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Veröffentlicht am 02­.02.2006

02. Februar 2006 - Rheinischer Merkur

Erstaunliche Wirkung

Wie der Text über die christliche Liebe in Deutschland aufgenommen wurde

Selbst notorische Kritiker der Kirche halten mit ihrer Anerkennung nicht hinter dem Berg. Und quer durch die politischen Lager gibt es Lob für den Papst.

VON RUDOLF ZEWELL

Die Resonanz auf die Veröffentlichung der ersten Enzyklika Papst Benedikts XVI. war weltweit groß, was nicht überraschen kann. Auch in Deutschland sind die Reaktionen überwiegend positiv, selbst in den Kreisen, die sonst römische Dokumente gern reflexartig kritisieren. Der Theologe Hans Küng, vor wenigen Monaten vom Papst im Vatikan empfangen, spricht von einem differenzierten Dokument, das „in sachlichem Stil solide theologische Kost“ über die Liebe biete. Wünschenswert sei nun allerdings ein weiteres Rundschreiben, das von gerechten Strukturen und vom liebevollen Umgang mit allen Gruppen in der Kirche handle, etwa Geschiedenen und Wiederverheirateten oder am Zölibat gescheiterten Priestern.

Im Grunde positiv, aber eben auch mit Einschränkungen – ähnlich wie Küng – begrüßt auch die Reformbewegung „Wir sind kirche“ die neue Enzyklika: „Wenn dies ein Zeichen sein soll, dass Benedikt XVI. in seinem Pontifikat das menschliche Gesicht des Christentums und der römisch-katholischen Kirche hervorheben will, und wenn aus dem Glaubenswächter Joseph Ratzinger jetzt ein Hirte würde, der statt Ge- und Verboten mehr die Liebe und das Vergeben in den Mittelpunkt rückt, so wären dies hoffnungsvolle Zeichen“, sagt Christian Weisner vom „Wir sind kirche“-Bundesteam. Mit dem vielfältigen Begriff der Liebe habe sich der Papst auf schwieriges Terrain gewagt. „Wenn es mit dieser Enzyklika aber gelingen würde, den Weg zu einer positiveren Einstellung zur menschlichen Sexualität zu öffnen, so wäre dies ein zukunftsweisender Schritt für die römisch-katholische Kirche“, sagt Weisner.

Ganzheitliche Sicht

Worum geht es bei dieser Frage, die für nicht wenige Kommentatoren zu den zentralen Passagen dieser Enzyklika gehört? Der Papst argumentiert aus einer ganzheitlichen Sicht heraus: Der Eros, jene Dimension der Liebe, die sich aus der gegenseitigen Anziehungskraft von Mann und Frau ergibt und durchaus „göttliche Raserei“ in sich birgt, bedarf eines Korrektivs. Das geschieht durch die christlich verstandene Liebe, die Agape. Eros und Agape, „begehrende“ und „schenkende“ Liebe, lassen sich niemals voneinander trennen.

In seinen Erläuterungen der Enzyklika vor der Presse in Mainz ist Karl Kardinal Lehmann auf diesen Zusammenhang eingegangen: „Dies führt zur Überzeugung, dass die Liebe im Letzten eine einzige Wirklichkeit ist, aber sie hat verschiedene Dimensionen. Wenn diese auseinander fallen, entsteht eine Karikatur oder eine Kümmerform von Liebe. Damit ist zum Ausdruck gebracht, dass die Liebe immer einen personal orientierten Charakter haben muss. Sonst ist der Eros in Gefahr zu entarten.“

Die Resonanz aus der Politik auf die Enzyklika fokussierte verständlicherweise auf den zweiten Teil des Lehrschreibens, in dem es weniger um philosophische und theologische Fragen im Zusammenhang mit Liebe ging, sondern mehr um die tätige Liebe des Christen sowie um die karitativen und diakonischen Dienste. Für Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse entfaltet das päpstliche Rundschreiben in großer Behutsamkeit das Verhältnis von Nächstenliebe und Gerechtigkeit. Es sei verpflichtende Aufgabe des Staates, für Gerechtigkeit zu sorgen; daran mitzuwirken sei Sache der Christen. Der Sozialdemokrat äußert seine Freude darüber, dass der Papst Vorurteile wie Strenge und Konservativismus ganz und gar nicht bestätige.

Der kirchenpolitische Sprecher der Grünen-Fraktion, Josef Winkler, nannte die Enzyklika eine „Antwort auf die zunehmende Ellenbogenmentalität unserer Gesellschaft“. Die Kirche werde aber selber umso glaubwürdiger, je stärker sie die bedingungslose Nächstenliebe auch gegenüber ihren Kritikern praktiziere.

Einfache Botschaft

Anerkennung für das Rundschreiben kommt auch von den Freien Demokraten. Hans-Michael Goldmann, kirchenpolitischer Sprecher der FDP, sieht darin das „menschliche Antlitz“ der Kirche. Die Liebe werde in allen Facetten als gottgewollt und damit auch als positiv dargestellt. Auch die sexuelle Liebe gelte nun als Ausdruck der von Gott gegebenen Fähigkeit zur Liebe. Kritisch bewertete Goldmann allerdings die Bindung sexueller Liebe an die Ehe, wie die Enzyklika unmissverständlich fordert.

Der grundsätzlich positive Impetus bei der Bewertung der Enzyklika hat seinen Grund nicht nur in ihrer Thematik und in ihrem Stil, sondern auch in der Erwartungshaltung einer kritischen Öffentlichkeit gegenüber diesem Papst. Kardinal Schönborn hat dies in einem Interview mit Radio Vatikan pointiert skizziert. Der Wiener Erzbischof sieht darin „eine neue Dimension“ in Joseph Ratzingers Leben: „Er war 23 Jahre lang damit beschäftigt, dass sozusagen alles Negative, was es in der Kirche gibt, auf seinen Tisch kommt, alle Irrlehren und Irrwege. Man könnte eigentlich erwarten, dass jemand, der so viel Negatives bearbeiten muss, skeptisch, vielleicht sogar zynisch wird oder auf jeden Fall zumindest sehr pessimistisch über den Menschen, über die Kirche, über die Situation der Welt denkt. Und, siehe da – eine grundpositive Botschaft: Wir glauben an die Liebe und wir glauben daran, dass die Liebe siegreich bleibt.“

Dass die erste Enzyklika Benedikts XVI. eine so positive Resonanz gefunden hat, wertete Kölns Erzbischof Joachim Kardinal Meisner als gutes Zeichen: „Es erweckt den Anschein, als ob die Menschen auf den Inhalt dieser Enzyklika schon lange gewartet hätten, und in der Tat gibt es keine einfachere und tiefere Botschaft für den Menschen als diese Anfangsworte der Enzyklika, die zugleich ihren Inhalt treffend wiedergeben: „Gott ist die Liebe, und wer in der Liebe bleibt, bleibt in Gott“ (1 Joh 4,16).

Zuletzt geändert am 09­.05.2006