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Veröffentlicht am 02­.11.2007

2.11.2007 - Südwest-Presse

Ein entschiedener Mahner gegen die Leisetreterei

SÜDWEST-PRESSE-FORUM / Der Theologe Hans Küng kritisiert den Reformstillstand in der katholischen Kirche

Zwei Männer, zwei Richtungen. Gegensätzlicher könnten die Auffassungen über katholische Theologie kaum sein. Der eine, Joseph Ratzinger, residiert als amtierender "Stellvertreter Christi" in Rom, der andere, Hans Küng, ist zur kritischen Instanz in Tübingen geworden.

ELISABETH ZOLL

Es gibt mehrere Formen des Katholizismus. Beispielhaft stehen zwei Namen dafür: Joseph Ratzinger, der heutige Papst Benedikt XVI., und Hans Küng, Fachmann für Ökumene und Weltreligionen. Beide sind weit über die Grenzen ihrer Kirche hinaus anerkannte Theologen und Bestseller-Autoren. Sie kennen sich seit einem halben Menschenalter. Doch bei aller Kollegialität - wirklich nah sind sie sich nicht. Theologisch trennen sie Welten.

Küng, der Schweizer Professor in Tübingen, steht für so vieles, was Ratzinger als Präfekt der Glaubenskongregation vor Jahrzehnten und Benedikt XVI. heute noch immer nicht will: eine katholische Kirche, die auf mündige Laien setzt; eine Weltkirche, die sich als gleiche unter gleichen der Weltreligionen versteht und die die Heilige Schrift glaubwürdig ins Hier und Jetzt überträgt. "Christologie von unten" nennt Hans Küng beim SÜDWEST-PRESSE-Forum, einer Veranstaltung des überregionalen Teils dieser Zeitung in Ulm, sein Credo. Was so viel bedeutet, wie dass er Jesus so sehen will, wie die Zeitgenossen den Mann aus Nazareth sahen, als Mann mit einer Botschaft, die den bekennenden Christen Küng noch immer fasziniert, aber auch als Person, der menschlich nichts fremd war. Küng bekennt: "Ich habe unter den Religionsgründern keine Gestalt gefunden, die mehr Weg und Wahrheit ist als Jesus Christus."

Anders Ratzinger, der in seinem jüngsten Jesus-Buch eine "Christologie von oben" entfaltet. Inhaltlich getroffen haben sich die beiden Theologen nicht, weder in den Gesprächen bei gemeinsamen Autofahrten in Küngs Alfa Romeo während der Tübinger Zeit, noch bei Konfliktdiskussionen, die 1979 dem Entzug der Lehrerlaubnis "Missio Canonica" vorausgingen. Diese päpstliche Strafaktion hat den heute emeritierten Tübinger Professor unerwartet getroffen. Heute, wenige Monate vor seinem 80. Geburtstag, schaut Küng entspannt auf diese Zeit zurück. Schließlich sei er auch ohne "römischen Führerschein" zu einem weltweit anerkannten Theologen geworden.

Das liegt nicht nur an den zahlreichen Publikationen - erst kürzlich ist der zweite Band seiner Erinnerung "Umstrittene Wahrheit" erschienen -; das fußt auch auf seinem Projekt "Weltethos", das Küng zu einem Weltreisenden in Sachen Religion macht: "Es gibt keinen Frieden unter den Nationen ohne den Frieden unter den Religionen." So reist er, spricht mit Präsidenten und Religionsführern, wirbt für einen Dialog der Völker, ein Miteinander der Religionen und setzt sich für Gewaltfreiheit bei der Austragung von Konflikten ein.

Dass der wiedergeborene evangelikale Christ und US-Präsident George W. Bush "im Namen Gottes" Kreuzzüge führt in Afghanistan und im Irak und ohne Wimpernzucken die Unterdrückung der Palästinenser billigt, verurteilt der Theologe zutiefst. Küng spricht von einem "Missbrauch" der Religion, und ermahnt damit all jene, die im Islam nur die Aufforderung zu Gewalt und Hass erkennen können. "Fundamentalisten gibt es in allen Religionen", sagt Küng. Und stellt ohne auf eine Antwort zu warten die Frage in den Raum: Welches muslimische Land hat in den letzten 200 Jahren ein christliches überfallen?

