Maria Magdalena
Englische Erstausgabe 1993, deutsch als Paperback-Ausgabe bei Bastei Lübbe 2008,
ISBN 978-3-404-61634-3, 528 Seiten, Preis ? 9,95.
Susan Haskins wurde am 11. 12. 1949 in Chicago geboren. Schon im Klassenzimmer ihrer Klosterschule wurde sie auf einem Bild der Kreuzigungsszene aufmerksam auf eine Frau, die unter dem Kreuz weinte; sie erfuhr, dass dies Maria Magdalena sei, die über ihre Sünden weine, erhielt aber auf weitere Fragen nur ausweichende Antworten. Während ihres Studiums der englischen Literatur und Kunstgeschichte in London stieß sie erneut auf Maria Magdalena. Als sie darüber eine Dissertation erarbeiten wollte, eröffneten sich ihr gewaltige Themenkreise über Frauen in der Frühkirche, Gnostizismus, Frauenfeindlichkeit, mittelalterliche Frömmigkeit, Prostitution und geistliches Amt der Frauen. Sie erfuhr, wie sehr das Bild Maria Magdalenas missbraucht und dem jeweiligen Zeitgeist angepasst wurde. Ihr Name und das, was Menschen daraus gemacht haben, ist auch heute noch in der christlichen Welt allgegenwärtig - z. B. im Namen von Strassen, Gebäuden, Institutionen. Susan Haskins, die heute in London lebt, fühlte sich dazu aufgerufen, Maria Magdalena schlicht und einfach historische Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.
Maria Magdalena wurde schon früh mit anderen Frauengestalten aus den Evangelien verwechselt, insbesondere mit der (namenlosen!) "Sünderin" gemäß Lk.7,37 (wohl eine Prostituierte), und mit Maria, der Schwester von Martha und Lazarus aus Bethanien. Zur "Sünderin": Herren durften sich damals am Gewand oder den Haaren von Dienern die Hände trocknen. Nur Huren trugen das Haar offen - bei Ehefrauen wäre das ein zwingender Scheidungsgrund gewesen. Die reuige Sünderin im Haus des Pharisäers Simon machte Jesus durch ihre Berührung "unrein" - Jesus aber zeigte, dass sie für ihn nicht unberührbar war, sondern ihm sogar lieber war, als der Gastgeber Simon.
Auch die Frau am Jakobsbrunnen war eine Unberührbare, eine Paria: Samariterin, unverheiratet, aber "liiert". - Die beim Ehebruch ertappte Sünderin gibt Jesus Anlass, die Ankläger über ihre wahre menschliche Autorität zu befragen und ihre Schein-heiligkeit offenzulegen. 1945 fanden Fellachen in Nag Hammadi (Oberägypten) eine Urne mit koptischen Papyri: 13 Codices, die 52 Traktate umfassen, um 450 n. Chr. vergraben. Es sind Kopien griechischer Originale, verfasst in der 2. Hälfte des 1. Jahrhunderts (also fast zeitgleich mit den Evangelien!). Mehrere der Texte werden Aposteln zugeschrieben, dabei zeigen sich auch Verbindungen zum Gnostizismus. Frauen, insbesondere Maria Magdalena, Salome, Martha u.a., werden in diesen Texten viel höher geachtet, als in den kanonisierten Texten, besonders in den "Evangelien" von Petrus, Thomas, Philippus und Jakobus; ebenso im "Evangelium der Maria" (Magdalena, das - unabhängig von Nag Hammadi - im 2. Jahrhundert verfasst und 1896 in Kairo wiedergefunden wurde) oder dem "Dialog des Erlösers". Auch im sonstigen gnostizistischen Schrifttum spielen Frauen und ganz besonders Maria Magdalena eine große Rolle.
Der Gnostizismus ist ein Sammelbegriff griechischer und orientalischer Vorstellungen mit der Grundidee, dass der Geist gut, das Fleisch böse sei. Das Böse in der Welt sei geschaffen durch einen Untergott, den Demiurgen. In der Seele des Menschen sei aber der göttliche Funke, das Pneuma, gefangen, das erlöst werden könne, wenn es das höchste Wesen erkenne und sich im Reich des Lichts mit ihm wiedervereinige. Das Pneuma müsse aber durch einen Lichtboten geführt werden. Der Mensch müsse nach Wissen (Gnosis), "Licht" streben. Der Gnostizismus spielte etwa bis zum Jahr 300 eine überragende Rolle. 1785 verkaufte ein Antiquar Dr. A. Asken eine Schrift "Pistis Sophia" an das Britische Museum, London; so wurde der Gnostizismus wiederentdeckt.
