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Veröffentlicht am 14­.02.2008

14.2.2008 - Donaukurier

Ein Poet zwischen Mystik und Revolution

Ingolstadt/Eichstätt (DK) Für die einen war er eine Ikone der linken Kirche, ein radikaler Vertreter der Befreiungstheologie: Ernesto Cardenal, Dichterpoet und Priester aus dem mittelamerikanischen Nicaragua. Er sang das Hohe Lied der Revolution und kämpfte in den 70er Jahren auf der Seite der "Sandinistischen Befreiungsfront" (FSLN) gegen das Unterdrückungsregime von Diktator Somoza.

Bild: Hat nicht an Leuchtkraft verloren: Der lateinamerikanische Befreiungstheologe Ernesto Cardenal schreibt gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung in der Welt an. - Foto: Ingenthron Als der Papst 1983 den Dom in Managua besuchte, erhob Cardenal die Faust und rief: "Viva la revolucion", keine zwei Jahre später suspendierte ihn der Vatikan vom Priesteramt.

All das ist lange her. Seit fast zwei Jahrzehnten ist es still geworden um den Kämpfer für eine bessere Welt. Doch seine Art, die Welt zu sehen und mutig für eine Verbesserung der Verhältnisse einzutreten, hat offensichtlich nicht an Leuchtkraft verloren. Das konnte man diese Woche in Ingolstadt und Eichstätt erleben, wo der heute 83-jährige Cardenal im Rahmen seiner Deutschlandtour Lesungen hielt.

Ein kleiner, zierlicher Mann in Jeans und weißem Poncho steht plötzlich vor der Menge. Ein kurzer Blick, ein Winken und schon sitzt er am Rednerpult und liest aus seinem Werk, in dem er alles beieinander lässt, was zusammengehört: die Religion, die Politik und die Liebe. Seine frühen Liebeslieder sind politisch, seine "Psalmen" erotisch und seine späteren Gedichte fast prophetisch.

"Eine Legende", sagt Siegfried Hofmann mit sentimentalem Gesichtsausdruck in Ingolstadt. Der 78-jährige Historiker ist nach wie vor fasziniert von der charismatischen Persönlichkeit, die auch nach so vielen Jahren nichts an "Wahrhaftigkeit" eingebüßt habe.

"Pseudo oder echt", solche Fragen interessieren auch die Schüler am Gabrieli-Gymnasium in Eichstätt, wo die einzige Lesung für Jugendliche auf Cardenals Reise stattfand. "Ich finde interessant, wie er die Kirche und den Kommunismus vereinbart", sagt der 16-jährige Kilian. Er könnte ein Enkel Siegfried Hofmanns sein.

Cardenals Aussagen wirken ansteckend. Die vitale, lebensbejahende Sprache, in der der Dichter das Bestehende kritisiert, und wie er Anklage gegen Ungerechtigkeit, Unterdrückung und Lüge erhebt, fasziniert Generationen übergreifend.

Walter Buckl, der Religionslehrer, der die Autorenlesung am Gabrieli-Gymnasium initiiert hat, war während seiner Schulzeit in den 70er Jahren auf die Befreiungstheologie gestoßen. "Zerschneide den Stacheldraht", hieß das Büchlein, das sein damaliger Religionslehrer ihm auslieh. Zur Lesung ist natürlich auch dieser gekommen. Stolz zeigt er das Büchlein her.

Ob Kirche heute nicht das Gegenteil von dem sei, wie Jesus sie gemeint habe, will der Schüler Manuel wissen. "Es gibt überall auf der Welt zwei Kirchen", sagt Cardenal. "Eine, in Rom, die andere, die mit den Armen, den Ausgebeuteten und den Unterdrückten sympathisiert. Sie wissen, welche die Richtige ist." Seine Vortragstexte zieht der Befreiungstheologe aus einer Stofftasche, auf der "Wir sind Kirche" aufgedruckt ist. Aber das sei nur Zufall, sagt er.

Cardenal geht es nicht nur um eine Demokratisierung der Kirche. Seine Thesen sind radikaler. Das Evangelium gebe Armut vor, sagt er. "Was ich zu viel habe, verteile ich." Spenden aus den Lesungen gehen an den Wiederaufbau von Solentiname, eine christliche, klosterähnliche Kommune, die von den Militärs des Diktators Somoza zerstört wurde.

Von Gabriele Ingenthron

Zuletzt geändert am 27­.02.2008