sicher, dass die Botschaft von Jesus Christus das Leben insgesamt verbessern kann – und damit auch die Kirche. Das ist einer der Gründe, warum ich zu der internationalen Tagung nach Rom gefahren bin. Dort hat sich gezeigt, dass die genannten fünf Forderungen weltweit diskutiert werden.
Was muss sich zuerst ändern, damit aus diesen Forderungen irgendwann einmal Realität wird? Schließlich ist es ein sehr dickes Brett, das Sie und Ihre Mitstreiter da bohren müssen.
Ganz wichtig ist eine Kommunikation auf Augenhöhe. Es kann nicht sein, dass es immer nur Vorgaben von oben gibt, die das Kirchenvolk dann umzusetzen hat. Stattdessen muss jeder Einzelne Gehör finden. Katholisch bedeutet ja allumfassend, wir sollten also alle Menschen im Blick haben. Ein passendes Bild dazu ist eine umgedrehte Pyramide, wo die Kirchenleitung unten und das Volk oben steht. Und ich habe die Hoffnung, dass die Menschen, und dazu zähle ich auch die Kleriker, am Ende sagen: Ja, die christliche Botschaft ist das Wichtigste. Lasst uns darüber ins Gespräch kommen – und vor allem danach handeln.
Viele Reform-Katholiken hatten beim Thema Erneuerung große Hoffnungen in Papst Franziskus gelegt. Inzwischen ist die Euphorie deutlich abgeflacht. Wie bewerten Sie ihn und seine Arbeit?
Ich sehe das sehr ambivalent. Tatsächlich hat Franziskus eine äußerst schwierige Position. Er will Reformen im Geist des Konzils, aber viele verweigern sich, selbst nach den furchtbaren Missbrauchsskandalen. Die Lager trotz der teils riesigen Unterschiede zusammenzuhalten, ist fast unmöglich. Aber gegen alle Widerstände hat er Schritt für Schritt schon einiges bewegt. Über vieles, auch unsere Forderungen, kann jetzt in aller Offenheit gesprochen werden. Wichtig ist doch, dass die christliche Botschaft nicht verloren geht. Und ich denke, das bekommt er ganz gut hin.
Dennoch: Die Missbrauchsfälle schweben wie ein Damoklesschwert über der katholischen Kirche. Viele Menschen treten deshalb aus der Kirche aus. Wie sehen Sie dieses Thema?
Darauf die Antwort zu geben, dass Missbrauch in allen Bereichen der Gesellschaft passiert, macht es nur schlimmer. Gerade die Kirche als moralische Institution muss bei diesem Thema transparent sein und alle Fälle auch strafrechtlich verfolgen lassen. Das kann nicht hinter den Türen der Kirche bleiben, sondern muss nach geltendem Recht geahndet werden.
Der Kölner Erzbischof Woelki hatte zum Thema Transparenz offenbar eine andere Meinung.
Was in Köln passiert ist, war ein kommunikativer GAU. Wie dort mit dem Gutachten zu Missbrauchsfällen umgegangen wurde, ist ein großes Problem für das Image der gesamten Kirche. Weil suggeriert wird, dass allein die Amtsträger einen Anspruch auf die Wahrheit haben. Aber so darf es nicht sein.
Ein anderes Streitthema ist das Zölibat. Auch hier gehen die Meinungen zwischen Konservativen und Reformern weiter auseinander. Ihre Meinung dazu?
Priester sollte, es freigestellt werden, ob sie ehelos leben oder nicht. Wichtig ist doch, dass es ausreichend Priester gibt und Gemeinden Gottesdienste und all das andere feiern können.
Wie ist Ihre Meinung zu der Tatsache, dass in der katholischen Kirche nur Männer Priester werden können?
Der Argumentation, dies sei notwendig, weil Jesus nun einmal ein Mann war, kann ich und können viele nicht mehr folgen. Denn gerade Jesus hat sich doch immer auf Augenhöhe mit den Frauen gezeigt. Und genau das entspricht nicht nur unserer heutigen Gesellschaft, sondern auch der Botschaft, die aus der Bibel hervorgeht.
Mit Ihrer Meinung ecken Sie innerhalb der katholischen Kirche sicherlich auch an. Wie sieht es in Ihrer Kirchengemeinde vor Ort aus?
Tatsächlich finden solche Gespräche über grundsätzliche Fragen meist nur in einem kleinen Kreis statt. Und auch hier in Schleswig gibt es konservative Katholiken. Die Vielfalt aber ist wie überall sehr groß. Ich sehe, dass es insbesondere die Frauen sind, die sich auch bei uns hier in der Kirche engagieren. Aber insgesamt kann man sagen, dass im Gemeindeleben gerade in der Pandemie die Vielfalt deutlich zugenommen hat. Das ist doch ein positives Zeichen dafür, dass das Interesse weiterhin groß ist, sich mit der christlichen Botschaft auseinanderzusetzen und solidarisch zu sein. Darauf lässt sich ganz viel aufbauen.
Abdruck mit freundlicher Geneigung der Schleswiger Nachrichten
Zuletzt geändert am 13.12.2021