Die Christenheit habe keinerlei Grund, sich über andere zu erheben. Das gelte auch für den Papst, der mit seiner Regensburger Rede 2006 viele Muslime vor den Kopf stieß. Dass sich das Kirchenoberhaupt später für den "Schiffbruch von Regensburg" entschuldigte und auf die Muslime zuging, rechnet ihm Küng hoch an. So viel Bewegung wünscht sich der 79-Jährige vom Altersgenossen Ratzinger auch an anderer Stelle: bei Reformen, auf die Gläubige hierzulande warten. Doch da herrscht Stillstand. Hoffnungen auf einen Ruck in Rom nach dem 28-jährigen Pontifikat Johannes Pauls II. wurden bitter enttäuscht: "Ratzinger nimmt in Kauf, dass sich noch mehr Leute von der Kirche verabschieden."

Volk wendet sich ab

Denn im Gegensatz zur Kirchenspitze ist das Kirchenvolk mobil. Es wendet sich ab, sucht in Fragen der persönlichen Lebensführung eigene Lösungen. Über Empfängnisverhütung müsse Rom nicht mehr entscheiden, das hätten die Gläubigen längst getan. Problematisch sei das Festhalten des Vatikans an Traditionen dort, wo "Staat und Kirche reinspielen": bei der Frage des Zölibats und der Klerikalisierung insgesamt. Die Grundlagen dafür wurden nicht mit der Bibel im Neuen Testament gelegt, sondern im 11. Jahrhundert bei der Gregorianischen Reform, die das absolutistische Papstamt erfand und dafür billigend die Spaltung der Kirche in römisch und orthodox in Kauf nahm.

Die Folgen dieser Sturheit lassen sich in jeder Pfarrei besichtigen. Es fehlen die Priester. Aus Not bleiben Gemeinden oft jahrelang verwaist oder werden zu Seelsorgeeinheiten zusammengeschweißt. Auch in der Diözese Rottenburg-Stuttgart. Aber, so der Dogmatik-Professor: "Man kann Pfarreien doch nicht zusammenlegen wie Unternehmen." Keiner der Bischöfe oder Geistlichen, die die Karriereleiter noch erklimmen wollen, wage deutliche Worte. So kann Küng unter deutschen Bischöfen nur Anpassung erkennen, wo er Standfestigkeit erwartet.

Würden Bischöfe nicht von Rom berufen, sondern vom Kirchenvolk und dem Klerus gewählt, wäre die Leisetreterei zu Ende. "Dann hätten wir vielleicht nicht die Besten, aber auch keine sturen Böcke", sagt Küng in aller Deutlichkeit. Es sei ein Jammer, dass sich der Klerus so einfach über die Positionen des Kirchenvolkes hinwegsetzen könne. Laienorganisationen wie die Bewegung "Wir sind Kirche", die Küng "ganz und gar" unterstützt, stünden heute für Positionen, die "vermutlich in 20 Jahren selbstverständlich sind": unter anderem das Ja zur Priesterweihe von Frauen, die Abschaffung des Zwangszölibats, die Akzeptanz Geschiedener.

Bleibt die Hoffnung auf die Zukunft. Bis auf weiteres wird der Professor aus Tübingen in Sachen Religionen weltweit auf Achse sein, Bücher schreiben und sich in Lech am Arlberg über Skipisten schwingen. Dass nicht nur letzteres mit Risiken verbunden ist, weiß der 79-Jährige. Doch er ist sich auch gewiss: "Dass in all den Jahren jemand eine Hand über mir hält." Das galt auch in der Zeit, als der Papst in Rom den Stab über ihn brach.

Zuletzt geändert am 02­.11.2007