8.12.2009 - Welt-online
Wenn die Pfarrgemeinde stirbt
Die katholische Kirche leidet dramatisch unter Priestermangel und immer weniger Gläubigen - Trend zu "Mittelpunktkirchen" - Kein Rütteln am Zölibat
Bonn - Der westfälische Volksmund kennt zwei Steigerungsstufen von Schwarz: Münster und Paderborn. Letztere Stadt hat einen besonders guten Ruf in der katholischen Weltkirche. Doch "vor Ort", in Ostwestfalen, im östlichen Ruhrgebiet, im Sieger- und Sauerland, sieht es düster aus. Priestermangel und Gläubigenschwund zehren an der Substanz. Pro Jahr verliert das Erzbistum rund 14 000 Katholiken, die Einwohnerzahl einer Kleinstadt.
Es klingt dramatisch, was Erzbischof Hans-Josef Becker (61) jetzt in seiner Agenda 2014 angekündigt hat: "So gut wie alle Rahmenbedingungen des kirchlichen Lebens stehen zur Disposition." Ein Weiter-so könne es nicht geben. Beckers Strukturreform wird über die bereits beschlossene Reduzierung der Pfarrverbünde von jetzt noch 213 auf 88 hinausgehen. Die Kirche werde sich auf die Glaubenslehre als Kernaufgabe konzentrieren - in großen pastoralen Räumen, alles andere werde "zurückgefahren". Nur noch drei Männer stehen unmittelbar vor der Priesterweihe, bis zu 40 Geistliche scheiden jährlich aus Altersgründen aus.
Paderborn ist kein Einzelfall. In allen 27 deutschen Diözesen werden Gemeinden zusammengelegt. "Die Priesterzahlen sind im Sinkflug", sagt der Aachener Domkapitular Heiner Schmitz. Allein in seinem Bistum wird die Zahl der Geistlichen zwischen 2009 und 2017 von 270 auf 175 zurückgehen. In einem auf drei Jahre befristeten "Pilotprojekt" will Aachen den Einsatz kolumbianischer Priester erproben.
Schon heute ist die Kirche in Deutschland auf geistliche Nothelfer vornehmlich aus Afrika, Indien und Polen angewiesen. Von 1996 bis 2008 stieg ihre Zahl von 607 auf 757. Nicht überall ist die Zusammenarbeit mit ihnen harmonisch; Bischöfe sprechen offen von "Mentalitätsproblemen".
Doch von den einheimischen Seminaren ist nicht mehr genügend Nachwuchs zu erwarten. Gegenwärtig bereiten sich 842 Anwärter auf das Priesteramt vor. Vor zehn Jahren waren es noch 1122. Die Zahl der Neueintritte ist mit 161 auf das bisher niedrigste Niveau gesunken. Von "ernüchternden Daten" spricht der Vorsitzende der Regenten-Konferenz, Franz Joseph Baur (42). Mit gravierenden Folgen: Die Pfarrgemeinde alten Typs stirbt. Je weniger Priester, desto größer die neuen "pastoralen Räume". Der Trend geht zu "Mittelpunktkirchen". Die volkskirchlichen Strukturen, davon ist man zum Beispiel im Ordinariat des Limburger Bischofs Franz-Peter Tebartz-van Elst (49) überzeugt, seien definitiv an ihr Ende gekommen. Der Bischof setzt auf die Mobilität der Gläubigen.
Eine fragliche Hoffnung. Manche Pfarrer und Laienmitarbeiter berufen sich auf den Theologieprofessor Jürgen Werbick aus Münster: "Wo die Kirche vor Ort nicht mehr angetroffen wird, da verliert sie ihre Sichtbarkeit und Greifbarkeit." Seelsorge sei und bleibe eine Aufgabe, "die im Wesentlichen vor Ort wahrgenommen werden will und ihre 'Seele' verliert, wenn sie entörtlicht würde". Im Klartext: Wenn die Gläubigen die Kirche am gewohnten Ort nicht mehr vorfinden, bleiben sie weg.
Erzbischof Robert Zollitsch (71) beschwört zwar die wachsende Bedeutung der Ehrenamtlichen, also der "Laien". Damit ist aber noch nicht ein Ausweg aus dem geistlichen Notstand gewiesen. Priester, da lässt Rom nicht mit sich reden, können nur durch Priester ersetzt werden. Priesterliche Dienste sollen allein von geweihten Männern erfüllt werden, obwohl es viele theologisch versierte Nichtgeweihte gibt. Nur Zölibatere dürfen Gemeinden vorstehen. Daran wird nicht gerüttelt - trotz des eklatanten Priestermangels.
Das zeigt sich auch an der schroffen Reaktion des Augsburger Bischofs Walter Mixa (68) auf die vorsichtige Anregung des neuen Präsidenten des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Alois Glück (69), über eine Lockerung des Pflichtzölibats nachzudenken. Der Sprecher der Regenten-Konferenz, Franz Joseph Baur, empfiehlt dagegen im Einklang mit Papst Benedikt XVI., der ein "Priesterjahr" ausgerufen hat, um Berufungen zu beten. Benedikt hat den Priester ein "Geschenk für die Menschheit überhaupt" genannt, Priester sollten "großherzig in der täglichen Ausübung ihres priesterlichen Dienstes aufgehen". Der Priester führe das Werk der Erlösung auf Erden fort, er besitze den Schlüssel zu den himmlischen Schätzen.
Den Karlsruhe Pfarrer Dieter Nesselhauf hat diese Beschreibung "sprachlos" gemacht. Hier werde ein Priesterbild festzementiert, unter dem ganz viele Menschen zu leiden hätten, protestierte der Geistliche als eine Stimme der "Basis" in der Bistumszeitung "Konradsblatt". Er kenne viele Priester, die "in ihrem Dienst nicht 'aufgehen', sondern daran zerbrechen. Wie kann so ein Beruf heute noch attraktiv sein?" Nesselhaufs bitteres Resümee: "Ich kann jedenfalls dafür kaum Werbung machen, auch nicht in einem 'Jahr der Priester'." Die größer werdenden "Seelsorgeeinheiten" ließen zunehmend weniger Seelsorge zu: "Arme Gemeinden!"
URL: http://www.welt.de/die-welt/politik/article5460415/Wenn-die-Pfarrgemeinde-stirbt.html
Zuletzt geändert am 08.12.2009