Die Pistis Sophia (= Glaube und Weisheit) umfasst 5 Bücher, die beiden ersten werden dominiert von Maria Magdalena. Jesus habe sie als Erbin des Lichtes gepriesen, sie interpretiere seinen Geist des Lichtes. Jesus habe ihr Vieles erzählt, da ihr Herz mehr als das der Brüder auf das Himmelreich gerichtet gewesen sei. Sie habe Gnosis von ihm empfangen und diese an die Jünger weitergegeben. Diese (v.a. Petrus) seien über diese Bevorzugung eifersüchtig und wütend geworden. Auch in anderen gnostischen Schriften wird Maria Magdalena als die Frau beschrieben, die die Größe des Offenbarers geoffenbart habe und den Jüngern Gnosis vermittelte. Niemals wird sie als ehemalige Hure beschrieben! Sie galt als "die" Heldin! Im Evangelium der Maria wird beschrieben, wie sie die anderen Jünger nach Jesu Himmelfahrt zusammengehalten und ermutigt habe. Auch in einem koptischen Psalm wird sie als die Getreue und Menschenfischerin gepriesen, die die 11 nach der Himmelfahrt zusammenhielt und zu Jesus zurückführte. Unter den Gnostikern galten Männer und Frauen trotz mancher Vorbehalte auch noch während der ersten Generationen als gleichberechtigt. Im 4. Jahrhundert entstand der Kanon, alle nicht-kanonisierten Texte wurden durch die Kirche unterdrückt (auch viele frauenfreundliche!).
Der Gegensatz zur Sünde sei die jungfräuliche Unschuld. Darum "musste" eine jungfräuliche Frau den jungfräulichen Erlöser gebären (auf dem ersten Laterankonzil 649 wurde die ewige Jungfräulichkeit Mariens als Dogma erklärt). (Anm.: Die Vorstellung von Jungfrauengeburten gab es auch schon vor Jesus in anderen Religionen). Jungfräulichkeit galt als hohes Ideal. Außerdem musste Maria makellos, frei von der Erbsünde, sein. Jesus verabscheute weder Eva, noch die Frauen generell. In der frühen Kirche fühlten sich Frauen endlich nicht mehr unterdrückt, sondern geschätzt. Manche, wie z.B. Phöbe, wurden eigenverantwortliche Führerinnen, z.B. Diakoninnen. Phöbe war für Paulus Schwester, diakonos (ein männliches Wort!) und prostasis (Röm. 16,1). Pro-stasis, Vor-steherin, entsprach etwa einer Gouverneurin, Superintendentin, Bischöfin. Laut 1. Timotheusbrief durften Frauen nicht mehr lehren (1Tim 2,12), aber: Die beiden Timotheusbriefe und der Titusbrief stammen wahrscheinlich nicht von Paulus selbst! In der Apostelgeschichte, geschrieben im letzten Jahrzehnt des 1. Jahrhunderts, waren die Frauen bereits zurückgedrängt. Die Behauptung, dass Petrus der 1. Zeuge der Auferstehung gewesen sei, und Eifersüchteleien "rechtfertigten" den Primat Petri und die apostolische Succession. Die Synode von Laodicea (352) verbot Frauen, als Priesterinnen oder Kirchenvorsitzende zu fungieren (was sie offensichtlich bis dahin getan hatten!). Hippolytus hatte 229 hingegen Maria Magdalena noch als "Apostola apostolorum" gefeiert! Ab dem 4. Jahrhundert wurde die Kirche zunehmend zölibatär, Frauen wurden mehr und mehr geächtet, Maria Magdalena mit der Sünderin im Hause Simons identifiziert, und Gregor d. Gr. erklärte 591, dass Maria Magdalena, Maria aus Bethanien (Schwester von Martha und Lazarus) und die Sünderin im Hause Simons, des Pharisäers, ein und dieselbe Person gewesen seien. Aus der Zeugin des Todes Jesu und der aktiven Verkünderin der Auferstehung und des neuen Lebens wurde endgültig die gerettete Hure.
