19.7.2008 - GlaubeAktuell
«Pillen-Enzyklika» - Päpstliches Donnerwetter im heißen Sommer '68
(Rom/dpa) - Es war der heiße Sommer der Studentenrevolte 1968. «Make love, not war», so hieß eine der gern praktizierten Losungen der aufmüpfigen Jugend. Die Pille zur Verhütung gab es seit ein paar Jahren - sie versprach Frauen eine sexuelle Befreiung ohne Grenzen. In das muntere Treiben in den Studentenkommunen und Hippie-Zirkeln schlug dann ein päpstliches Donnerwetter ein - mit seiner Enzyklika «Humanae Vitae» versuchte Papst Paul VI. einen Damm gegen jede Form künstlicher Empfängnisverhütung zu bauen. Sein Lehrschreiben «Über die rechte Ordnung der Weitergabe des menschlichen Lebens» löste in den so «aufgeklärten» 1960er Jahren einen Sturm der Entrüstung aus.
Ist das jetzt Geschichte aus grauen, wenn auch turbulenten Zeiten, nachdem vor allem Aids im Jahrzehnt darauf die Angst in viele Schlafzimmer zurückgebracht hat? Mitnichten, sagt Benedikt XVI. zu dieser aus seiner Sicht auch nach vier Jahrzehnten doch «unverändert wahren» Enzyklika vom 25. Juli 1968. Er würdigt «die Wahrheit und Weisheit» des Kirchendokuments. Denn wie Vorgänger Johannes Paul II. setzt der deutsche Pontifex den Kampf gegen Empfängnisverhütung mit allen Mitteln fort. Und er prangert eine «Sexualität als Droge» an, «die den Partner eigenen Sehnsüchten und Interessen unterwirft.» Ein Plädoyer gegen flüchtige, fragwürdige Gefühle - und für die Würde.
Die «Pillen-Enzyklika» von Paul VI. - kaum ein Dokument von Rang aus dem Vatikan dürfte so sehr in der Luft zerrissen und dabei so wenig gelesen worden sein. Den Heranwachsenden des Pillen-Zeitalters schrieb das Kirchenoberhaupt ein Verbot direkter Empfängnisverhütung ins Stammbuch. Der Vatikan machte eine «natürliche» Ausnahme - Paul VI. erlaubte es «Eheleuten» (Sex ohne Trauschein war sowieso schier unvorstellbar), «sich in fruchtbaren Zeiten - des weiblichen Zyklus - des ehelichen Verkehrs zu enthalten.» Als klare Bedingung dafür wird genannt, «dass aus berechtigten Gründen keine weiteren Kinder mehr wünschenswert sind.» Auf gut Deutsch: Sex an ungefährlichen Tagen ist ein Zeichen von Treue und Liebe - auch ohne die Fortpflanzung.
In den Chor der Kritiker stimmten auch die deutschen Oberhirten mit ein, die in der «Königsteiner Erklärung» Fragezeichen hinter das Lehrschreiben setzten und zum Leidwesen des Vatikans den praktischen Umgang mit den päpstlichen Vorschriften dem Einzelnen zu überlassen schienen. Eine 68er Revolution der Bischöfe gegen den Papst? Nicht nur Aids, auch die demografische Entwicklung hat später dann doch einiges verändert. Es gab den «Pillen-Knick». Die Deutschen werden immer weniger, von Kinderarmut und Kinderfeindlichkeit ist die Rede.
Die «Königsteiner Erklärung» dürfe keinesfalls zurückgenommen werden, hält die Reformbewegung «Wir sind Kirche» zum Jubiläum der «Pillen-Enzyklika» fest und kritisiert, dass diese «jetzt sogar noch vom Papst ohne Wenn und Aber bekräftigt worden ist.» Immerhin sei Paul VI. damals dem Votum einer Minderheit gefolgt. Aids und die rasant zunehmende Weltbevölkerung verlangten bessere Antworten als striktes Kondomverbot und den bloßen Appell zur Enthaltsamkeit. So wird 40 Jahre danach eine neue christliche Sexualethik eingefordert.
Benedikt hielt in einer Würdigung der Weitsicht von Papst Paul VI. unlängst fest, die Menschen liefen heutzutage Gefahr, «sich in einem Zirkel von erstickendem Egoismus einzuschließen.» Und manche maßvolle Feministin bekam, sobald es um die Pille ging, schon damals einige Bauchschmerzen - ideologische, wohlgemerkt. «Man kann die Befürchtung haben, dass der Mann, wenn er sich an die Anwendung empfängnisverhütender Mittel gewöhnt, die Achtung vor der Frau verliert und sie einfach als Werkzeug selbstsüchtiger Befriedigung betrachtet.» Dieser Satz wiederum stammt nicht aus dem Mund einer kritischen Frau, sondern vom Papst der Enzyklika «Humanae Vitae».
Was nichts daran ändert, dass die meisten Gläubigen in Europa Sex als reine Privatsache ansehen. Auch der in diesen Fragen so strenge Johannes Paul II. war da von den meisten nur müde belächelt worden.
Die Enzyklika «Humanae Vitae»
(Hamburg/dpa) - Mit der Enzyklika «Humanae Vitae» bekräftigte die Katholische Kirche im Sommer 1968 das geltende Verbot von Verhütungsmitteln für Christen. In dem Lehrschreiben «Über die rechte Ordnung der Weitergabe des menschlichen Lebens» lehnte Papst Paul VI. jegliche Art künstlicher Geburtenregelung ab. «Liebende Vereinigung und Fortpflanzung» seien unlösbar miteinander verbunden, heißt es in dem am 25. Juli 1968 veröffentlichten Text. «Diese Verknüpfung darf der Mensch nicht eigenmächtig auflösen.»
Der katholischen Lehre zufolge sind alle Handlungen verwerflich, welche die Fortpflanzung verhindern. Dies gelte vor, während und nach der ehelichen Liebe. Lediglich die Enthaltsamkeit während der fruchtbaren Tage der Frau ist erlaubt. Denn hier machten «die Eheleute von einer naturgegebenen Möglichkeit rechtmäßig Gebrauch». Bei der Verwendung von Verhütungsmitteln - Pille und Kondom werden nicht explizit genannt - hinderten sie dagegen den Zeugungsvorgang bei seinem natürlichen Ablauf. Abtreibung und Sterilisierung sind nach dem päpstlichen Schreiben ebenso «absolut zu verwerfen».
«Humanae Vitae» stieß wie kaum eine andere Enzyklika auf massive Kritik. Auch unter Theologen war das Verbot heftig umstritten. Die Kirche habe die Zeichen der Zeit nicht erkannt, meinten viele. Tatsächlich benutzten 1968 längst Millionen Katholiken auch in strenggläubigen Ländern wie Italien, Spanien und Lateinamerika Verhütungsmittel.
Zuletzt geändert am 19.07.2008