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Veröffentlicht am 13­.02.2008

13.2.2008 - Kölner Stadtanzeiger

Ein Votum für den Ausgleich

Robert Zollitsch ist neuer Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz
Mit der Entscheidung gehen die Bischöfe keine Experimente ein.


VON JOACHIM FRANK Würzburg

- Das ist das Schöne an den Katholiken: Am Ende ticken sie irgendwie doch alle ähnlich. Als die Kardinäle in Rom vor knapp drei Jahren Joseph Ratzinger zum Nachfolger Papst Johannes Pauls II. bestimmten, folgten sie dem Motto "keine Experimente". Dasselbe wiederholt sich an diesem Dienstag im Würzburger Kloster Himmelspforten, wo die deutschen Bischöfe den Freiburger Oberhirten Robert Zollitsch zu ihrem neuen Vorsitzenden wählen - als Nachfolger Kardinal Karl Lehmanns, der dieses Amt nach fast 21 Jahren wegen einer schweren Herz-Kreislauf-Erkrankung vorzeitig aufgegeben hat. Es ist nicht der "Generationenwechsel", den Lehmann in seinem Rücktrittsschreiben angesprochen hatte: Zollitsch ist 69, nur zwei Jahre jünger als der scheidende Vorsitzende. Und es ist erst recht kein Richtungswechsel. "Theologisch und menschlich sind wir uns so nahe, dass es schwer sein würde, Unterschiede festzustellen", sagt der neue Vorsitzende über den alten.

Beide stammen aus dem Erzbistum Freiburg, sie kennen sich seit fast 40 Jahren. In der Bischofskonferenz amtiert Zollitsch seit 2004 als Chef der Verwaltungsgremien aller Bistümer - ein fleißiger, effizienter, pragmatischer Organisator, das attestieren ihm Mitbrüder; einer, der sich "nicht die Butter vom Brot nehmen lässt", dem aber an Konsens gelegen sei.

Gerade das ist immer Lehmanns Stärke gewesen: den Laden zusammenhalten trotz aller theologischen und kirchenpolitischen Fliehkräfte in der Bischofskonferenz - mit so liberalen Geistern wie dem Rottenburger Gebhard Fürst einerseits, konservativen Galionsfiguren wie dem Kölner Kardinal Joachim Meisner andererseits. Am ausgleichenden Führungsstil Lehmanns wollte die Mehrheit der Bischöfe anknüpfen: keine Experimente.

Gegen "barocken Knaller"

Das Experiment hätte Reinhard Marx geheißen. Viele hatten den neuen Münchner Erzbischof mit seiner robusten, leutseligen und mediengewandten Art schon als "Senkrechtstarter" auf dem hierarchischen Durchmarsch gesehen - drei Monate nach seiner Berufung auf den traditionsreichen Münchner Erzbischofssitz auch noch die Wahl an die Spitze der Bischofskonferenz, das wäre schon ein steiler Aufstieg gewesen. Und jene, die sich nach zwei Jahrzehnten des abwägend-professoralen "Sowohl als auch" unter Lehmann jetzt wieder "klare katholische Kante" wünschten, hatten auch mächtig für Marx getrommelt.

Das gilt zum Beispiel für Meisner. Mit seinen 74 Jahren konnte er sich kaum Hoffnungen machen, den prestigeträchtigen Vorsitz nach der Ära Lehmann wieder zurück nach Köln zu holen, das in der Nachkriegszeit mit den Kardinälen Joseph Frings und Joseph Höffner zweimal bedeutende Vorsitzende der Bischofskonferenz gestellt hatte. "Eher Marx als Meisner" - diese Schlagzeile in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom Montag bezeichnete Meisner bei seinem Eintreffen in Würzburg jedenfalls verschmitzt als zutreffend.

Aber da hatten sich längst die Nicht-Marxisten unter den 69 Wahlberechtigten formiert. Die freundliche Variante der Distanzierung lautete: "Der arme Reinhard hat doch mit seiner neuen Aufgabe in München so viel zu tun, da wollen wir ihm nicht auch noch diese Last aufbürden."

Schroffere Gemüter argwöhnten, ein "barocker Knaller" wie Marx werde dem Bild der katholischen Kirche nach außen eine eindeutige Schlagseite geben und das Kräfteverhältnis in der Bischofskonferenz weiter nach rechts verschieben. Solch eine Positionsbestimmung ist vielen Bischöfen nicht zuletzt deshalb suspekt, weil sie die Kirche in einer Phase des Umbruchs sehen: Da ist die "faktische Säkularisiertheit" weiter Teile der Gesellschaft mit ihrer Ferne zur Kirche und ihren Vollzügen. Da ist aber auch eine "unbestimmte Religiösität", deren Folgen für das verfasste Christentum noch nicht auszumachen sind. Um dieser Unklarheit Herr zu werden, brauche es "einen soliden theologischen Unterbau" und keinen "Haudrauf"-Kurs à la Marx. Zollitsch wiederum sei ein "Übergangskandidat in gutem Sinne", der das Amt nach der regulären Sechs-Jahres-Frist ohnehin aus Altersgründen abgeben und nicht auf eine Wiederwahl schielen müsse. 2014 werden die Karten also neu gemischt.

