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Veröffentlicht am 24­.05.2008

24.5.2008 - Stuttgarter Zeitung

35 000 Christen und ein Fluss namens Hase

Der Katholikentag weicht der großen gesellschaftlichen Kontroverse aus

Das katholische Kirchenvolk feiert in Osnabrück ein großes Glaubensfest mit Gesang, Gebet und Besinnung. Die politische und kirchenpolitische Auseinandersetzung bleibt da ein wenig auf der Strecke.

Von Michael Trauthig, Osnabrück

Katholikentagsgäste stehen früh auf. Schon um 7.30 Uhr ist die romanische Gymnasialkirche im Zentrum Osnabrücks gut gefüllt. Auf den Kirchenbänken ist ein Querschnitt der frommen Pilgerschar versammelt, die in diesen Tagen die drittgrößte Stadt Niedersachsens bevölkert und dabei den öffentlichen Nahverkehr in die Knie zwingt: Jugendliche mit hellblauen Helfertüchern, schwarz gewandete Nonnen, Menschen mittleren Alters in Zivil. Mancher wirkt graugesichtig. Andere reiben sich den Schlaf aus den Augen. Mit eingängigen Psalmversen singt sich das Publikum wach. Eine meditative Grundstimmung und das alles übergreifende Gemeinschaftserlebnis stellt sich so fast von alleine ein.

„Es ist schön, den Tag so bewusst zu beginnen, während im Alltag die Hetze den Rhythmus bestimmt", sagt hernach Michael Schumann. Das sieht sein Begleiter genauso. Die beiden jungen Männer kommen aus Leipzig, aus dem glaubensfernen Osten also. Kein Wunder, dass die Studenten nun in der niedersächsischen Stadt an der Hase ein neues Lebensgefühl spüren. „Plötzlich gibt es lauter Christen um uns herum, und man zeigt nicht mit dem Finger auf uns", meint Schumann. Ähnlich äußern sich viele der 35 000 Dauerteilnehmer. Sie wollen weniger als in früheren Jahren sofort die Welt verändern als vielmehr für sich etwas mitnehmen, spirituell auftanken, Menschen treffen, Tipps für die Gemeindearbeit holen, Spaß und Entspannung haben, vor allem aber: den eigenen Glauben stärken. Deshalb besuchen Tausende den Fronleichnamsgottesdienst, die Taize-Gebete oder das Geistliche Zentrum. Mag sein, dass sich darin religiöse Sehnsucht spiegelt. Doch auch die Regie der Katholikentagsmacher spielt eine Rolle. Die Verantwortlichen haben nicht nur das Programm großer Diskussionsrunden auf ein Drittel des früheren Umfangs zusammengestrichen, sondern sie stellen bei'den Podien auch selten prominente Vertreter verschiedener Meinungen gegenüber. Dass darunter die Lebhaftigkeit der Debatte leidet, nehmen sie in Kauf. „Der Katholikentag ist kein Ort des politischen Nahkampfs", sagt der Präsident der Zentralkomitees der Deutschen Katholiken, Hans Joachim Meyer. Auch Kanzlerin Angela Merkel hat das verinnerlicht, spricht lieber über Klimaschutz anstatt über das von der Kirche heftig angefeindete Stammzellengesetz.

So ist der Grundton des Treffens auf Harmonie gestimmt. Wer neue Botschaften vermisst, kann sich aber mit netten Gesten trösten. Es werden Zeichen gesetzt. Mal massenhaft, wenn Tausende den Katholikentagsanhänger tragen. Mal spektakulär, wenn der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, und der Augsburger Rabbiner Henry Brandt sich am Ende einer Gemeinschaftsfeier umarmen und so den Streit zwischen Katholiken und Juden wegen der umstrittenen Karfreitagsfürbitte des Papstes zu den Akten legen.

Die Kirchenreformer freilich grummeln ob solcher Inszenierungskunst. „Natürlich ist der Katholikentag ein tolles Gemeinschaftserlebnis", sagt Christian Weisner von der Kirchenvolksbewegung. „Die Politiker bekommen den roten Teppich ausgerollt, aber die drängenden Kirchenthemen - Zölibat, Gleichberechtigung, Sexualität - kommen nicht vor." Das ist zwar übertrieben, aber die heißen Eisen fasst man mit spitzem Finger an.

Rund eine halbe Stunde dauert der Fußweg vom Dom bis zur Lutherkirche im Stadtteil Schöleberg. Vom Gedränge der Christen, das in der City das Motto „Du führst uns hinaus ins Weite" Lügen straft, ist hier nichts geblieben. Im Saal des kleinen Gemeindezentrums sind noch Plätze frei, als es zu einer mutigen Premiere kommt. Erstmals in der Geschichte des Katholikentags wird offiziell über sexuelle Gewalt in der Kirche gesprochen. Als Norbert. Denef, der vor Jahrzehnten von Theologen missbraucht wurde, berichtet, ist es mucksmäuschenstill. Eine Mischung aus Betroffenheit und Fassungslosigkeit zeichnet sich in die Gesichter, zuerst wegen des persönlichen Leids, dann aber, weil Denefs Kampf um Gerechtigkeit in der Kirche wie ein Kampf mit Windmühlenflügeln erscheint.

Der Mann klagt an, leidenschaftlich und erbittert. Er berichtet von dem Angebot eines Bistums, ihm Schweigegeld zu zahlen, pocht auf ein hohes Schmerzensgeld und meint, die Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz zu diesem Thema stünden bloß auf dem Papier. Respekt zollt er aber dem Hamburger Weihbischof Hans-Jochen Jaschke: „Es ist mutig, dass Sie mit mir sprechen."

Dieser trifft den richtigen Ton, gibt sich schuldbewusst über die Versäumnisse der Vergangenheit, spricht aber von Einzelfällen und macht klar, dass die Kirche lernfähig ist und ihre Präventionsarbeit ausbaut. Das Erzbistum Hamburg, in dem eine unabhängige Kommission solche Fälle mittlerweile untersucht, habe zum Beispiel bei einem jüngsten Verdacht sofort auf Offenheit gesetzt.

Zuletzt geändert am 06­.07.2008