Nach Pilgerberichten sei Lazarus allerdings seiner Schwester Maria Magd. nach Ephesus gefolgt und sei dort 40 Jahre lang Bischof gewesen. Nach Modestus, Patriarch von Jerusalem (gest. 634) hätten sich Maria und Maria Magdalena Johannes angeschlossen und seien nach Ephesus gezogen. Dort sei Maria Magdalena gemartert worden, ihr (angebliches?) Grab galt als eine der heiligen Stätten von Ephesus. Ende des 9. Jahrhunderts ließ Kaiser Leo VI. ihre (?) Überreste und die des Lazarus in ein neues Kloster in Konstantinopel überführen (nach den byzantinischen Liturgiebüchern am 4. Mai). Möglicherweise wurde ein Teil nach der Plünderung Konstantinopels durch Bischof Conrad von Halberstadt (Niedersachsen) nach Rom in die Kirche San Giovanni in Laterano verbracht. Der jüdische Historiker Josephus Flavus hatte im 1.Jahrhundert berichtet, dass Maria Magdalena als Eremitin gelebt habe. Im 12. Jahrhundert wurde in einer Berner Schrift behauptet, sie habe sich in einer Höhle bei Marseille aufgehalten, sei aber in Aix-en-Provence gestorben. Nach Marseille sei sie mit einem Schiff gekommen (andere Version: Mönche hätten ihre Gebeine per Schiff aus dem Heiligen Land nach Frankreich gebracht). Vézelay nahm einen ungeheueren Aufschwung, es wurde nach Rom, Jerusalem und Santiago de Compostela der viertwichtigste Wallfahrtsort! Von dort nahm z.B. auch der 2. Kreuzzug 1146 seinen Ausgang. Am 5. 10. 1265 wurde der Bronzesarg "Maria Magdalenas", der unter dem Hochaltar lag, in Anwesenheit zweier päpstlicher Legaten geöffnet. Man fand Gebeine und lange, blonde, unverweste (!) Haare; gleichzeitig legte man eine (wie sich später herausstellte, gefälschte) Urkunde König Karls von 842 über die Echtheit der Reliquien vor. Reliquien und Urkunde wurden versiegelt und an den Fundort zurückgebracht. 1267 wurden die "Reliquien" im Beisein König Ludwigs IX. feierlich in einen silbernen Sarg umgebettet. 1279 wurden die Gebeine aber in St.-Maximin / Provence noch einmal "gefunden": Badilon habe seinerzeit den falschen Sarg gestohlen! Die Bedeutung Vézelays ging daraufhin rapide zurück. Es entstand die "Legenda aurea": Nach der Steinigung des Stephanus sei Maria Magdalena zusammen mit Martha, Lazarus, den "3 Marien", Joseph von Arimathäa, Maximinus und Anderen von Heiden in ein ruder- und steuerloses Schiff gesetzt worden, damit sie auf See ertränken. Das Schiff sei aber bei Marseille gelandet. Lazarus sei der 1. Bischof von Marseille gewesen und habe dort den Märtyrertod erlitten. Maximinus sei Bischof von Aix geworden. Maria Magdalena habe durch ihre Fürbitten bewirkt, dass das kinderlose, heidnische Fürstenpaar eine Tochter bekam. Das Fürstenpaar wollte daraufhin nach Rom pilgern, um Petrus kennen zu lernen. Unterwegs sei die Fürstin ertrunken. Der Fürst sei weitergereist, nach 2 Jahren zurückgekehrt, wobei seine Frau wieder lebendig geworden sei, und Maria Magdalena, die in der Zwischenzeit das Kind versorgt habe, hätte sich als Eremitin in eine Höhle bei Sainte-Baume zurückgezogen, wo sie 30 Jahre lang gelebt habe, nichts Irdisches gegessen habe, weil sie mehrmals täglich zum Essen von Engeln in den Himmel erhoben worden sei, und sei schließlich in einer Kapelle des Maximinus gestorben. Das Fürstenpaar habe den christlichen Glauben angenommen und Gallien bekehrt.
Maria Magdalena galt aber auch als die "dulcis amica dei", die süße Freundin Gottes (Petrarca in Ste.-Baume!), welche von Jesus am meisten geliebt wurde und ihn am meisten liebte. Und als Zeugin von Tod und Auferstehung wurde sie verehrt als Apostola apostolorum.
