26.5.2008 - Süddeutsche Zeitung
Katholiken feiern Horst Köhler
Osnabrück – Robert Zollitsch, der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, hat das zunehmende Anspruchsdenken in Deutschland kritisiert. „Wir sind in Gefahr, eine Gesellschaft zu werden, in der sich mehr und mehr eine Versorgungsmentalität breitmacht”, sagte der Freiburger Erzbischof zum Abschluss des 97. Deutschen Katholikentages vor etwa 25 000 Zuhörern im Osnabrücker Sportstadion. Ein Leben auf Kosten anderer könne aber vor Gott nicht bestehen. Die Christen rief er dazu auf, nicht wegzuschauen, „wenn Unrecht und Gewalt ihr menschenverachtendes Gesicht zeigen, wenn Liebe, Hoffnungen und Lebenspläne zerbrechen.” Zu den Strukturreformen in der katholischen Kirche sagte Zollitsch, es gehe nicht darum, eine Kirche „am Reißbrett pastoraler Konstruktionsbüros” zu entwerfen, sondern darum, den Menschen nahe zu bleiben. Zum Katholikentag nach Osnabrück kamen insgesamt 60 000 Menschen; Teilnehmer lobten die fröhliche und entspannte Atmosphäre.
Am Samstag besuchte Bundespräsident Horst Köhler das Treffen, es war der erste öffentliche Auftritt nach seiner Ankündigung, sich zur Wiederwahl zu stellen. Zum Podium „Damit die Zukunft demokratisch bleibt” empfingen ihn 3000 Katholikentagsbesucher mit minutenlangem Applaus. Köhler lobte die „enorme Erfolgsgeschichte der deutschen Demokratie; diese Demokratie müsse aber lebendig gehalten werden. Der Präsident forderte „neue, strengere Regeln der Finanzaufsicht”; zu viel stehe auf dem Spiel, wenn die Finanzmärkte außer Kontrolle gerieten. Er kritisierte, dass Deutsche und Europäer im Handel mit Afrika keine fairen Preise zahlten und warnte davor, in der Menschenrechtsdebatte mit China „Unmögliches zu verlangen”.
Im Verhältnis von Katholiken und Protestanten mahnte der ehemalige Vorsitzende der Bischofskonferenz, der Mainzer Kardinal Karl Lehmann, zu Geduld; er hoffe, dass die Vorbereitung auf das Reformations-Jubiläum im Jahr 2017 neue Impulse bringen werde. Hans Joachim Meyer, der Vorsitzende des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), sagte, auf den 1200 Veranstaltungen des vom ZdK getragenen Treffens seien alle heißen Eisen der politischen und innerkirchlichen Debatten angefasst worden. Dem widersprach die Kirchenvolksbewegung „Wir sind Kirche”: Es sei zwar ein „erfrischender und jugendlicher” Katholikentag gewesen, notwendige Kontroversen seien aber ausgeblieben.
Matthias Drobinski
Zuletzt geändert am 25.05.2008