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Veröffentlicht am 23­.09.2007

23.9.2007 - inforadio rbb

Umstrittene Wahrheit

Wiederholung: 16.03.2008

Eine Akte bei den Nachfolgeorganen der Inquisition hat er seit seiner Doktorarbeit in katholischer Theologie – und doch versteht er sich als Mann der Mitte, nicht etwa als Rebell: der Schweizer Theologe Hans Küng. An der Universität Tübingen prägte er seit den 60er Jahren die Reformdebatte in der katholischen Kirche. Mit großem publizistischem Erfolg, aber auch mit dem Entzug der katholischen Lehrerlaubnis als Konsequenz. Hans Küng erinnert sich an vergangene und neue Kämpfe – und an seinen berühmten Kollegen, Zeitgenossen und späteren Gegner: an Joseph Ratzinger, den jetzigen Papst Benedikt XVI.

Um die Wahrheit soll es in dieser Sendung gehen, um die Beharrungsmacht der ältesten Institution der Welt und um die besonderen Energien, die daraus erwachsen, dass man als Schweizer geboren wurde. Hans Küng, Theologe, im Gespräch mit Kirsten Dietrich.

Das Gespräch im Wortlaut:

Kirsten Dietrich: Ihre Biographie kann man, wie ich finde, unter zwei Aspekten lesen. Da ist einmal der produktive Theologe, der zunächst Professor für katholische Dogmatik an der Universität Tübingen war, dann Leiter des Instituts für ökumenische Forschung - das ist die universitäre Seite. Die andere Seite ist die kirchenkritische: Sie waren ständiger Gast auf der Tagesordnung der päpstlichen Inquisition, später der Nachfolgebehörde, Sie sind geprägt vom reformerischen Schwung des Zweiten Vatikanischen Konzils Mitte der 60er Jahre, dann ausgebremst von der Restauration in der römischen Kurie, bis es Ende 1979 schließlich zum Bruch kam und zum Entzug der kirchlichen Lehrerlaubnis. Welcher Titel ist Ihnen der liebere: der Professor oder der Kirchenkritiker?

Hans Küng: Nun ja - Kirchenkritiker ist ja nun kein Beruf, insofern denke ich gar nicht dran, mir diesen Titel zuzulegen. Ich bin Professor der Theologie, ich bin bis heute zwar emeritiert, aber nach dem Status des Universitätsgesetzes nach wie vor berechtigt, Vorlesungen zu halten - ich habe jetzt auch immer wieder gehalten. Das ist mein Beruf und ich bin stolz darauf, Professor der Theologie zu sein.

Dietrich: Trotzdem - wenn der Name Hans Küng fällt, denkt man automatisch an den Kirchenkritiker Küng.

Küng: Das war aber eine Folgeerscheinung. Ich habe meine Dissertation 1957 über den großen reformatorischen Theologen Karl Barth gemacht und habe allerdings seither schon in der heutigen Glaubenskongregation - damals noch Sanctum Officium, der Heiligen Inquisition - eine Protokollnummer, 39957i, aus dem Jahr 1957 das 399. Dossier der Indexabteilung, dem Index der verbotenen Bücher. Aber ich bin den ersten Jahren doch noch gut durchgekommen und ich habe mich natürlich gefreut - das habe ich im ersten Band meiner Memoiren dargelegt - als ich damals in der Zeit von Papst Johannes XXIII. wirken konnte und da noch den jungen Präsidenten John F. Kennedy als katholischen Präsidenten auf meiner Seite hatte. Ich hatte ihn im Weißen Haus begrüßen dürfen - da war das natürlich wunderbar. Ich bin sozusagen nicht zur Opposition geboren - ich habe es da eher ein wenig mit Thomas Mann, der sagte, an sich würde er lieber repräsentieren als opponieren. Aber wenn es einem aufgezwungen wird, muss man es natürlich machen.

Dietrich: Sie schildern in Ihren Memoiren im zweiten Band einen Zeitraum von gut zehn Jahren - die Nachwehen des Konzils und den Auf- und Umbruch der 68er bis zum Bruch mit Rom. Es ist alles ganz plastisch und sehr detailliert. Ist das für Sie eine Zeit, die noch wirklich auch eine lebendige Zeit für Sie jetzt, für den heutigen Hans Küng noch wichtig ist?

Küng: Ja, ja - das ist eine ganz lebendige Zeit. Es gibt ja auch Kapitel, die wieder neue Brisanz bekommen haben. Ich habe ja auch über das Jahr 1968, die 68er, geschrieben - das sind alles sehr präsente Dinge - und natürlich sind auch die Fragen der Kirchenpolitik sehr präsent, weil es sich im Grunde zeigt, gerade nach den neuesten negativen Äußerungen der Glaubenskongregation in Rom über die anderen christlichen Kirchen, dass das, was schon 1965, 1968, 1970 in der Debatte um meine Theologie geäußert wurde, von Rom und auch von meiner Seite, alles noch brennend aktuell ist. Etwa die Frage, ob protestantische Pastoren nun gültig ordinierte Pfarrer sind und ihre Eucharistiefeiern gültig sind - genau für das habe ich mich damals eingesetzt und viele evangelische Bischöfe vor allem haben das nicht wahrhaben wollen, dass sie nicht einmal gültig ordinierte Pfarrer sind, haben sich vom Papst immer um den Finger wickeln lassen - schon vom Vorgänger - und mussten jetzt neuerdings im Juli diese kühle, bürokratische Äußerung der Glaubenskongregation lesen, dass das eben nach wie vor die römische Position ist. Insofern kann man da verfolgen, wie die Auseinandersetzungen mit größter Intensität schon in den 60er und 70er Jahren geführt wurden.

