Studientagung mit Blick auf das Zweite Vatikanische Konzil (1962 – 1965)
Die Pianistin Nadja Estrina eröffnete die Veranstaltung mit Kompositionen von Franz Liszt und Claude Debussy, beides Tonschöpfer, die in ihrem Kunstschaffen den Wandel gewagt und dadurch musikalisches Neuland erschlossen haben.
Nach Begrüßung und Einführung durch Herbert Tyroller bewertete Prof. DDr. Gotthold Hasenhüttl das Dekret über den Ökumenismus „Unitatis redintegratio“. Er betonte, dass es eine der Hauptaufgaben des Zweiten Vatikanischen Kon-zils gewesen sei, die Einheit aller Christen wieder herzustel-len und stellte die Rückfrage: „Welche Einheit der Christen ist gesucht, welche gemeint?“ Ist es die Uniformität, die Ein-heitskirche, die in ihren Strukturen und Organisationsformen zentral regiert, ja monarchisch bestimmt wird, sodass das Oberhaupt, der Oberhirte befiehlt und alle gehorchen, oder ist es eine Einheit, die sich auf vielfältige Weise ausdrückt, unterschiedliche Strukturen aufweist und in der Menschen selbstbestimmt leben, in einer dialogischen Beziehung zu anderen Kirchen stehen und die Anderen anders sein und vielfältige Gestaltungsmöglichkeiten offen lassen?
Das Ökumenismusdekret geht sogar soweit, dass die „ge-trennten Brüder“ eine Gnade für die katholische Kirche dar-stellen, denn sie sind ein „Stachel im Fleisch“, sich zu ändern. Die katholische Kirche muss sich prüfen, ob sie die Treue zum Willen Christi bewahrt hat und wo sie sich erneuern muss. Auf jeden Fall ist ein Dialog ohne Vorurteile zu füh-ren und es muss alles vermieden werden, was die gegensei-tigen Beziehungen erschwert. Heute müssen wir leider er-fahren, dass sehr viel von der katholischen Hierarchie getan wird, was die Verständigung behindert und dem Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils widerspricht.
Als Voraussetzung für einen echten, geschwisterlichen Dialog mit den aus der Reformation hervorgegangenen Kir-chen plädierte der Saarbrücker Theologe für die Aufhebung der Verurteilung und Exkommunikation Luthers. „Mit einem Verurteilten und seiner Gemeinschaft ist ein gleichberechtig-ter Dialog nicht möglich. Nach 500 Jahren Trennung sollte spätestens 2017 seine Rehabilitierung erfolgen.“ Durch die erfolgte Aberkennung des Kirche-Seins der evangelischen Kirche (Dominus Iesus, 2000/2007) werden alle Türen und Fenster, die das Zweite Vatikanische Konzil geöffnet hat, nicht nur geschlossen, sondern zugemauert.
„Unitatis redintegratio spricht von den getrennt lebenden (seiunctae) und nicht von einander abgesonderten oder abge-schnittenen (separatae) Kirchen. So wie sich Ehepaare, ob-wohl sie getrennt leben, an ihr Eheversprechen gebunden fühlen können und Hoffnung auf neue Gemeinsamkeit haben. Genau das gilt für die Kirchen. Eine grundlegende Gemein-schaft bleibt gewahrt. Was gibt es dann Besseres, als sich gegenseitig zum Essen einzuladen, miteinander zu sprechen und Sorgen und Nöte miteinander zu teilen. Daher sagt das Dekret, dass die Eucharistiefeier nicht nur die Einheit be-zeichnet, sondern auch bewirkt (efficitur). Da eine radikale Trennung der Kirchen also nicht stattgefunden hat, die ge-meinsame Wurzel geblieben ist, ist es umso unverständlicher, dass die ökumenische Gastfreundschaft verwehrt wird.“
Mit dem Hinweis, die Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen „Nostra aetate“ sei das kürzeste Dokument des Zweiten Vatikanischen Kon-zils, leitete Prof. Dr. Klaus Kienzler (Augsburg) in sein Referat ein. Dass diese Deklaration überhaupt erschienen und verabschiedet worden ist, sei das eigentliche Ereignis. Es ist das erste offizielle Dokument der römisch-katholischen Kir-che, das die anderen Religionen gewürdigt hat. Karl Rahner sprach davon, dass die Erklärung Nostra aetate nach ihrem Wortlaut und nach ihrer Dynamik in der Geschichte der Kir-che, ihrer Konzilien und ihrer Theologie einzigartig ist.
