16.1.2008 - Europolitan
Der Liberale muss weichen
Frankfurter Allgemeine Zeitung (Frankfurt):
Lehmanns zweite Amtsperiode als Vorsitzender begann mit einem Paukenschlag. Als Bischof von Mainz veröffentlichte er zusammen mit dem Freiburger Erzbischof Saier und dem Rottenburger Bischof Kasper einen Hirtenbrief über Fragen der Seelsorge an Geschiedenen und Wiederverheirateten. Politische Klugheit hätte es den dreien geboten, um dieses Thema einen Bogen zu machen. Doch Lehmann war strategischen Überlegungen und taktischen Kalkülen schon immer nicht weniger abgeneigt als es sein römischer Antipode Joseph Kardinal Ratzinger immer war. "Dieser legte nicht nur mit aller Macht das römische Veto gegen die Überlegung ein, wiederverheiratete Geschiedene unter bestimmten Umständen wieder zum Kommunionempfang zuzulassen. Dieser frühe Konflikt wurde gleichsam zur Blaupause für den Streit über die Schwangerenkonfliktberatung, in der Lehmann die Mehrheit der deutschen Bischöfe wie der deutschen Katholiken auf seiner Seite wusste - und am Ende dem Papst und seinem theologischen Berater Ratzinger gehorchen musste."
Financial Times Deutschland (Frankfurt):
Auch wenn Kritiker Lehmann diese Suche nach Verständigung oft als Schwäche auslegten, so erwarb er sich doch in allen Lagern Respekt. Die katholische Reformbewegung "Wir sind Kirche" bedauerte am Dienstag in einer ersten Stellungnahme Lehmanns Rücktritt und äußerte die Vermutung, "dass die zunehmenden Divergenzen innerhalb der Bischofskonferenz, vor allem aber die intensiven Auseinandersetzungen mit Rom" der Gesundheit des Kardinals geschadet hätten. "Mit seinem vermittelnden und zurückhaltenden Auftreten prägte Lehmann zwei Jahrzehnte lang das Bild der katholischen Kirche in Deutschland. Und er wurde zugleich zu einem Symbol dieser Kirche, die zwar angesichts von Mitgliederschwund und Finanzproblemen der Bistümer immer öfter in der Defensive ist, aber dennoch auf ihre gesellschaftliche Bedeutung Wert legt. Karl Lehmann, der nun "erleichtert in das Glied zurücktreten" will, würde wohl am liebsten einen Ausgleicher und Vermittler als Nachfolger sehen. Einen wie sich selbst also. Nur jünger."
tageszeitung (Berlin):
"Der Mainzer war nicht nur kirchenpolitisch ein Mann des Ausgleichs. Er verkörperte darüber hinaus die guten, wenn auch manchmal arg konservativen Seiten der alten Bundesrepublik. Lehmann umgab etwas Unaufgeregtes, Weiches und Kompromissbereites, also manches, an dem es der aufgeregten Berliner Republik derzeit mangelt. Die kluge Bedachtsamkeit Lehmanns wird fehlen, es gibt nicht viele Frauen und Männer, die den politischen Diskurs ähnlich positiv prägen können."
Mannheimer Morgen (Mannheim):
"Lehmann ist ein Kirchenführer, der allenfalls in konservativen Kreisen Kritik hervorruft. Die Anderen rechnen ihm hoch an, dass seine liberale Theologie immer dicht am Leben bleibt. Ganz nach dem Prinzip: Der Mensch ist nicht für die Kirche da, sondern die Kirche für den Menschen. Als Vermittler und Mann der Mitte, dessen Sprache sich ebenso des differenzierten wie des geschliffenen Wortes bedient, kann Lehmann andere für sich gewinnen, selbst wenn sie keiner Kirche angehören. Das lässt sich nicht von jedem seiner Bischofskollegen behaupten. Daher wird diese Stimme der katholischen deutschen Bischöfe fehlen."
Zuletzt geändert am 16.01.2008