All diese Überlegungen diskutieren die Bischöfe - den Gepflogenheiten ihrer Wahlversammlungen entsprechend - nicht offen, sondern in vorausgegangenen Telefonaten, Treffen im kleinen Kreis und "Murmelrunden" am Vorabend der Wahl. Eine Aussprache oder gar eine Personaldiskussion kommt in der Sitzung am Dienstagvormittag erst gar nicht auf. "Wir haben gleich drauflos gewählt", sagt Kardinal Lehmann anschließend. Schon im ersten der drei Wahlgänge bringen die Zollitsch-Anhänger mehr Stimmen zusammen als Marx´ Parteigänger für ihren Kandidaten. Im zweiten Wahlgang verfehlt der Freiburger die erforderliche Zweidrittelmehrheit nur knapp. In der dritten Runde reicht eine satte absolute Mehrheit zur Wahl aus. Nach weniger als einer Stunde ist alles vorbei.

Nicht von ungefähr erinnert der ganze Ablauf mit Kandidatenspekulationen, geheimer Wahl und anschließender Präsentation an das römische Konklave. Nur dass es in Würzburg dann am Ende doch etwas nüchterner zugeht als im Vatikan. Den Kardinals- und Bischofsornat haben Lehmann und Zollitsch im Schrank gelassen, statt dessen treten sie ganz schlicht im schwarzen Anzug auf - auch das ein kleines, aber sprechendes Zeichen.

Der Neue wirkt gespannt. "Ich musste noch etwas nach Luft ringen." Er presst die Lippen zusammen und spielt mit den Fingern. Während Lehmann ihn "lieber Robert" nennt, wendet sich Zollitsch an den "lieben Herrn Kardinal Lehmann". Aber gleich die ersten Worte sind dann freundlich und werbend. Er bezeichnet es als seine Aufgabe, das Amt "in Kontinuität" zu Lehmann weiterzuführen. Ihm sei daran gelegen, die Kirche in der Gesellschaft "präsent zu halten" und in der Ökumene voranzukommen - in der Tat hat Lehmann seit Bekanntgabe seines Rücktritts immer wieder auf diese Themen gesetzt. Zur Glaubwürdigkeit der Kirche, so Zollitsch, gehöre eine möglichst große Gemeinsamkeit der Konfessionen, zumal das Verbindende "weit, weit größer" sei als das Trennende.

Der Brückenbauer

Was seine Fähigkeit als Brückenbauer betrifft, kommt Lob von unvermuteter Seite. Die hierarchiekritische Bewegung "Wir sind Kirche" stellt Zollitsch als einen Mann dar, der delegieren könne, die Laienarbeit fördere und gut zuhöre. Zollitsch sei "nahe bei den Menschen". Wenn er dann noch "gegenüber Rom genug Standfestigkeit und Rückgrat" bewiese, wäre das Glück perfekt - erst recht angesichts der "Alternative Marx". Keine Experimente - an diesem Tag überwiegt das Votum fürs Bewährte sogar bei den "Reformern" aus dem Kirchenvolk.

Nur unter den Konservativen geht die Enttäuschung um, dass es ihnen offenkundig nicht gelungen ist, mit der Lehmann-Nachfolge die katholischen Koordinaten neu zu bestimmen. Die "Lehmann-Kirche" - ein Ausdruck, der den Mainzer Kardinal immer besonders geschmerzt hat - bleibt ihnen fürs Erste erhalten.

Der Neue

Robert Zollitsch wurde am 9. August 1938 in Philippsdorf (Filipova) im ehemaligen Jugoslawien geboren. Nach Flucht und Vertreibung wuchs er in Tauberbischofsheim auf.

Nach seiner Promotion 1974 war Zollitsch neun Jahre in der Priesterausbildung tätig. Danach wirkte er fast 20 Jahre als Personalreferent des Erzbistums Freiburg. Seit 2003 ist Zollitsch Erzbischof von Freiburg, des zweitgrößten deutschen Bistums.

In der Bischofskonferenz hatte er seit 2004 den Vorsitz in den Gremien des "Verbands der Diözesen Deutschlands", der als rechtlich selbstständiger Verein die finanziellen und rechtlichen Belange der Bistümer wahrnimmt.

Der neue Vorsitzende gilt als pragmatisch. Theologisch vertritt er gemäßigte bis liberale Positionen. So hält er eine Reform des Zölibats für möglich. An die Stelle einer Verpflichtung aller Priester zur Ehelosigkeit könnte die freiwillige Übernahme dieser Lebensform treten. (jf)

KOMMENTAR
Ein Hirte für den Übergang


von Joachim Frank Die katholischen Bischöfe haben in Würzburg ein Kabinettstück vollbracht: eine Richtungswahl ohne Richtung. Robert Zollitsch, ihr neuer Vorsitzender, ist erkennbar nicht der Mann, der die deutsche Kirche neu positionieren soll - weder theologisch noch politisch. Vielmehr werden von ihm eine ordnende Hand in der Phase des Übergangs zur "Nach-Lehmann-Zeit" erwartet und eine unauffällig-unspektakuläre Amtsführung.

Das Gegenteil hätten die Bischöfe bekommen, wenn sie den neuen Münchner Erzbischof Reinhard Marx gewählt hätten. Der katholische Zampano steht für eine selbstgewisse, unverdrossene, kraftstrotzende Kirche, die sich im Fingerhakeln mit allen Kräften der Gesellschaft jederzeit zu behaupten versteht. Weil Marx sich auch noch gut verkaufen kann, trägt ihm das viele Sympathien ein - nicht zuletzt aus dem konservativen Lager, das sich von Lehmann nie angemessen vertreten sah. Genau diese Kehre in Stil und Inhalt haben die Bischöfe mehrheitlich gescheut. Das zeigt: Die Frage nach dem richtigen Weg in die Zukunft ist selbst in der Kirchenführung offen.

JOACHIM FRANK

Zuletzt geändert am 13­.02.2008