19.7.2008 - LinksZeitung
"Humanae vitae": Als die Kirche ihre Glaubwürdigkeit verlor
München/Rom (LiZ). "Die römisch-katholische Kirche braucht einen neuen angstfreien, liebevollen und menschenfreundlichen Blick auf Sexualität als lebensspendende Kraft des von Gott geschaffenen und bejahten Menschen", erklärt die "KirchenVolksBewegung Wir sind Kirche" zum 40. Jahrestag der am 25. Juli 1968 veröffentlichten Enzyklika "Humanae vitae" des Papstes. "Das Lehramt der Kirche sollte sich nicht länger hinter Jahrhunderte alten Mauern verbarrikadieren und sollte die Erkenntnisse der Human- wissenschaften bezüglich menschlicher Sexualität und Sexualethik nicht länger ignorieren", heißt es bei den Reformkatholiken.
Die Kirchenreformer bedauern, dass das Ziel der Enzyklika, die Liebe in der ehelichen Partnerschaft und die Gestaltung der Sexualität über den Zweck der Lebensweitergabe zu stellen, kaum von den Gläubigen wahrgenommen werden konnte. Zu dominant war die Botschaft: "Empfängnis darf nur mit ‚natürlichen’ Mitteln verhütet werden", die jetzt sogar noch von Papst Benedikt XVI. ohne Wenn und Aber bekräftigt wurde.
Die "KirchenVolksBewegung" rügt, dass Papst Paul VI. in dieser Frage nicht der Linie des Konzils und dem großen Mehrheitsvotum der 1962 von Papst Johannes XXIII. eingesetzten Kommission gefolgt war. Beide hatten sich für eine verantwortete Elternschaft ohne Mittelverbot ausgesprochen. Stattdessen verkündete Paul VI. das anders lautende Votum einer kleinen Minderheitsgruppe als offizielle Kirchenlehre. Dies hatte die fatale Folge, dass "eine positive Rezeption der Enzyklika" verhindert wurde und die katholische Kirche damit in Fragen des menschlichen Sexuallebens weitgehend ihre Glaubwürdigkeit und Beratungskompetenz verlor.
Grundlage einer zukunftsfähigen christlich verantworteten Sexualethik sollte nach Auffassung von "Wir sind Kirche" die Beobachtung, Analyse und Berücksichtigung gesellschaftlicher Entwicklungen im weitesten Sinne, nicht jedoch deren Verurteilung sein. So könnte das "Aggiornamento" einer neuen christlichen Sexualethik gelingen:
* "Notwendig ist die Anerkennung neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse bezüglich der menschlichen Sexualität, auch der Homosexualität, und der Abschied von früheren auf Unwissen begründeten Fehlbeurteilungen.
* Die veränderte Situation von Frauen, Männern und Familien auf Grund globaler, sozialer, politischer und auch technischer Entwicklungen ist zu berücksichtigen.
* Die von den deutschen Bischöfen in gewissenhafter Interpretation der traditionellen Lehre vom Gewissen erlassene "Königsteiner Erklärung" vom 30. August 1968 ist nach wie vor gültig und darf keinesfalls zurückgenommen werden.
* Auf das damals noch unbekannte aber heute drängende Problem von HIV/Aids wie auch auf die Auswirkungen der rasant zunehmenden Weltbevölkerung müssen differenziertere Antworten als das strikte Kondomverbot oder der bloße Appell zur Enthaltsamkeit erfolgen.
* Da der Schutz des Lebens und der Lebensweitergabe in allen Religionen verankert ist, sollte auch ein die Konfessionen und Religionen übergreifender Prozeß ins Auge gefasst werden, um breit anerkannte und wirksame Grundsätze einer menschenwürdigen Sexualethik zu formulieren."
Die positive Bewertung der Sexualität gehört auch zu den fünf Forderungen des KirchenVolksBegehrens, das 1995 allein in Österreich und Deutschland von mehr als 2,3 Millionen Menschen getragen wird und aus der die in allen Kontinenten vertretene "Internationale Bewegung Wir sind Kirche" (IMWAC) hervorgegangen ist.
Zuletzt geändert am 19.07.2008