Die weinende, reuige Sünderin war trefflich geeignet gegen die neue Lehre Luthers, der die Notwendigkeit des Bußsakramentes und die Rolle der Verdienstlichkeit leugnete (die Taufe sei das wahre Bußsakrament, das die Erbsünde aufhebe). Bilder standen bei Luther im Ruch des Götzendienstes. Für Zwingli war der Kult um Maria Magd. ein Blendwerk der Fürsprache. Er lehnte sowohl die Verwechslung von Sünderin mit Maria von Bethanien, als auch die ganze Legende von Südfrankreich ab. Er wurde unterstützt von dem Franzosen Jaques Lefèvre, der unter Berufung auf die Evangelien, Origenes, Johannes Chrysostomos, Ambrosius und Hieronymus forderte, "Sünderin", Maria von Bethanien und Maria Magd. strikt auseinander zu halten. Natürlich wurden sie dafür von der katholischen Kirche scharf angegriffen; Lefèvre und seine Schüler mussten widerrufen. Rom konnte seine Irrtümer über sein Leitideal nicht zugeben, die Folgen wären unabsehbar gewesen. Nicht nur die Protestanten, auch Humanisten (wie z.B. Michelangelo) forderten Reformen der Kirche: Die Priester sollten charakterfest und besser gebildet sein, die Praxis der Glaubensausübung erneuert werden u s w .. 1542 hätte die katholische Kirche in Regensburg beinahe der lutherischen Rechtfertigungslehre zugestimmt; die protestantische Seite aber weigerte sich, die katholische Transsubstanziationslehre anzunehmen (für Luther war das Abendmahl eine reine Gedächtnisfeier - "tut dies zu meinem Gedächtnis"). 1562 kam es durch das Trienter Konzil zum endgültigen Bruch, v.a. wegen der Sakramentenlehre und des Wertes religiöser Kunst (Rom: Bilder förderten die Frömmigkeit, dürften aber nicht angebetet werden). Nach der Neubesinnung der katholischen Kirche sollte zwar nichts mehr gemalt oder geschrieben werden, was nicht der Hl. Schrift entsprach (wie z.B. die Legenda aurea!), aber, Ignatius v. Loyola (1491 - 1556) wollte z.B., dass man durch die Kunst Jesu Leiden sehen, fühlen und hören könne. Die Reuetränen, der Moment der Bekehrung und das gesamte Leben von Maria Magd. wurde noch mehr zu einem Hauptthema von darstellender Kunst und Literatur. Auf Bildern wirft Maria Magd. häufig ihren Schmuck weg. Verzückung (Ek-stase) einschließlich angeblicher Elevationen (körperlicher Erhebungen) galt als höchste religiöse Erfahrung, als geistige Vereinigung mit Gott (Theresa v. Avila!). Im 17. Jahrhundert rückte mehr die Meditation über den Tod in den Vordergrund. Venedig wurde der bedeutendste Hafen des Mittelmeers. Entsprechend entwickelte sich das Dirnen- und Bordellwesen. 1360 sah die Regierung sich gezwungen, am Rialto ein erstes öffentliches Bordell einzurichten. Nach dem Einmarsch König Karls VIII. von Frankreich (1470 - 98) zog auch die "Franzosenkrankheit", die Syphilis, in Italien ein. So wurde in Venedig ein Krankenhaus errichtet, die Dirnen auf einer Insel kaserniert. Die "ausgedienten" Dirnen verelendeten rasch. Manche fanden Zuflucht in Klöstern, "Magdalenenstifte" für "reumütige" Dirnen (Schutzpatronin war Maria Magd.) und viele karitative Einrichtungen wurden geschaffen, der Magdalenenkult durchdrang das ganze tägliche Leben Venedigs. Als Schutzpatronin erschien sie sogar auf der Fahne der Stadt (neben dem Markuslöwen, Johannes Bapt. und Ev. und Hieronymus). Im 16. Jahrhundert wurde Maria Magdalena Synonym für Dirnen. In Frankreich berief man sich indes darauf, dass Maria Magd. in der Höhle vn Ste.-Baume gelebt habe. 1641 bestritt allerdings Jean de Lannoy, Gelehrter an der Sorbonne, die angebliche Landung der Heiligen bei Marseille und erntete dafür harsche Reaktionen. Die Reliquien "Maria Magdalenas" ruhten seit dem 13. Jahrhundert unter der Schirmherrschaft der französischen Könige in der Kirche von St.-Maximin, wo sie 1660 noch einmal in eine Urne aus Porphyr umgebettet wurden.