Den Anlass zu der Erklärung gab Johannes XXIII. selbst. Der Papst wollte 1959 die Karfreitagsfürbitte von den „perfi-den Juden“ nicht mehr beten und strich sie spontan. Er beauf-tragte den französischen Historiker Jules Isaac ein Dossier mit vier großen Fragen zum Judentum vorzubereiten: Wer trägt Verantwortung für den Tod Jesu? Wie steht das Volk Israel in der Verheißung Gottes? Welche Verantwortung trägt Kirche für den heimlichen oder offenen Antisemitis-mus? Wie steht es mit dem Antisemitismus in Unterweisung und Frömmigkeit?
Neben der Neubestimmung zum Judentum wurde in der Konzilsaula auch der interreligiöse Dialog forciert. Bischof Fortunato Da Veiga Coutinho (Belgaum, Indien) am 22. No-vember 1963: „Man muss die Einheit des Heilsplanes für alle Menschen klarstellen und betonen, dass alle Völker im Plan Gottes einen Platz haben. Die alten Kulturen müssen als Wegbereiter für die Wahrheit des Evangeliums betrachtet, die Religionen mit großer Ehrfurcht dargestellt werden. Wenn wir die Türe für einen Geist des Verständnisses nicht zuschlagen wollen, müssen wir auch beleidigende Ausdrücke gegenüber jenen, die in gutem Glauben eine andere Religion befolgen, endlich ausmerzen und nicht mehr reden von Fins-ternis der Unwissenheit, Heidentum, Götzendiener“.
Ein Befreiungsschlag. Aus diesem Prozess heraus ent-stand Nostra aetate. Großes Aufsehen erregte vor allem jene Aussage: „Die katholische Kirche lehnt nichts ab von dem, was in den Religionen wahr und heilig ist“ (NA 2). Das ist die Grundbotschaft dieser Erklärung überhaupt, resümierte Kienzler: „Die katholische Kirche verwirft nicht, sondern heißt gut und erkennt an, was in den anderen Religionen gut und heilig ist, und da hat die Welt hingehört und hier hat die-se Erklärung ihre Bedeutung gefunden. Dieses Wort, dass die Traditionen, dass die Kulturen, dass die Religionen etwas Gutes und Heiliges haben, das hat Türen aufgestoßen nach allen Richtungen.“
In den Mittelpunkt ihres Vortrages zum Dekret über das Laienapostolat „Apostolicam actuositatem“ stellte Professorin Dr. Sabine Demel die Frage: „Was wäre die Kirche ohne die Laien? Nahezu zwei Jahrtausende lang hätte wohl die Antwort darauf geheißen: Dann hätten ja die Kleriker niemanden mehr, der ihren Anordnungen gehorcht und der für ihre finanzielle Absicherung sorgt.“
Die Unterscheidung zwischen Klerikern und Laien wurde in der Vergangenheit zunehmend auf eine Trennung hin gesteigert, mit der parallel eine Aufspaltung in den kirchlich-kultischen und den rein weltlichen Aufgabenbereich einherging. Kardinal Humbert von Silva Candida (11. Jh.): „Wie die Kleriker nicht Weltliches, so sollen die Laien nicht Kirchliches sich anmaßen.“ Papst Pius X. (1906): „Nur die Versammlung der Hirten hat das Recht und die Autorität, zu lenken und zu regieren. Die Masse hat kein anderes Recht, als sich regieren zu lassen, als eine gehorsame Herde, die ihren Hirten folgt.“
Was wäre die Kirche ohne die Laien? Das Zweite Vatikanische Konzil habe hierauf eine ganz neuartige Antwort gegeben. Der neuen Stellung der Laien als aktive und mündige Glieder in der Kirche entsprechend wird gleich zu Beginn des Laiendekretes „Apostolicam actuositatem“ erklärt: „Das Apostolat der Laien, das in deren christlicher Berufung selbst seinen Ursprung hat, kann in der Kirche niemals fehlen“ (AA 1). Damit wird eine unaufgebbare Prämisse formuliert: Das Laienapostolat ist nicht mehr (wie früher angenommen und gelehrt) von den Klerikern als den Inhabern des geweihten Amtes abzuleiten, sondern direkt von Christus bzw. von der Vereinigung der Laien „mit Christus, dem Haupt“, und ist „Teilnahme an der Heilssendung der Kirche selbst“ (AA 2, auch AA 3).