Dietrich: Ich würde gerne noch ein bisschen in der Zeit bleiben und Sie fragen, ob Sie sich heute noch ungerecht beurteilt fühlen, wenn Sie zum Beispiel betonen, dass eigentlich ja keiner Ihrer Gegner damals beispielsweise die Thesen zur Unfehlbarkeit, wie Sie sie vertreten, widerlegen konnten und trotzdem aber das Urteil darüber gefällt wurde?

Küng: Ich glaube, es ist aus der Debatte klar geworden und es gibt darüber einen großen Bilanzband, der klar zeigt, dass niemand einen Beweis geliefert hat, dass der Papst oder das Episkopat in einer bestimmten Situation aufgrund eines besonderen Beistands des Heiligen Geistes keinen Fehler machen kann. Das ist einfach mal eine Definition des ersten Vatikanischen Konzils 1870 gewesen, die deutschen Bischöfe sind damals abgereist, wie die meisten französischen, weil sie das unmöglich fanden diese ganze Definition der Unfehlbarkeit des Papstes. Aber man hat das damals buchstäblich durchgepeitscht und es blieb eben eine offene Frage. Und auch jetzt ist das immer noch nicht erledigt und insofern sehe ich die Vorwürfe an meine Adresse als unberechtigt an. Ich habe das Recht, eine Anfrage zu stellen und die habe ich gestellt, und sie ist bisher nicht beantwortet worden.

Dietrich: Woran lag das, dass diese Kommunikation trotz guter Dokumentation so gescheitert ist, oder gar nie zustande kam?

Küng: Das ist ja nicht nur eine Frage der Wahrheit, das ist auch eine Frage der Macht. Die Fragen, die man früher hatte in der alten DDR mit Moskau, die waren ja auch ähnlich, da war ja auch klar, was das alles im Grunde für Anfragen bestanden. Man hätte damals sich schon zur Marktwirtschaft äußern können, aber das war ein Dogma, dass das die falsche Wirtschaftsordnung ist, und so meinen eben manche Leute im Vatikan noch immer, es müsse die römische Kirchenordnung sein, die auch nicht vom Evangelium herkommt, sondern die sich damals im 11. Jahrhundert mit der Revolution von oben, die Gregorianische Reform Gregors VII. und seine Nachfolgern, eingeführt wurde. Und wir leiden immer noch unter diesem Absolutismus des Papstes, der es damals realisieren konnte, wir leiden immer noch unter dieser Überordnung der Klerus, über das Laientum in einer Weise, wie es das im ersten Jahrtausend auch nicht gab, und wir leiden immer noch unter dem Zölibatsgesetz, das auch im 11. Jahrhundert eingeführt wurde. Insofern geht es da um Auseinandersetzungen, die nicht nur mit Wahrheit zu tun haben, sondern auch mit Macht. Mein Buch heißt "Umstrittene Wahrheit", aber ich mache deutlich, dass dieser Kampf um die Wahrheit doch von Seiten des römischen Systems auch ein Kampf um die Erhaltung dieser Macht, die es besitzt, ist.

Dietrich: Das Problem ist die römische Kurie, dieser Machtapparat.

Küng: Die römische Kurie - aber nicht nur die Kurie - ist das Zentrum, es ist ein ganzes System, in das auch die Bischöfe eingebunden sind. Ich unterscheide immer zwischen der katholischen Glaubensgemeinschaft, deren Mitglied ich bin, ich bin nach wie vor ordinierter Priester - ich habe auch jetzt in meiner Schweizer Heimat die Eucharistiefeier mit meiner Gemeinde gefeiert an den vier Sonntagen im August - das bejahe ich alles. Was ich aber nicht bejahe, ist dieses autoritäre System, wo ein einziger Mann in der Kirche faktisch entscheiden kann, ob die Priester heiraten können oder nicht. Wenn man sieht, dass die Seelsorge zunehmend verrottet, dass die Gemeinden austrocknen, weil wir keine Pfarrer mehr haben, dass Seelsorgestrukturen, die durch Jahrhunderte aufgebaut wurden, zusammenbrechen, wird man doch fragen, ist das jetzt wirklich das richtige System, das wir da haben. Das römische System ist ein historisches Produkt des Mittelalters, es ist in der Reformation durchgehalten worden gegen die Opposition der Reformatoren, es hat sich dann in Stellung gebracht gegen die Moderne, es hat bis heute Probleme, sich mit der Aufklärung abzufinden und da geht der Kampf für ein wahres Christentum im Sinne des Neuen Testaments, der großen katholischen Tradition des ersten Jahrtausends, gegen ein mittelalterlich gegenreformatorisches, antimodernes System.

