19.5.2008 - Domradio
Die linken Frommen. 1968 war auch der Katholikentag rebellisch
Ältere erzählen gelegentlich noch davon, wehmütig oder schmunzelnd. „Hengsbach, wir kommen, wir sind die linken Frommen“, skandierten „kritische Katholiken“ am Abend des 4. September 1968. Schon bei der Auftaktkundgebung des Essener Katholikentags vor 40 Jahren war klar, dass es munter werden würde. Der gastgebende Ortsbischof Franz Hengsbach reagierte auf die Rufe in der Grugahalle: „Wenn Sie nicht nur links sind, sondern wirklich fromm, sind Sie wirklich herzlich willkommen.“
Im unruhigen Jahr 1968 geriet das Laientreffen zu einem einzigartigen Moment. „Essen war anders“, bilanzierte das Präsidium des 82. Deutschen Katholikentags im 660-seitigen Dokumentationsband. Und der Journalist Hajo Goertz zog 2006 in einem kurzen Abriss aller Treffen das Fazit: „1968 Essen - in der Geschichte der Katholikentage der turbulenteste.“ Die Zeitungen vom September'68 spiegeln das wieder. „Katholikentag der Rebellion“, titelte die „Welt“ zum Abschluss. Die „Rheinische Post“ sprach vom „1. Protestantischen Katholikentag“. Die „Frankfurter Rundschau“ sah „Die gelungene Einübung des Ungehorsams“, die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ „Schroffere Fronten im Katholizismus“.
Spannungsreicher Sommer
Knapp zwei Wochen vor den Essener Tagen marschierten die Truppen des Warschauer Pakts in die Tschechoslowakei ein. Auch kirchlich war der Sommer 1968 spannungsreich: Auf die Hochstimmung des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-65) folgte die Enzyklika „Humanae vitae“, mit der Papst Paul VI. faktisch die Pille verbot, und - gerade noch rechtzeitig vor Essen - die distanzierte Antwort der deutschen Bischöfe, die „Königsteiner Erklärung“. Die Studentenproteste hatten auch die universitäre Theologie getroffen. So gehört zur Biographie von Joseph Ratzinger - Papst Benedikt XVI. - das Schockerlebnis, das seine Vorlesung in Tübingen gesprengt wurde. Bei Vorbereitungstreffen der „Basis“ von Essen lauschte auch die politische Polizei.
„mitten in dieser welt“, lautete das Motto der Tage vom 4. bis 8. September 1968. So ging es den Teilnehmern längst nicht nur um Sexualmoral und Demokratie in der Kirche - mit Transparenten wie „sündig statt mündig“, „gehorsam und neurotisch“ oder „alle reden von der Pille - wir nehmen sie“. Heftig debattierten sie auch Fragen der Familienpolitik, das Verhältnis der Kirche zum Staat, die Rolle von Bundeswehr und Militärseelsorge, weltweite Gerechtigkeit, die Lage der Arbeitswelt, Bildung und Demokratie. Gelegentlich nahmen junge Leute auch gleich mal die Plätze an den Mikrofonen auf dem Podium ein.
Essen bot auch anderes Neues. Den lautesten Beifall erhielten die protestantischen Gäste. Das Treffen gab Impulse für das ökumenische Gespräch der Laien, es sorgte auch dafür, dass fürderhin bei Katholikentagen auch Katholiken und Juden miteinander redeten. Bischöfe mischten sich unters Volk, allen voran der Vorsitzende Julius Döpfner. Als Neuerung gab es eine - im Straßenverkauf erfolgreich angebotene - Katholikentagszeitung „K'68 - Aktuell“ (Auflage zum Abschluss 200.000), und weil die „kritischen Katholiken“ konterten, gab es gleich zwei. Erstmals überhaupt gab es ein Podium zur Rolle katholischer Christen in den Gewerkschaften.
„Diese Tage haben die erstrebte Konfrontation gebracht“
„Dieser Katholikentag sollte uns deutschen Katholiken öffnen für die Sorgen und Nöte dieser Welt“, sagte Katholikentags-Präsident Bernhard Vogel zum Abschluss vor 100.000 Zuhörern. „Diese Tage haben die erstrebte Konfrontation gebracht. Offen und ehrlich, oft hart und unerbittlich, leidenschaftlich und mitunter mitgerissen von der Heftigkeit vorgetragener Argumente, haben wir miteinander gearbeitet.“ Unter Deutschlands Katholiken herrschten „nicht trügerische Stille, nicht müde Weltabgewandtheit, nicht träges Beharren, sondern Wachheit, Aufbruch und der energische Wille“ zum Engagement für Frieden, mit Menschen und Kirche.
Ein „Nationalkonzil“ hatten Tausende Essener Diskussionsteilnehmer in Resolutionen verlangt. 1970 begann die Würzburger Synode der Bistümer in der Bundesrepublik. Schon 1969 hatten sich die basiskirchlichen und Solidaritätsgruppen zusammengeschlossen. Vergangene Woche hockten sie - damals meist „kritische Katholiken“, heute zwischen Ruhe- und Unruhestand - in Heppenheim zum Jahrestreffen zusammen. Sie waren Wegbereiter der weit später entstandenen Gruppierungen „Initiative Kirchen von unten“ und „Wir sind Kirche“
. Am Mittwoch beginnt in Osnabrück der 97. Deutsche Katholikentag unter dem Motto „Du führst uns hinaus ins Weite“. Ach ja, eigentlich sollte das Treffen in Essen steigen. Das Ruhrbistum zog in der Planung zurück. Aus finanziellen Gründen.
(Christoph Strack / kna)
Zuletzt geändert am 19.05.2008