13.6.2008 - Publik-Forum
Wenn die Probleme auf den Nägeln brennen
Von Hartmut Meesmann Ein Wort macht auf dem Katholikentag Karriere. Es lautet: brennen. Es taucht immer wieder dort auf, wo die ungewisse Zukunft der katholischen Kirche in Deutschland zur Debatte steht. Zum einen »brennen« im Erleben vieler Katholiken die Probleme auf den Nägeln: der Schwund des Christlichen in der Gesellschaft; die abnehmende Zahl der Kirchenmitglieder; die leerer werdenden Kirchenkassen; die angesichts des Priestermangels von oben verordneten Fusionen von Pfarrgemeinden zu regionalen Räumen, die für böses Blut sorgen; der damit verbundene Abbau synodaler Strukturen der Mitverantwortung und Mitsprache; das Ausbleiben von Reformen.
Im Kirchenvolk ist Verunsicherung zu spüren, auch Verbitterung und Resignation, aber bei vielen auch die Offenheit für Neues und eine ehrliche Glaubenszuversicht. Diese Zuversicht erhält in Osnabrück neue Nahrung. »Wofür brennen wir?«, fragt ein Mann in einer Open-Space-Werkstatt zur Zukunft der Volkskirche: »Wächst in uns angesichts der Krise eine neue Leidenschaft für Kirche und Glaube?« Oder, wie es der Regens des Hildesheimer Priesterseminars, Christian Hennecke, auf der Veranstaltung »Ist die Kirche noch zu retten?« formuliert: »Fragen wir uns eigentlich, was Gott uns mit dieser herausfordernden Situation sagen will?« Bei vielen Katholiken - im Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK), in den Verbänden, den Orden, auch in den Gemeinden, in den Gruppen der Kirchenvolksbewegung Wir sind Kirche und der Initiative Kirche von unten (IKvu) ist diese Leidenschaft durchaus zu spüren. Man will nicht jammern, sondern die Zukunft offensiv gestalten.
Das ZdK setzt sich in einer programmatischen Erklärung, die zum Katholikentag verabschiedet wurde, für eine »Pastoral der Weite« ein: Die Kirche müsse sich an der Lebenswelt der Menschen orientieren, sich sensibel auf die unterschiedlichen gesellschaftlichen Milieus ausrichten und von den Menschen, die nicht in der Kirche sind, lernen (siehe Kasten). Dies ist eine klare Positionsbestimmung. Sie wendet sich gegen jene - auch im ZdK selbst -, die sich bereits im Besitz der Wahrheit wähnen, der »Welt« nichts Gutes zutrauen und sich daher als kleine Herde eher von der gottlosen Welt abschotten möchten. Das ZdK bezieht damit im Streit um das sogenannte »Kerngeschäft« der Kirche Stellung.
Wozu ist die Kirche eigentlich da? Der in Graz lehrende Pastoraltheologe Rainer Bucher gibt auf der Diskussionsveranstaltung mit dem bezeichnenden Titel »Kirche zwischen Chaos und Kairos« eine klare Antwort: »Das Evangelium dieser Welt zu erschließen, indem sie es von den Menschen dieser Welt her entdeckt - dieses Entdeckungsgeschehen ist das Kerngeschäft der Kirche.« Ihre Aufgabe sei es, »Evangelium und Existenz kreativ miteinander ins Spiel zu bringen« und möglichst viele Orte zu schaffen, wo dies gelingen könne. »Kirche für andere«, heißt das Schlagwort, das der Erfurter Philosoph Eberhard Tiefensee zu dem Motto »Kirche mit anderen« erweitert: »Eine Gemeinde« - man kann ergänzen: eine Kirche -, »die sich der Konfrontation mit anderen Le benswelten stellt, wird erfahrungsgemä. in der Regel nicht schwächer, sonderi stärker«, so Tiefensee.
Doch zu dieser Offenheit kommt nur wer sieht und anerkennt, dass Menschen in und außerhalb der Kirche immer auch spirituell-religiös Suchende sind und de Dialog mit ihnen somit für die Kirche nich nur sinnvoll, sondern lebens- und glaubensnotwendig ist. Dabei lenkt die Vision einer »Kirche der Armen«, wie sie die lange Jahre in Peru tätige Pastoralarbeiterin Christy Orzechowski auf der Veranstaltung »Segel setzen - Flagge zeigen« (getragen von der Initiative Kirche von unten und der Leserinitiative Publik) engagier vorträgt, den Blick noch einmal in eine besondere Richtung: vor allem die Notleidenden und Benachteiligten in den Blicl zu nehmen. »Wenn die Bibel in den Gemeinden mehr gelesen würde, träte ein~ solche Kirche deutlicher ins Blickfeld« gibt sich Orzechowski überzeugt. Zumindest erwüchse der Kirche die klare Aufgabe, eine eindeutige moralische Instanz gegenüber einer »inhumanen und anarchischen Wirtschaft« zu sein, wie dies de: CDU-Politiker Heiner Geißler auf derselben Veranstaltung mit Blick auf Jesu An liegen vehement einklagt.