Dietrich: Von dem jetzigen Papst Benedikt XVI. sind Sie, als er noch als Joseph Ratzinger und Kardinal wirkte, als unkatholisch bezeichnet worden, als es um die Auseinandersetzung um Ihr Buch "Christ sein" ging in der Mitte der 70er Jahre.

Küng: Das war damals eine Szene, wo er plötzlich beim Papst in Audienz gewesen war mit anderen Kardinälen zusammen, und da hat er plötzlich angefangen zu tönen, ich sei nicht katholisch bzw. ich lege keinen Wert auf die kirchliche Lehrbefugnis. Ich habe sofort öffentlich protestiert, ihm auch geschrieben deswegen, hatte gedacht, das sei in Ordnung, aber ich bin dann wenige Wochen nachher doch überfallen worden in einer Nacht- und Nebelaktion durch den Entzug der Lehrbefugnis - das habe ich ja nun eingehend geschildert, wie das alles generalstabsmäßig vorbereitet wurde, wie das da durch ein ganzes Jahrzehnt mit hin und her, mit Briefen und Einladungen und Vorladungen und Gesprächen.

Dietrich: Beeindruckt hat mich sehr, dass Sie irgendwann einmal ein Telegramm geschrieben haben: "Leider verhindert, Brief folgt". Ich dachte, nicht schlecht, wenn man der Inquisition solche Telegramme schreiben kann -

Küng: - Ja nun, ich komme aus der Schweiz und da ist man nicht gewohnt, sich vor Gesslerhüten zu verneigen, und ich ließ mich nicht in der damaligen Situation so hoppladihopp einfach in Rom vorladen. Ich hätte da mitten im Semester gehen sollen, innerhalb von wenigen Tagen, und da habe ich gedacht, die müssen schon mal lernen, wie sie mit den Leuten umzugehen haben, und das Einfachste war damals ein Telegramm. Den im Telegramm angekündigten Brief habe ich dann auch geschickt, aber noch drei Wochen gewartet, damit die merken, dass es so einfach nicht geht. Man darf auch in der katholischen Kirche ein Selbstbewusstsein haben, das schließt Bescheidenheit nicht aus - im Gegenteil, ich bin auf meine Weise sicher ein bescheidener Mensch geblieben, bis heute, aber ich weiß auch, dass ich mich nicht zu versklaven brauche und ich bin kein Hoftheologe, den man nur so heranpfeifen kann, ich war Professor dieser Universität in Tübingen und habe meine Aufgabe und bin da nicht der Untergeordnete, der sich einfach nach Rom zitieren lassen muss hoppladihopp.

Dietrich: Sie erwähnen, dass Sie als Schweizer vielleicht etwas aufmüpfiger sind als wir Deutschen. Ist das Schweizer-Sein die geheime Kraftquelle, die Ihnen den Schwung zum Durchhalten gibt?

Küng: Ich gehöre nicht zu denen, die ihre Nation besonders herausstellen. Es ist hier allgemein bekannt, dass ich Schweizer bin, aber ich habe nie je einen Schweizer Verein mitgemacht und Soldaten liebe ich nicht, aber ich habe immer gesagt in der Tradition von Wilhelm Tell, dass man sich nie vor Gesslerhüten zu beugen habe, auch wenn sie von Bischöfen getragen werden - das gehört schon zu unserer Tradition, und ich bin in einem freien Land aufgewachsen und man war dort gewohnt, doch ein wenig offener zu reden. Ich habe auch schon sehr viel in meinem ersten Band geschrieben, was mir die Landschaft bedeutet, und auch jetzt wieder - ich komme ja gerade wieder zurück vom Sempacher See, wo damals die Schlacht bei Sempach war und die Figur des Winkelried, der damals sich immer für die Seinen in die Schlacht geworfen hat, um die Speere zu empfangen, damit die Eidgenossen die Habsburger schlagen konnten.
Das sind schöne - ob nun ganz historisch oder nicht - Sagen, aber immerhin: Sie haben mich schon als Jugendlichen geprägt und ich habe die politische Freiheit in der Zeit des Nationalsozialismus erfahren, und ich habe nachher die Freiheit im Collegium Germanicum in Rom in kirchlichen Dingen erkämpfen müssen, ich habe sie im Konzil in der Theologie durchgefochten usw. Also, dieses Pathos der Freiheit ist schon etwas, was mir von der Nation her zukommt, aber was ich in erster Linie als christliche Tugend sehe. 'Die Freiheit eines Christenmenschen' eine der größten Schriften von Martin Luther ist immerhin eine ganz grundlegende Sache, die eigentlich den evangelischen Freimut, paräsia heißt das auf Griechisch, doch erfordert. Warum kann nicht mal ein Bischof heute dem Papst ins Angesicht widerstehen - das sind Dinge, wo wir weit weg vom Ursprung gekommen sind und da zu einer Fürstenstaat- und Hofmentalität gekommen sind.

Zuletzt geändert am 05­.05.2008