| |
Veröffentlicht am 01­.05.2025

Kolumne „Unzensiert“ KIRCHE IN Mai 2025

Endlosschleife Aufarbeitung

Kritik an der Würzburger Missbrauchsstudie, umstrittene Solidaritätswelle für einen freigestellten Pfarrer im Bistum Passau, Schweigemärsche Betroffener im Bistum Aachen, emotionslose Zeugenaussagen eines früheren Täters im Bistum Essen, Ringen um die Abschaffung von Verjährungsfristen, schleppende Aufarbeitung in den Orden ...: Auch 30 Jahre nach der Affäre um den Wiener Kardinal Groër im Jahre 1995 – es war der weltweit erste bekannte Missbrauchsskandal an der Spitze einer Ortskirche – kommt die katholische Kirche in Deutschland nicht aus den negativen Schlagzeilen heraus. In der im November 2023 veröffentlichten Kirchenmitgliedschaftsstudie (KMU), an der sich erstmals auch die Deutsche Bischofskonferenz beteiligt hatte, hatten nur 9 Prozent aller Befragten erklärt, dass sie noch Vertrauen in die katholische Kirche hätten.

Bei der Präsentation jedes neuen Diözesangutachtens wiederholen sich die bischöflichen Bekundungen der Betroffenheit. Doch die Aufarbeitung in den 27 deutschen Diözesen erfolgt nach wie vor nach uneinheitlichen Methodiken und Kriterien. Einige haben bis heute keine eigenen Studien in Auftrag gegeben. Die Würzburger Studie ist erst die zweite der sieben bayerischen Bistümer. Dies alles bewirkt eine große retraumatisierende Belastung für alle Betroffenen, hat aber auch eine katastrophale Öffentlichkeitswirkung, die alle anderen Leistungen und Reformbemühungen der Kirche in den Hintergrund treten lässt. Einige Bistümer geben mehr Geld zur Abwehr von Forderungen als für Entschädigungen von Betroffenen aus. Die ärmeren ostdeutschen Bistümer verhalten sich (notgedrungen) noch knauseriger.

Zu Recht kritisiert Prof. Harald Dreßing als Leiter der im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz 2018 fertiggestellten gesamtdeutschen Missbrauchsstudie, der MHG-Studie, die Vielzahl diözesaner Gutachten mit nicht vergleichbaren Daten, die eher zu einer weiteren Vertuschung denn zu einer systematischen Aufklärung beitragen. Seinem Vorschlag einer interdisziplinär besetzten Wahrheitskommission wollten die Bischöfe nicht folgen. Die im Januar 2024 veröffentlichte ForuM-Studie zeigt, dass die Evangelische Kirche Deutschlands keineswegs die bessere Kirche ist, wie sie lange glauben machte.

„Viel Leid der Betroffenen hätte auch in der Diözese Würzburg vermieden werden können, wäre man früher auf die Betroffenen zugegangen und hätte man auf jene gehört, die auf Missstände aufmerksam machten“, erklärte der frühere Missbrauchsexperte Wunibald Müller vom Recollectio-Haus in Münsterschwarzach. Die Würzburger Studie enthält auch eine Kritik an der Arbeitsweise und den Entscheidungen des römischen Glaubensdikasteriums. Im Bestreben, „öffentliches Ärgernis“ abzuwenden, seien in manchen Fällen Maßnahmen des Bistums abgeschwächt oder sogar zurückgenommen worden.

Über die Zeugenanhörung des bundesweit bekannten Täters Peter H., der aufgrund von Verjährungsfristen nicht mehr bestraft werden konnte, schrieb jetzt der Essener Generalvikar Klaus Pfeffer: „Mir wurde einmal mehr deutlich, wohin es führt, wenn Menschen aufgrund ihres Amtes und ihres vermeintlichen Charismas auf einen Sockel gehoben werden, der sie unantastbar und unangreifbar werden lässt. ... Stattdessen standen der ‚Schutz‘ und das Ansehen des Priesteramtes und der Institution im Mittelpunkt.“ Betroffeneninitiativen vermuten ein ganzes Geflecht von Missbrauchstätern, die sich gegenseitig decken.

Für die katholische Kirche in Deutschland gibt es seit einigen Jahren Richtlinien, wie mit Vorwürfen umzugehen ist, auch Schulungen und Präventionsbeauftragte, Betroffenenbeiräte und Sachverständigenräte. Da kann die katholische Kirche durchaus Vorbild für andere Organisationen sein. Aber Präventionsrichtlinien sind immer nur so gut, wie sie angewandt werden. Und die Bischöfe und Ordensleitungen müssen ihre Anstrengungen zur Aufarbeitung weiter intensivieren und wirklich angemessene Entschädigungen leisten. Notwendig ist auch die staatliche Aufhebung der Verjährungsfrist oder zumindest eine Verlängerung; denn viele Betroffene können erst nach Jahrzehnten über Erlittenes reden. Die Petition „Keine Einrede der Verjährung in Schmerzensgeldprozessen“ hat bald 100.000 Unterschriften erhalten.

Nach Ansicht des deutschen Kinderschutzexperten Hans Zollner in Rom, wird sexueller Missbrauch in der katholischen Kirche eine wichtige Rolle bei der nächsten Papstwahl spielen: „Kardinäle, die an einem künftigen Konklave teilnehmen werden, [werden sich] fragen müssen, wie sie mit Missbrauchsfällen umgegangen sind, was sie mit den Tätern während des kanonischen Prozesses getan oder nicht getan haben.“ Die Kirche dürfe nicht nur eine juristische Antwort auf Missbrauchsfälle geben, sondern sie habe auch die Pflicht, eine moralische und geistliche Antwort zu geben, so Zollner. Dem ist nichts hinzuzufügen.

Christian Weisner, Bundesteam Wir sind Kirche Deutschland

Zuletzt geändert am 01­.06.2025