Für victorianische Puritaner aber gab es nur Heilige oder Huren, und letztere waren für sie existenzbedrohend. Das Heim war ein Tempel oder Hafen. Die Frau hatte ihren Platz im Vesta-Tempel, hatte ehrbar und klug zu sein und ihre Klugheit in den Dienst des Mannes zu stellen. Viele Frauen wurden für Prostituierte caritativ tätig, dabei galt Almosen als nicht ausreichend, vielmehr wollte man als Freundin die Gestrauchelten zu Tugend und Selbstachtung zurückführen (Männer schienen dazu nicht unbedingt geeignet). Diakoninnen, wie Phöbe oder Priscilla, die (Röm. 16) "das Reich Jesu Christi errichteten", galten als Vorbild. So wurde Religion ein Ventil gegen den Patriarcha-lismus. John James betonte, dass die frühe Kirche hinsichtlich des Respekts gegen Frauen "unserer" Zeit weit voraus gewesen sei. In Frankreich förderte Ludwig XVIII. um 1820 erneut die Verehrung von Madeleine, u.a. durch die Renovierung der Höhle von Ste.-Baume. Ein Vrain-D. Lucas fälschte 27320 Briefe, u.a. "von Aposteln" und "Maria Magdalena an Lazarus", "Maria Magdalena an den König von Burgund" (in welchem sie sich als Schwester von Lazarus und Martha bezeichnete und sogar einen Brief Jesu an sich selbst ankündigte), geschrieben auf Papier und in französischer Sprache, wofür er 1871 im Gefängnis landete.
1836 bestritt David F. Strauss in Tübingen in seinem Werk "Das Leben Jesu - kritisch betrachtet" die Göttlichkeit Jesu, seine Wunder und die Auferstehung. Er wurde prompt von der Universität entlassen. Ähnlich erging es Ernest Renan in Frankreich mit seiner These, Maria Magdalena habe die Auferstehung erfunden und so mit Jesus zusammen das Christentum begründet. Jesus sei lediglich ein "unvergleichlicher Wanderprediger". Aber: Unter dem Druck ähnlich Gesinnter besann sich die katholische Kirche auf ein neues Leitbild: Maria, die Mutter Jesu. So verkündete Papst Pius IX. 1854 das Dogma von der unbefleckten Empfängnis. 1858 erschien Maria in Lourdes dem Mädchen Bernadette Soubirous als "unbefleckt Empfangene". Erbitterter Gegner des neuen Marienkults wurde John A. James; die Inkarnation Jesu habe auch die Würde des weiblichen Geschlechts erhöht. Der Ausdruck "Mutter Gottes" sei gotteslästerlich und götzendienerisch. Er empfahl den viktorianischen Frauen stattdessen insbesondere Maria Magdalena als Vorbild, und Clara Balfour empfahl ihnen insbesondere Hanna, Tabetha, Lydia, Priscilla, Phöbe, Maria und Maria Magdalena und verteidigte gleichzeitig die Reinheit von Maria Magdalena, da ihr Name immer mit der Büßerin vermischt werde. Trotzdem nahm die Zahl der Magdalenenhäuser zu, und das alte Klischée der reuigen Sünderin war nicht auszurotten. Émile Zola schrieb 1868 einen Roman "Madeleine Férat", in welchem Madeleine eine Gefallene ist. Er demonstrierte darin Heuchelei und Doppelmoral. Und auch Werken wie "Woyzeck" (Büchner), "Anna Karenina" und "Auferstehung"(Tolstoj), "Schuld und Sühne" (Dostojewski) liegt der Mythos von der reuigen Sünderin zugrunde. Die "Entdeckung" des Orients im 19. Jahrhundert regte auch erotische Phantasien an (Kleopatra, Isis, Salome). Maria Magd. wurde orientalisiert. Sie ist öfters mit Juwelen behangen, ihr Gewand durchsichtig. Massenet schuf 1873 eine Oper Marie-Magdeleine. Ende des 19. Jahrhunderts gab es v.a. in Frankreich in Literatur und darstellender Kunst gehäuft Anspielungen darauf, dass Maria Magd. die Geliebte Jesu gewesen sei (u.a. Zola, Béraud, F. Rops (Radierung 1885: Maria Magdalena masturbierend unter dem Kreuz, an welches ein großer Penis angenagelt ist!), Rodin - aber auch Ch. Kingslay in England, Corinth in Köln). Letztlich bahnte Maria Magd. im 20. Jahr-hundert der Emanzipation den Weg und wurde wieder gesehen als die starke, mutige Frau unter dem Kreuz, v.a. bei den nicht-katholischen Christen.
Hans Förg
Zuletzt geändert am 17.07.2009