Die katholische Kirche in Deutschland steht vor einem grundlegenden Wandel Traditionelle Strukturen vergehen, neu( müssen entstehen. Dies ist die klare Botschaft, die das ZdK (durchaus gegen inter ne Widerstände) den Besuchern des Katholikentages näherzubringen versucht Kirche als Netzwerk vieler unterschiedlicher Gruppen, Initiativen und Orte - da: ist die Vision. Sie ist zugleich ein Bekenntnis zur Vielfalt. Eine milieuverengte Pfarrgemeinde verliert dabei an Stellenwert; als »geschlossene Gesellschaft« hat sie keine Zukunft mehr. Zugleich wird sie von denen verteidigt, die eine christliche Gemeinschaft am Ort für unaufgebbar halten. Der Theologe Johann Pock spricht vielen aus dem Herzen, als er betont, Großgemeinden stimmten nicht mit dem Wunsch vieler Menschen überein, kleine und überschaubare Glaubensorte zu haben. Hier sehen denn auch die kleinen christlichen Gemeinschaften ihre Chance, insbesondere Erwachsene neu für den christlichen Glauben zu gewinnen und gerade auch solche Menschen ansprechen zu können, die ihren Glauben entschiedener und mit anderen zusammen leben möchten - und die es zunehmend auch gebe, so Christian Hennecke.
Auch wenn viele Katholiken noch verunsichert sind und dem Alten nachtrauern - die Debatten in Osnabrück über die Zukunft der Kirche lassen deutlich erkennen, dass der Wille, als Kirche ganz neue Wege zu gehen, da ist. Dabei scheuen immer mehr Engagierte auch nicht davor zurück, angesichts der existenziellen Herausforderung die katholische Unterscheidung zwischen Klerus und Laien zumindest stark zu relativieren. Diese Unterscheidung sei zwecklos, wenn sie dem Kerngeschäft der Kirche im Weg stehe, so Rainer Bucher. Diese Unterscheidung müsse zurücktreten, damit Menschen (auch ohne Priester) »das Brot miteinander brechen können«, so der Theologe Hermann Häring unter Verweis auf die Praxis vieler Katholiken in den Niederlanden.
Das ZdK will über diese und andere brennende Fragen ein öffentliches Zukunftsgespräch führen. In der Gemeinsamen Konferenz, in der Vertreter der Bischofskonferenz und des ZdK zusammenkommen, findet die Idee Zustimmung. Doch die Mehrheit der Bischofskonferenz bremst. Zum einen haben diese Bischöfe Angst, dass die alten, ungelösten Probleme auf den Tisch kommen - Zölibat, Frauenordination, Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen -, die man nicht mehr hören mag und für die man sich auch nicht zuständig fühlt; zum anderen sitzt der Ärger bei vielen Bischöfen tief, dass das ZdK in seiner breiten Mehrheit die Arbeit des Schwangerenberatungsvereins Donum vitae unterstützt - gegen den erklärten Willen der Bischöfe. »Man will sich nicht mit uns an einen Tisch setzen«, ist in Osnabrück am Donum-vitae-Stand zu hören.
Aus dem ZdK wiederum ist zu vernehmen, dass man das Zukunftsgespräch auf jeden Fall will. »Den Bistümern fehlt eine gemeinsame Vision«, klagt ZdK-Vizepräsident Heinz-Wilhelm Brockmann. Und seine Kollegin Claudia Lücking-Michel bekennt im Gesprächszelt der Kirchenvolksbewegung offen: »Es ist Feuer unterm Dach!« Im Herbst soll darüber ausführlich debattiert werden. Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, der Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch, soll - so ist zu hören - den Vorschlag gar nicht so abwegig finden. Doch er muss seine skeptischen Mitbrüder überzeugen. Ob das ZdK willens ist und die Kraft hat, ein solches pastorales Zukunftsgespräch in eigener Regie durchzuführen, ist offen. Für die Streiter von Wir sind Kirche und IKvu jedenfalls ist klar: Veränderungen in der Kirche müssen von unten angestoßen werden - besonders, wenn man für den Glauben »brennt«.
> "Für eine Pastoral der Weite" Beschlossen von der Vollversammlung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken am 20./21. Mai 2008 in Osnabrück
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Zuletzt geändert am 14.06.2008