„Deshalb sei von zentraler Bedeutung“ – so die Regensburger Kirchenrechtlerin – „dass immer mehr Laien lernen und darin unterstützt werden, ein gesundes Selbstbewusstsein zu entwickeln, um die Kraft und den Mut zu haben, immer wieder von Neuem und gegen alle Widerstände die kirchliche Qualität ihres Handelns einzufordern, und zwar mit Nachdruck und Ausdauer und natürlich mit guten Argumenten, so dass die Hirten früher oder später nicht umhin können, diesen Bewusstseinswandel mit zu vollziehen, dass ‚kirchlich’ nicht nur ihr eigenes Reden und Handeln ist, sondern auch das eigenständige und eigenverantwortliche Reden und Handeln der Laien.“
„Nicht auszudenken, was passiert, wenn KatholikInnen wieder mehr wagen, ihre Verantwortung kraft der Taufe wahrzunehmen, nämlich laut und vernehmlich ‚Ich’ zu sagen, mit dem eigenen ‚Ich’ für die Wahrheit einzustehen, in der Kirche nicht nur mitzulaufen, sondern auch selbstständig aufzubrechen und den anstehenden Wandel zu wagen!“
Das letzte und am heftigsten umstrittene Dokument, das vom Zweiten Vatikanischen Konzil am 7. Dezember 1965 verabschiedet wurde, ist die Erklärung über die Religionsfreiheit „Dignitatis humanae“. In seinen Ausführungen umriss Prof. Dr. Richard Heinzmann den Gegenstand dieses Konzilstextes. Unter dem Titel Religionsfreiheit verberge sich nicht die These einer Gleichrangigkeit aller Religionen, auch nicht der Wahrheitsanspruch des Christentums gegenüber anderen Religionen. Das Recht auf religiöse Freiheit, so erklärt das Konzil, ist „auf die Würde der menschlichen Person begründet, so wie sie durch das offenbarte Wort Gottes und die Vernunft selbst erkannt wird“ (DH I 2).
„Das Christentum ist in seinem Ursprung und seiner Struktur nach eine Religion der Freiheit“ – so der Münchner Theologe. „Nach dem Zeugnis der Schrift hat Gott aus Freiheit die Welt geschaffen und in Freiheit eine Geschichte mit dem Menschen aufgenommen. Gott hat den Menschen als denkendes und freies Wesen geschaffen; und deshalb muss der Mensch in Freiheit auf den Anruf Gottes antworten, wo immer dieser ihn trifft. Der Mensch ist moralisches Subjekt, in seiner Freiheit befindet er über sich selbst, in Verantwortung vor Gott ist er Herr seines Handelns. Deshalb muss auch der Glaube an Gott ein Akt personaler Freiheit sein. Zwang und Glauben schließen sich gegenseitig aus. Blinder Gehorsam ist Kennzeichen totalitärer Systeme, nicht des Christentums.“
Mit der Erklärung über die Religionsfreiheit brach das Konzil mit der Tradition. Von den Verfassern des Dokumentes wurde diese Tatsache relativiert, wenn sie schreiben: „Gewiss ist bisweilen im Leben des Volkes Gottes auf seiner Pilgerfahrt – im Wechsel der menschlichen Geschichte – eine Weise des Handelns vorgekommen, die dem Geiste des Evangeliums wenig entsprechend, ja sogar entgegengesetzt war; aber die Lehre der Kirche, dass niemand zum Glauben gezwungen werden darf, hat dennoch die Zeiten überdauert“ (DH II 12).
Heinzmann: „Nicht durch die Lehre der Kirche hat dieser Grundgedanke die Zeiten überdauert, sondern der Geist und die innere Dynamik des Evangeliums wurden durch Welterfahrung und theologisches Nachdenken gegen die formelle Lehre neu zum Tragen gebracht. Es handelt sich um eine prinzipielle Neuorientierung gegenüber der vorkonziliaren Tradition. Eines hat sich damit in dieser Frage zweifelsfrei gezeigt: der Rückgriff auf eine lange Tradition und die Berufung auf die Kontinuität der offiziellen kirchlichen Lehre sind allein keine Garantie für die Wahrheit. Jede theologische Aussage muss sich in der Schrift als dem normativen Dokument des Christentums verifizieren lassen und vor dem Anspruch der Vernunft verantworten. Mit der Erklärung über die Religiondfreiheit ist die Kirche, was dieses Thema betrifft, zu ihren christlichen Wurzeln zurückgekehrt und hat dadurch in einer wesentlichen Frage ihre Weltverantwortung wahrgenommen".
Zuletzt geändert am 19.05.2010