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Veröffentlicht am 20­.11.2008

20.11.2008 - Die Welt

Sexualethik: Konservativer Kardinal fordert mehr Strenge von deutschen Bischöfen

Von Gernot Facius 20. November 2008

Der Wiener Kardinal Schönborn, dogmatisch auf einer Linie mit dem Papst, hält es für "Sünde", dass in Deutschland und Österreich das Verbot der Pille nicht entschieden verteidigt wird

Wien/Bonn - Christoph Schönborn ist Erzbischof von Wien und zählt zu den einflussreichsten Kardinälen der Kirche. Der polyglotte Dominikaner aus einem böhmischen Adelsgeschlecht ist in dogmatischen Fragen das Alter Ego von Papst Benedikt XVI. Sein Name fällt, sobald über eine Neubesetzung der Spitze der Glaubenskongregation spekuliert wird. Schönborn sagt, was Ratzinger denkt, der Pontifex aber nicht oder noch nicht offen auszusprechen wagt. Besonderes Gewicht hat daher die Abrechnung des Kardinals mit einer ganzen Bischofsgeneration.

Im Abendmahlssaal in Jerusalem, in einer furiosen Predigt über das wilde Jahr 1968, von der man annehmen darf, dass sie mit Rom abgestimmt war, warf Schönborn bereits im März dem europäischen Episkopat vor, vor 40 Jahren in der Auseinandersetzung um die Sexual-Enzyklika "Humanae vitae" von Papst Paul VI. versagt zu haben; die Oberhirten seien deshalb mitverantwortlich für die Mentalität des "Nein zum Leben", die sich in ganz Europa ausgebreitet habe.

Der vollständige Text der Predigt ist erst jetzt an die Öffentlichkeit gelangt; Schönborns Sekretariat hielt ihn offenbar lange zurück. Möglicherweise aus gutem Grund. Denn die Predigt des Kardinals vor Oberhirten aus Diözesen, in denen die auch innerkirchlich umstrittene Gruppierung des Neokatechumenalen Wegs Fuß gefasst hat, gleicht einer massiven Attacke gegen seinen hoch angesehenen Vorvorgänger Franz König - in Österreich spricht man schon von einer Desavouierung Königs - und die damalige Kirchenführung in Deutschland unter Kardinal Julius Döpfner.

O-Ton Schönborn: "Ich denke, auch wenn wir damals nicht Bischöfe waren, so müssen wir diese Sünde des europäischen Episkopats bereuen, der nicht den Mut hatte, Paul VI. mit aller Kraft zu unterstützen, denn heute tragen wir alle die Last der Konsequenzen dieser Sünde." Unter "Sünde" versteht Schönborn die "Maria Troster Erklärung" in Österreich und die "Königsteiner Erklärung" der Deutschen Bischofskonferenz (DBK). Darin hatten seinerzeit beide Episkopate bei grundsätzlicher Zustimmung zu den Aussagen von "Humanae vitae" über Liebe, Partnerschaft und Treue beim Thema Geburtenregelung die Gewissensentscheidung katholischer Paare, die "verantwortete Elternschaft" betont. Damit waren sie nach Meinung ihrer Kritiker von dem in der Enzyklika bekräftigten Verbot empfängnisverhütender Mittel abgewichen.

Schönborn griff diese Kritik auf und ergänzte sie um den Hinweis, dass nur der damalige Berliner Bischof, Kardinal Alfred Bengsch, eine andere Position eingenommen habe: "Er hatte einen Text für die Bischofskonferenz vorbereitet, der ein prophetischer Text war. Der Text ist verschwunden, und erschienen ist: die 'Königsteiner Erklärung', die die katholische Kirche in Deutschland geschwächt hat, das Ja zum Leben zu sagen." Kardinal Döpfner hingegen war auf "Königstein" stolz. Er blieb bei seiner Ansicht, damit der Kirche einen großen Dienst erwiesen zu haben.

An der Jerusalemer Konferenz nahm auch der Kölner Kardinal Joachim Meisner teil, der wie Schönborn das Ohr von Benedikt XVI. hat. Meisner hat seit 2001 oft daran erinnert, dass vom verstorbenen Papst Johannes Paul II. mehrmals die Rücknahme von "Königstein" gefordert worden war. Auch Meisner verlangte eine "Korrektur". Denn die Erklärung von 1968 habe den Gebrauch empfängnisverhütender Mittel "gewissermaßen legitimiert". Das Dokument stehe am Anfang einer Kausalkette, die dem Leben nicht förderlich sei. Dem Kölner Erzbischof ist es offenbar gelungen, eine Reihe von DBK-Mitgliedern zu überzeugen, dass darüber neuerlich diskutiert werden müsse. Dafür spricht die spontane Ankündigung des DBK-Vorsitzenden, Erzbischof Robert Zollitsch, man wolle über den gesamten Komplex von "Humanae vitae" nachdenken und einer einseitigen Interpretation als "Pillen-Enzyklika" entgegenwirken.

Bis zum Frühjahr 2009 muss Kardinal Karl Lehmann als Vorsitzender der Glaubenskommission der deutschen Bischöfe einen Text erarbeiten. Dies ist pikant. Denn Lehmann, der ehemalige Episkopatsvorsitzende, war in den vergangenen Jahren derjenige, der sich gegen die päpstlichen Wünsche zur Wehr setzte - und der von prononciert konservativer Seite am härtesten kritisierte Bischof. Johannes Paul II. hatte er schon 1987 klarzumachen versucht, dass es um eine pastorale Frage gehe: "Im Kern unserer Gemeinden sind beste Leute, Frauen und Männer, die halten sich nicht an das strikte Verbot, sondern leben anders. Und sie sind fest davon überzeugt, dass sie nicht schwere Sünder sind. Und vor diesem Problem standen die Leute 1968. Vor diesem Problem stehen wir noch heute. Man kann es nicht beiseiteschieben, indem man die 'Königsteiner Erklärung' einfach zurücknimmt." Der Papst antwortete: "Wenn nur die Lehre klar wäre!" Darauf wieder Lehmann: "Es hat auf die Dauer keinen Sinn, wenn die Kirche meint, die Lehre stimmt, aber die Leute handeln völlig anders. Mit solchen Unwahrhaftigkeiten kann man bei uns nicht leben."

Doch sagte Lehmann zu, bis zum 25. Jahrestag der Enzyklika deren Wirkungsgeschichte auszuloten. Das Versprechen löste er 1993 ein, der Text wurde dem Papst persönlich überbracht. Nur noch einmal, so Lehmann, habe ihn Johannes Paul II. auf den Komplex angesprochen. Doch die Wunde blieb offen, wie die Einlassungen des Wiener Kardinals zeigen. Via Schönborn kommt eine neue Druckwelle auf die deutschen Bischöfe zu.

Zuletzt geändert am 24­.11.2008